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Dunkle Lichtgestalt

Rudolf Steiner (1861 - 1925), der Mann im schwarzen Kaiserrock, der Mann hinter dem Spiegel. Jedem scheint er etwas anderes gewesen zu sein. Seine Anhänger riefen ihn als Lichtgestalt aus, Künstler wie Wassily Kandinsky oder Franz Kafka umschwirrten ihn wie die Motten das Licht. Oder war sein Charisma nichts anderes als das hohle Pathos eines Hochstaplers, wie Erich Mühsam meinte?

Von Manuel Gogos | 28.03.2015
    Der österreichische Esoteriker, Philosoph und Anthroposoph Rudolf Joseph Lorenz Steiner (1861-1925)
    Der österreichische Esoteriker, Philosoph und Anthroposoph Rudolf Joseph Lorenz Steiner (1861-1925) (imago / United Archives)
    An die 5000 Vorträge hat der manische Redner gehalten, überall in Europa. Vor Bauern, die ihn fragen warum die Kartoffeln nicht mehr schmecken; vor Pädagogen, die die Macht der Erziehung fürchten; vor Ärzten, die wieder richtige Heiler sein wollen.
    Während Steiners Anthroposophie auch über 150 Jahre nach seiner Geburt weiterhin des Okkultismus verdächtigt wird, werden die "Früchte" ihrer praktischen Anwendung immer mehr in unseren Alltag aufgenommen: in der Bewegung der Waldorf-Schulen, in deren Refugien immer mehr Eltern ihre Kinder in Sicherheit zu bringen suchen; im Bio-Kult, der uns ein Stück "heile Welt" zurückgibt; oder in der Hinwendung zu alternativen Heilverfahren, um den Tatorten der Schulmedizin zu entkommen.
    Steiner bleibt zukunftsträchtig. Woher hatte er diese Weitsicht? War er tatsächlich ein Hellseher? Und kann, wie Steiner behauptete, jeder zum Hellseher werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Lange Nacht als kritische Annäherung an Rudolf Steiner und sein Lebens- und Menschenbild.
    Anthroposophische Gesellschaft
    Auszug aus dem Manuskript
    Nur knapp 17.000 Menschen sind heute in Deutschland in der offiziellen "Anthroposophischen Gesellschaft" organisiert. Verglichen mit dieser überschaubaren Zahl entwickeln Anthroposophen aber eine erstaunliche gesellschaftliche Wirkung. Seit Rudolf Steiners Tod im Jahre 1925 hat sich ein vielgestaltiges Netz aus Schulen, Arztpraxen und Bio-Höfen etabliert, aus staatlich anerkannten Hochschulen, heilpädagogischen Einrichtungen, Verlagen und Wirtschaftsunternehmen. Während man sich innerhalb der anthroposophischen Gemeinde seit hundert Jahren hingebungsvoll bemüht, die Ideen Steiners (nach-) zu vollziehen, findet aber zugleich ein heimlicher, man könnte sagen ein "esoterischer" Einsickerungsprozess in die Gesellschaft statt.
    Es sind nicht allein die Anthroposophen, die "Hüter der Flamme", die das Jahr 2011 zum Steiner-Jahr ausrufen: Auch über den inneren Kreis hinaus wird Steiner heute als großer Lebensreformer wieder entdeckt. Es dürfte schwer fallen, in Deutschland, Österreich oder der Schweiz heute irgendeine alternative Subkultur zu finden, die nicht von den Intuitionen Rudolf Steiners "durchpulst" ist. Im Hinblick auf ihre Vielfalt, Substanz und Nachhaltigkeit sind Steiners Reformideen erstaunlich. Das müssen selbst Kritiker seiner okkulten Lehren einräumen: Anthroposophie ist ein Kulturfaktor. Older Statesman Otto Schily:
    Otto Schily: "Also was man für Steiner wirklich sagen kann: Aus seinen Ideen ist immer was Positives hervorgegangen. Immer etwas, was für die Gesellschaft fruchtbar geworden ist. Was man von anderen Denkrichtungen nun wirklich nicht behaupten kann."
    Während die anthroposophische Weltanschauungslehre weiterhin regelmäßig des Obskurantismus verdächtigt wird, rücken die "Früchte" ihrer praktischen Anwendung immer näher an unseren Alltag heran: im Bio-Kult, der uns ein Stück heile Welt zurückgibt; in der Hinwendung zu alternativen Heilverfahren, um den Tatorten der Schulmedizin zu entkommen; wie auch in der Bewegung der Waldorf-Schulen, in deren Refugien immer mehr Eltern ihre Kinder vor den gesellschaftlichen Druckverhältnissen in Sicherheit zu bringen suchen. Wolfgang Zumdick hält an der Brookes University in Oxford Vorlesungen über Steiners Lehre von den 12 Sinnen.
    Wolfgang Zumdick: "Und ich glaube das ist das Mysterium: Dass er seine Fühler ausstreckt eigentlich ja in jede Form der Wissenschaft, in alle Teilbereiche des Lebens. In die Biologie, die Physik, dann wenn’s in die Humanwissenschaften geht, in die Agrikultur, in die Pädagogik. ... Wie ist alles was wir sehen mit uns verwandt, sehen wir alles nur wie durch eine Scheibe, gibt’s eine Verbindung, gibt’s eine Verwandtschaft?"
    Längst hat man sich an natürliche Schönheitscreme, biodynamische Äpfel und "sanfte Geburt" gewöhnt. Die ‚Früchte’ von Steiners Weltschau ‚wurzeln’ insbesondere in den späten Jahren seines Wirkens ab 1920, wo er sich mit verblüffender Vielseitigkeit auf die unterschiedlichsten Felder warf, um seine "Hellsicht" praktisch fruchtbar zu machen. Und immer sind es Menschen, die auf ihn zukommen: Mediziner, die sich wünschen, wirkliche Heiler zu sein. Pädagogen, die sich vor der Macht der Erziehung fürchten. Bauern, die wollen, dass ihre Kartoffeln wieder richtig schmecken. Für sie erklärt Steiner die Erziehung zur Kunst, die Heilkunde, sogar den Ackerbau. Der Aktionskünstler Bazon Brock:
    Bazon Brock: "Seine Bedeutung liegt darin zu zeigen, dass ein Individuum zeigen kann wie es auf die in einer möglichen und elaboriertesten Konzepte der Wissenschaft und der Künste eingehen kann um damit zu arbeiten. Was bedeuten denn diese Erkenntnisse für die Erziehung, für den Anbau von Nahrungsmitteln, für die Herstellung von Kleidung oder Klimaschutzhüllen als Häusern, das ist doch der Witz: Was bedeutet das? Er hat gezeigt, was das bedeutet. Er ist sozusagen reiner Marxist: Wenn es darauf ankommet etwas nicht nur zu erkennen sondern anzuwenden, also die Welt zu verändern, dann war Steiner der größte Marxist, den wir bisher hatten."
    Bei seinen ausgedehnten Reisen durch ganz Europa hat Steiner weit über Vorträge gehalten, eine wahre Lawine des Wissens ging über seinen Zuhörern nieder. Für sie wird Steiner zum pragmatischen Lehrmeister, der keinerlei Berührungsängste hat – bis hin zum Design für Haarwuchsmittel. Walter Kugler, Leiter des Rudolf Steiner Archivs in Dornach.
    Walter Kugler Und dann: Steiner war ja Realist, ja nur mit Arzneimitteln können wir eigentlich nicht so viel Geld verdienen, das ausreicht, um da das Geistesleben zu finanzieren, sondern es ist gut auch noch Kosmetika zu haben. Und dann hat er selber sogar die Werbung gemacht, für ein Haarwuchsmittel, die "Verlockung", hat so nen Kopf gemalt mit Glatze, und dann mit Locken, und hat darunter geschrieben "Die Verlockung".
    Rudolf Steiner Online Archiv

    Anthroposophie als Projekt

    Rudolf Steiner - Eine Sammlung von Vortragsnachschriften

    Allgemeine Anthroposophischen Gesellschaft

    Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland

    Verlag Freies Geistesleben

    Christoph Lindenberg
    Rudolf Steiner - Eine Biografie
    1861-1925.
    2011 Freies Geistesleben
    Die bislang umfassendste und mit über 180 Abbildungen und Dokumenten versehene Biografie zeichnet das Leben Rudolf Steiners in seiner Entwicklung nach. Das Standardwerk zur Biografie Rudolf Steiners jetzt als Taschenbuch in einem Band zum 150. Geburtstag des Begründers der Anthroposophie und der Waldorfpädagogik.

    Rudolf Steiner
    Gebunden
    Seine Bedeutung für Wissenschaft und Leben heute. Herausgegeben von Heusser, Peter; Weinzirl, Johannes . 1. Aufl. 368 S. m. 32 Abb., 12 Tab. 240 mm 892g , in deutscher Sprache.
    2013 Schattauer
    Rudolf Steiner Anregungen weit über ein Jahrhundert hinaus
    Rudolf Steiner (1861-1925) war einer der universellsten Denker des 20. Jahrhunderts. Sein umfassendes Lebenswerk enthält zahlreiche Impulse für die Weiterentwicklung unterschiedlicher Gebiete wie Medizin, Biologie, Kosmologie, Landwirtschaft, Kunst, Pädagogik oder Sozialgestaltung und viele seiner Ideen sind in praktische Lebenskonzepte und Reformbewegungen bis hin zu Hochschulgründungen umgesetzt worden. Sein Werk ist heute angesichts globaler sozialer und ökologischer Probleme aktueller denn je.
    Welche Bedeutung haben Steiners Konzepte und Visionen für Wissenschaft und Gesellschaft heute?
    Diese wichtige Frage beleuchtet ein interdisziplinäres, renommiertes Autorenteam und spannt dabei einen weiten inhaltlichen Bogen, der die biographische Zusammenschau von Steiners Intentionen, den Zusammenhang von Natur- und Geisteswissenschaft, Geist und Materie, kosmische Wirkungen auf Pflanzen, Wechselwirkung von Leib und Seele, Evolutionsbiologie und Freiheit des menschlichen Geistes ebenso umfasst wie Grundfragen der Ästhetik und Sozialgestaltung. Auch ganz praktische, innovative Umsetzungen der Ideen Steiners wie Rhythmus und Gesundheit, die Waldorfpädagogik, die Erneuerung des Hochschulwesens und vieles andere mehr wird thematisiert.
    Frank Steinwachs
    Rudolf Steiner, der Gral und der völkische Nationalismus
    Eine kritische Auseinandersetzung mit Sandra Franz' "Die Religion des Grals".
    2014 BWV - Berliner Wissenschafts-Verlag
    In der hier vorgelegten kritischen Auseinandersetzung mit den Thesen von Sandra Franz zu Rudolf Steiner, der Anthroposophie und seiner Gralsdeutung wird der Behauptung begegnet, dass Rudolf Steiner Gründer einer "arteigenen Religion" mit zum Teil "völkisch-okkultistische[m]" Charakter sei und vermeintliche Übereinstimmungen mit Vordenkern des Nationalsozialismus habe. Trotz Franz' Bezugnahme auf die Texte Rudolf Steiners müssen ihre Quellen, ihre Interpretationsgrundlage und viel mehr noch ihre Argumentation allein aus methodischen Gründen kritisch hinterfragt werden. Die selektive Auswahl der Fachliteratur, die fehlende Integration von Gegenpositionen auch außerhalb anthroposophischer Zusammenhänge sowie vor allem die inhaltliche Qualität ihrer Auseinandersetzung mit anthroposophischen Texten, insbesondere die meist vagen oder unsauber bis falsch verwendeten Begriffe, machen eine kritische Auseinandersetzung notwendig. Aus diesem Grund wird versucht, eine exemplarische und auch für andere Werke relevante, methodisch wie inhaltlich begründete Kritik anzubringen und diese anhand von ausführlich besprochenen Beispielen systematisch zu begründen. Ziel ist es nicht, den Diskurs aus einer anthroposophischen Gegenperspektive zu relativieren oder gar zu polarisieren, sondern ihn durch eine vornehmlich methodische Versachlichung zu fundieren und zu befördern.
    Rudolf Steiner
    Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?
    Rudolf Steiner Taschenbücher aus dem Gesamtwerk Nr.600
    2014 Rudolf Steiner Verlag
    Rudolf Steiner gab auf Grundlage seiner Lehre einflussreiche Anregungen für verschiedene Lebensbereiche, etwa Pädagogik (Waldorfpädagogik), Kunst (Eurythmie), Anthroposophische Architektur, Medizin (Anthroposophische Medizin) und Landwirtschaft (Biologisch-dynamische Landwirtschaft). In der Zeit um 1884 bis 1897 war Rudolf Steiner der Herausgeber der naturwissenschaftlichen Schriften Johann Wolfgang von Goethes. Er besorgte in dieser Zeit zwei Ausgaben von Goethes Werken. Da Rudolf Steiner zu einer selbstbestimmten Erkenntnisleistung anleiten wollte, gab er dazu tiefgehende Anleitungen. Diese finden sich in den einzelnen Kapiteln vorliegenden Werkes wieder.
    In diesem Buch zeigt Rudolf Steiner Schritt für Schritt, wie jeder Mensch sich einen Zugang zur spirituellen Welt verschaffen kann. Innerhalb der unzähligen Bücher zum Thema Meditation zeichnet sich Rudolf Steiners Klassiker durch seine sachliche, aller diffusen Schwärmerei abholden Sprache und Einstellung aus. Eine Einladung, einen spannenden Weg zu beschreiten.
    Rudolf Steiner
    Anthroposophische Leitsätze
    Der Erkenntnisweg der Anthroposophie. Das Michael-Mysterium. Rudolf Steiner Gesamtausgabe Bd.26 11. Aufl. 268 S. 20,9 cm 412g , in deutscher Sprache.
    2013 Rudolf Steiner Verlag
    Rudolf Steiner schrieb nach der Weihnachtstagung zur Begründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft (1923) bis zu seinem Tode im März 1925 eine Folge von 185 Anthroposophischen Leitsätzen sowie regelmäßige Briefe An die Mitglieder, die im Nachrichtenblatt Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht wöchentlich gedruckt wurden. Die vorliegende Ausgabe enthält sämtliche Leitsätze und die dazugehörigen Briefe An die Mitglieder.
    Rudolf Steiner
    Ein Weg zur Selbsterkenntnis
    In acht Meditationen. Rudolf Steiner Gesamtausgabe Bd.16
    2014 Rudolf Steiner Verlag
    "Hat man die Wanderung begonnen, dann wird jeder Schritt, den man gemacht hat, die Veranlassung zu weiteren. Und er ist auch die Vorbereitung zu diesen weiteren. Er macht die Seele für die folgenden erst fähig. Und mit jedem Schritt erfährt man mehr über die Antwort auf die Frage: Was ist der Mensch im wahren Sinne des Wortes?"
    Rudolf Steiner
    Theosophie
    Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung.
    Rudolf Steiner Gesamtausgabe Bd.9.
    2013 Rudolf Steiner Verlag
    Diese grundlegende Schrift Rudolf Steiners empfiehlt sich als Ausgangspunkt zu einem systematischen Studium der Anthroposophie. In dem Werk wird die leibliche, seelische und geistige Wesenheit des Menschen behandelt. Es wird darin zudem der Gedanke über Wiederverkörperung des Geistes und das Schicksal entwickelt sowie die seelische und geistige Welt und deren Verbindungen mit der physischen Welt beschrieben.
    Es schwankt sein Charakterbild in der Geschichte
    Rudolf Steiner in drei Biografien - von Manuel Gogos
    Helmut Zander
    Rudolf Steiner
    Die Biografie.
    2011 Piper
    Ob Weleda-Kosmetik, Mistelpräparate oder Eurythmie: Das Denken und die Ideen Rudolf Steiners sind heute so aktuell wie zu dessen Lebzeiten. Helmut Zander schreibt die große Biografie des Vaters der Anthroposophie.
    Man kann Schüler auf der Waldorfschule sein, ohne an Reinkarnation zu glauben. Man kann Demeter-Erdbeeren aus biodynamischer Landwirtschaft schmackhaft finden, ohne auf der Zunge kosmische Kräfte zu spüren. Man kann die vielen Praxisfelder der Anthroposophie nutzen, aber man wird ihren Herzschlag nicht verstehen, wenn man nicht ihren Vater und Ideengeber kennt: Rudolf Steiner (1861-1925), das Kind aus einem Krähwinkel des Habsburgerreiches, der einer der großen Esoteriker des 20. Jahrhunderts wurde. Helmut Zander schreibt die kritische Biografie des kantigen Querdenkers, der seiner unangepassten Grundsätze wegen bis heute Gläubige fasziniert und Gegner provoziert.

    Heiner Ullrich
    Rudolf Steiner
    Leben und Lehre.
    2011 Beck
    Ob Waldorf-Pädagogik, biologisch-dynamische Landwirtschaft, ganzheitliche Medizin oder organische Architektur: Fast jeder ist schon - freiwillig oder unfreiwillig - in die Einflusszone Rudolf Steiners geraten. Heiner Ullrich porträtiert knapp und kenntnisreich den Begründer der Anthroposophie und seine umfassende, kaum einen Lebensbereich auslassende Lehre.
    Rudolf Steiner (1861-1925) selbst hat sein Leben als eine geradlinige Entwicklung zu höherer Erkenntnis dargestellt. Spätere Biografen sind diesem Selbstbild gefolgt. Eine kritische Gesamtdarstellung von Leben und Lehre des Esoterikers, den Kurt Tucholsky den "Jesus Christus des kleinen Mannes" nannte, ist dagegen längst überfällig. Heiner Ullrich beschreibt die erstaunliche Karriere Steiners vom Sohn eines kleinen Bahnbeamten in der österreichischen Provinz über den Goethe-Enthusiasten und Prediger der Theosophie bis zum weltweit beachteten Begründer der Anthroposophie. Er bietet einen verständlichen Überblick über die anthroposophische Lehre und beschreibt ihre wichtigsten Anwendungsfelder von der Landwirtschaft bis zur Medizin. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Waldorf-Pädadogik, dem größten Erfolg Rudolf Steiners. Ob Waldorf-Pädagogik, biologisch-dynamische Landwirtschaft, ganzheitliche Medizin oder organische Architektur: Fast jeder ist schon - freiwillig oder unfreiwillig - in die Einflusszone Rudolf Steiners geraten. Heiner Ullrich porträtiert knapp und kenntnisreich den Begründer der Anthroposophie und seine umfassende, kaum einen Lebensbereich auslassende Lehre.
    Rudolf Steiner (1861-1925) selbst hat sein Leben als eine geradlinige Entwicklung zu höherer Erkenntnis dargestellt. Spätere Biografen sind diesem Selbstbild gefolgt. Eine kritische Gesamtdarstellung von Leben und Lehre des Esoterikers, den Kurt Tucholsky den "Jesus Christus des kleinen Mannes" nannte, ist dagegen längst überfällig. Heiner Ullrich beschreibt die erstaunliche Karriere Steiners vom Sohn eines kleinen Bahnbeamten in der österreichischen Provinz über den Goethe-Enthusiasten und Prediger der Theosophie bis zum weltweit beachteten Begründer der Anthroposophie. Er bietet einen verständlichen Überblick über die anthroposophische Lehre und beschreibt ihre wichtigsten Anwendungsfelder von der Landwirtschaft bis zur Medizin. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Waldorf-Pädadogik, dem größten Erfolg Rudolf Steiners.

    Miriam Gebhardt
    Rudolf Steiner
    Ein moderner Prophet.
    Biografie.
    2011 DVA
    Miriam Gebhardt widmet sich in ihrer Biografie dem Begründer der Anthroposophie und der Waldorfpädagogik, dem Esoteriker und Philosophen Rudolf Steiner. Gebhardt bettet Steiner in den Kontext seiner Zeit ein und verortet ihn in der Reformbewegung des frühen 20. Jahrhunderts. Ausgestattet mit einem feinen Gespür für die Sorgen und Wünsche seiner Zeitgenossen, griff Steiner deren Sehnsüchte geschickt auf und goss daraus ein Sinnfindungsprogramm für das Bürgertum. Wie viele andere Propheten und Reformer wandte er sich den Themen zu, die den Menschen auf den Nägeln brannten: Erziehung, Gesundheit, Religion und die Rasanz des modernen Lebens. Aber wie kaum einem anderen gelang es ihm, bis in die Gegenwart zu wirken. Nicht nur Waldorfschulen erfreuen sich großer Beliebtheit, auch Lebens- und Pflegemittel aus anthroposophischer Produktion finden sich heute in fast jedem Supermarkt.

    Auszug aus dem Manuskript:

    Konrad Schily, der spätere Gründer der im anthroposophischen Geist geführte Privatuniversität Witten-Herdecke, musste einer Lernschwäche wegen auf eine Waldorfschule gehen. Und wieder verbindet sich mit dem Namen Rudolf Steiners die Geschichte einer Rettung.

    "Ich hatte dann ziemliche Schulschwierigkeiten, oder - ganz barsch gesagt - ein Versager in der Schule. Und kam dann in die Waldorfschule. Und hab das vom ersten Tag an wie das gelobte Land empfunden. Wenn ich das zusammenfasse, dann hat mir die Waldorfschule wirklich mein schulisches oder überhaupt mein Leben gerettet."

    Eine Schule, die sich aus der Zusammenarbeit von Eltern, Lehrern und Schülern organisiert; die eine kollegiale Selbstverwaltung des Lehrerkollegiums durchexerziert, sowie neue Unterrichtsformen erprobt, wie die Einbeziehung künstlerischen Unterrichts und Momenten der Arbeit. Angstfrei soll das Lernen sein, ohne Sitzenbleiben, ohne Zensuren, und in den höheren Klassen steht solidarisches Miteinander, ja "Brüderlichkeit" auf dem Bildungsplan. Und das staatliche Curriculum muss draußen bleiben: Waldorf, eine Wärmelandschaft in der modernen Gesellschaft?

    (Steiner) "Ein Beispiel wird am besten anschaulich machen, um was es sich handelt. Man kann einem Kinde eine Puppe machen, indem man eine alte Serviette zusammenwindet, aus zwei Zipfeln Beine, aus zwei anderen Zipfeln Arme fabriziert, aus einem Knoten den Kopf, und dann mit Tintenklecksen Augen und Nase und Mund malt. Oder man kann eine sogenannte "schöne" Puppe mit echten Haaren und bemalten Wangen kaufen und sie dem Kinde geben. Es braucht hier gar nicht einmal davon gesprochen zu werden, dass diese Puppe natürlich doch scheußlich ist und den gesunden ästhetischen Sinn für Lebzeit zu verderben geeignet ist."

    Steiners Argument kann für verantwortliche Eltern noch heute eine große Überzeugungskraft entfalten:

    (Steiner) " Wenn das Kind die zusammengewickelte Serviette vor sich hat, so muß es sich aus seiner Phantasie heraus das ergänzen, was das Ding erst als Mensch erscheinen läßt. Diese Arbeit der Phantasie wirkt bildend auf die Formen des Gehirns. Dieses schließt sich auf, wie sich die Muskeln der Hand aufschließen durch die ihnen angemessene Arbeit. Erhält das Kind die sogenannte "schöne Puppe", so hat das Gehirn nichts mehr zu tun. Es verkümmert und verdorrt, statt sich aufzuschließen. "

    Konrad Schily

    "Da gab's natürlich auch Verschrobenheiten, ‚der Junge hat noch nicht Häkeln gelernt', das war n' Witz, ich hab mir dann in der Schule ein Mädchen besorgt, die mir das gehäkelt hat, und dann habe ich meinen Topflappen da abgegeben. Aber was, glaube ich, wichtig ist in der Steinerschen Pädagogik ist, dass er sagt: Ihr müsst auf jedes Kind achten, jedes Kind ist neu, und ihr dürft es nicht in ein Schema pressen, auch nicht in das anthroposophische Schema. Insofern ist das eine riesen Herausforderung, die er da an die Lehrer stellt."

    Das Goetheanum ist ein Gebäude in Dornach, rund zehn Kilometer südöstlich von Basel, in der Schweiz. Es dient als Sitz und Tagungsort der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft und vor allem als Konzerthaus und Theaterbau. Nachdem 1923 das erste Goetheanum, benannt nach Johann Wolfgang von Goethe, durch Brandstiftung zerstört worden war, eröffnete 1928 der Nachfolgebau - beide Entwürfe stammen von Rudolf Steiner. Bei dem markanten wie monumentalen Sichtbetonbau mit weit gespanntem Dach gehört der weitestgehende Verzicht auf rechte Winkel zum Identitätsmerkmal der anthroposophischen Architektur.
    Auszug aus dem Manuskript:
    Den Beuys-Schülern Johannes Stüttgen und Walter Dahn ist es zu danken, dass die Wandtafelbilder nach ihrem Dornröschenschlaf im Keller des Steiner-Archivs in den Kunstkontext gestellt wurden. Seitdem tingeln die Wandtafelbilder Steiners durch die Museen der Welt. Walter Dahn erinnert sich in seinem Tagebuch:

    "Mein erster Eindruck beim Entdecken der Steiner - Tafeln ist geprägt durch die große Überraschung: die Modernität diese Jahrzehntelang abgetauchten Dinge. Ich fühlte mich augenblicklich an die moderne Kunst erinnert. Diese unmittelbar ins Auge springende Stimmigkeit, diese spielerische Präzision, die dem Kreideauftrag auf den dunklen Pappen die Selbstverständlichkeit eines Schmetterlingsflügels verleiht. Auf dem Blick auf die Datierung traf mich fast der Schlag. Ich spürte sofort: hier wird etwas Wichtiges für die moderne Kunst gezeigt. Der deutliche Eindruck, einen Schatz in Händen zu halten. Etwas, das noch nie gesehen wurde. Neuer Blick auf Beuys - neuer Blick durch Beuys auf Steiner! "

    Steiners Vorträge wirken wie Proben auf Allwissenheit. In der Bandbreite seiner Interessen ist eine Spur Größenwahn. Angesichts der Langlebigkeit seiner Ideen und Intuitionen stellt sich die Frage: Hatte Steiner tatsächlich hellseherische Fähigkeiten? War er wirklich der letzte moderne Seher? Konrad und Otto Schily:

    "Wenn ich ihn richtig verstanden habe, war er kein "Seher". Sondern ein Forscher. Er korrigiert sich ja auch.
    Er tritt schon mit dem Anspruch auf. Ob das nun Forschungsergebnis oder Sehergabe ist, das kann ich nicht beurteilen und auch nur begrenzt nachvollziehen, aber in manchen Schriften sagt er, aus einer geistigen Erfahrung "sehe" ich, wie die Welt sich entwickelt hat. Akasha-Chronik. Was ist das überhaupt? Wie liest man die Akasha-Chronik. "

    Es gibt ein Foto, auf dem Steiner abgelichtet wurde, während er hellsah. Die schwarzen Augen noch undurchdringlicher als sonst. Auf einen imaginären Horizont gerichtet. Oder nach innen gewendet? Wo war Steiner, wenn er in der Akasha-Chronik las?

    (Helmut Zander) "Dieses Lesen in der Akasha-Chronik kann man nur verstehen, wenn man sich ein gigantisches Problem des 19. Jahrhunderts vor Augen hält, man hat Quellen ohne Ende, die sich widersprechen, die man nur mit sehr komplizierten Verfahren entschlüsseln kann, und Steiner will aus diesem Problem des Historismus heraus, und macht eine große Alternative auf. Ich brauche keine Quellen mehr, ich kann im großen Buch des Geistes lesen. Das ist ein großes Versprechen, und das ist für viele Menschen an der Wende zum 19. Jahrhundert wirklich eine große Vision."

    Rudolf Steiner bei AnthroWiki
    Musikliste
    Titel: Chant from a Holy Book Bearbeitung für Violoncello und Klavier nach der Transkription für Klavier von Thomas de Hartmann
    Solist: Anja Lechner (Violoncello)
    Solist: Vassilis Tsabropoulos (Klavier)
    Komponist: Georges Iwanowitsch Gurdjieff
    Label: ECM-Records / Best.-Nr: ECM 1888; 9819613
    Titel: Enfin, rien est
    Interpret: Mitchell Akiyama
    Komponist: Mitchell Akiyama
    Label: Subrosa / Best.-Nr: keine
    Titel: Horsefish
    Interpret: Amon Tobin
    Komponist: Amon Tobin
    Label: Ninja Tune / Best.-Nr: keine
    Titel: Pop
    Interpret: Gas
    Komponist: Gas
    Label: NRGY / Best.-Nr: keine
    Titel: Bayaty Bearbeitung für Violoncello und Klavier nach der Transkription für Klavier von Thomas de Hartmann
    Solist: Anja Lechner (Violoncello)
    Solist: Vassilis Tsabropoulos (Klavier)
    Ensemble:
    Komponist: Georges Iwanowitsch Gurdjieff
    Label: ECM-Records
    Best.-Nr: ECM 1888; 9819613
    Titel: Sehn
    Interpret: F.S. Blumm
    Komponist: F.S. Blumm
    Label: MORR MUSIC / Best.-Nr: keine
    Titel: Killers Vanilla
    Interpret: Amon Tobin
    Komponist: Amon Tobin
    Label: Ninja TuneB / est.-Nr: keine
    Titel: And they all look broken hearted
    Interpret: Four Tet
    Komponist: Four Tet
    Label: DOMINO British / Best.-Nr: keine
    Titel: unbekannt
    Interpret: Amon Tobin
    Komponist: Amon Tobin
    Label: Ninja Tune / Best.-Nr: keine
    Titel: Suspicious Drone
    Interpret: Demdike Stare
    Komponist:
    Label: Modern Love / Best.-Nr: keine
    Titel: Die Jakobsleiter Oratorium für Solisten, gemischten Chor und Orchester
    Solist: Laura Aikin (Sopran) - Die Sterbende / Die Seele
    Solist: Kurt Azesberger (Tenor) - Der Mönch
    Solist: Guy Renard (Tenor) - Ein Aufrührerischer
    Solist: Albert Dohmen (Baß) - Ein Ringender
    Solist: James Johnson (Baß) - Der Auserwählte
    Solist: John Bröcheler (Bariton) - Gabriel
    Solist: Chris Merritt (Tenor) - Ein Berufener
    Chor: Rundfunkchor Berlin
    Orchester: Münchner Philharmoniker
    Dirigent: Michael Gielen
    Komponist: Arnold Schönberg
    Label: DeutschlandRadio Berlin
    Titel: Konzert für Violine und Orchester
    Solist: Frank Peter Zimmermann (Violine)
    Ensemble:
    Orchester: Schönberg Ensemble
    Dirigent: Reinbert de Leeuw
    Komponist: György Ligeti
    Label: TELDEC CLASSICS / Best.-Nr: 857387631-2
    Titel: Along our Road
    Interpret: Die Lakeien
    Komponist: Die Lakeien
    Label: Chrom Recolrds / Best.-Nr: keine
    Titel: Haxan
    Interpret: Demdike Stare
    Komponist: Demdike Stare
    Label: Modern love
    Best.-Nr: keine
    Titel: If night is a weed
    Interpret: Mitchell Akiyama
    Komponist: Mitchell Akiyama
    Label: subrosa / Best.-Nr: keine
    Titel: She moves she
    Interpret: Four Tet
    Komponist: Four Tet
    Label: DOMINO British / Best.-Nr: keine
    Titel: Spirit fingers
    Interpret: Four Tet
    Komponist: Four Tet
    Label: DOMINO British / Best.-Nr: keine
    Titel: And they all look
    Interpret: Four Tet
    Komponist: Four Tet
    Label: DOMINO British / Best.-Nr: keine
    Titel: At the End of the day
    Interpret: Amon Tobin
    Komponist: Amon Tobin
    Label: Ninja Tune / Best.-Nr: keine
    Auszug aus dem Manuskipt:
    Wer sich die Zukunft des Menschen vergegenwärtigen will, muss den Menschen studieren. Immer wieder forderte Steiner darum seine Zuhörer auf, weiter und zugleich tiefer zu schauen: Mülltrennung allein hilft nicht, Selbstverwandlung tut Not.
    Rudolf Steiner: Allerdings, wenn hier gesagt wird, der Hellseher entwickele in sich schon jetzt die Bewußtseinszustände, zu denen in der Zukunft die ganze Menschheit fortschreiten wird, so ist dies mit einer Einschränkung zu verstehen. Der Hellseher bildet zum Beispiel heute innerhalb der seelischen Welt ein Schauen aus, das in Zukunft beim Menschen in einer physischen Art auftreten wird. Aber dieser zukünftige physische Zustand des Menschen wird das getreue Abbild sein des entsprechenden gegenwärtigen seelischen beim Hellseher. Die Erde selbst wird sich ja entwickeln, und dadurch werden in ihren kommenden physischen Bewohnern ganz andere Formen auftreten als heute da sind; aber diese physischen Formen bereiten sich in den heutigen seelischen und geistigen vor. Was zum Beispiel heute der Hellseher als eine Licht- und Farbenwolke um den physischen Menschenkörper herum sieht als sogenannte «Aura», das wird sich später in eine physische Form verwandeln; und andere Sinnesorgane als die heutigen werden dem Zukunftsmenschen die Fähigkeit geben, die anderen Formen wahrzunehmen. Der Hellseher aber sieht eben die geistigen Vorbilder der späteren Sinneswesen, also zum Beispiel die Aura, mit seinen geistigen Sinnen schon heute. Ihm ist ein Blick in die Zukunft möglich, von dessen Eigenart allerdings nur sehr schwer eine Anschauung durch die heutige Sprache und für die gegenwärtigen menschlichen Vorstellungen gegeben werden kann. Dies ist der Gang der Bewußtseinsentfaltung: erst beginnt es dämmerhaft; man nimmt nichts von anderen Dingen und Wesen wahr, sondern nur die Innenerlebnisse und Bilder der eigenen Seele; dann wird die Wahrnehmung entwickelt. Und zuletzt wandelt sich das Wahrnehmungsbewußtsein in ein Schöpferisches um. So fühlt sich der Mensch indem er sich darin stehen weiß in der Schöpfung als ein Teilnehmer an dem göttlich-geistigen Schaffen. In uns ist quasi der Ort, wo Nord- und Südpol sich im Menschen vereinen. Vereinigung des Göttlich-Äußeren, Verinnerlichung des Äußeren, das sind zwei Punkte, nach denen sich die Menschen fortentwickeln. Sie werden immer ähnlicher werden dem Göttlichen. Und zuletzt immer innerlicher. Alles Äußere wird Inneres geworden sein. Das ist der Sinn und das Ziel des Lebens.
    Epilog, oder Eine Wärmefähre zum Sonnenstaat? Fragen an Jakob von Uexküll, Initiator des Alternativen Nobelpreises und des "World Future Council" – eine gemeinnützige Initiative, die sich als "Stimme zukünftiger Generationen" versteht. Ein Gespräch über den Äther.
    Manuel Gogos: Was verbindet Sie mit Rudolf Steiner?
    Jakob von Uexküll : Mir ist das wohl zuerst aufgefallen, als wir hier diese Katastrophe hatten in der Landwirtschaft unter Margret Thatcher und den so genannten "verrückten Kühen" und man dann festgestellt hat, dass Rudolf Steiner schon damals sagte wenn man eine Kuh oder einen Ochsen mit toten Tieren füttert, dann werden sie verrückt. Das war Steiner klar aber der englischen Regierung war das nicht klar. Und da wurde mir bewusst, was das für ein vorausdenkender Mensch war und wie aktuell er noch ist.
    Jakob von Üexküll: Nun, man würde sich das natürlich wünschen. Aber ich fürchte diese Idee es kommt plötzlich zu einem globalen Bewusstseinswandel ich bin nicht davon überzeugt, gelinde gesagt. Ich glaube leider muss man das machen was ich mache, was das World Future Council macht, man muss also Lösungen nach und nach durchsetzen, und dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen sich ändern. 17:30 / 8:25 Das World Futur Council ist ja entstanden aus meinen Erfahrungen mit dem alternativen Nobelpreis, der ja versuchte, den bekannten Nobelpreis irgendwie aktueller zu machen, indem wir gesagt haben es gibt jetzt die Umweltproblematik, die ganzen Herausforderungen menschlicher Entwicklung, und so habe ich dann durch mehrere Jahrzehnte die so genannten "best practices" mit diesem Preis belohnt und unterstützt, und dann wurde mit klar, dass das nicht ausreicht. Vorbilder sind wichtig, damit sich das verbreitet. Aber wenn wir nicht die richtigen politischen Rahmenbedingungen haben, dann wird das zu wenig und zu spät sein, d.h. wir müssen so genannte "best policies" fördern, die besten Regeln, Institutionen und internationalen Abkommen. Zurzeit haben wir eigentlich schon mehr als genug damit zu tun, Lösungen die es schon gibt und die gut funktionieren, zu verbreiten.
    Manuel Gogos: Ich habe mich bei dem, was Sie sagten, erinnert an Joseph Beuys, der ja ein großer Steiner-Anhänger war und der einmal gesagt hat: die Ursache liegt in der Zukunft. Kann man auch von der Zukunft lernen?
    Jakob von Uexküll: Nun, unsere Vorfahren hatten dafür Institutionen, die nannten sich zum Beispiel im vorindustriellen Indien "Räte für die Seher in die Zukunft". Heute beeinflussen wir die Zukunft mehr als je zuvor, aber wir haben keine solche Institution. Ich glaube wenn man vieles was wir heute tun aus der Perspektive zukünftiger Generationen sieht, dann kann man sehen was sinnvoll ist und was nicht. Bei unsren Vorfahren wurde das praktiziert. Ich erwähnte das Beispiel in Indien. ... Bei den Ureinwohnern Amerikas gab’s da das Prinzip der "siebten Generation". Das hieß dann alle tagespolitischen Beschlüsse des Stammesrates mussten auf ihre Folgen für die nächsten sieben Generationen überprüft werden, soweit das möglich war. Heute tun wir das weniger denn je obwohl wir die Welt natürlich viel schneller verändern. Die Zukunft rast ja zur Zeit auf uns zu. Das sehen Sie besonders im Klimawandel. Diese überragende Herausforderung, die ja alles beeinflusst. Wenn wir den nicht beherrschen, dann wird die Welt unsicherer sein dann wir der Hunger zunehmen, die Armut zunehmen. Da gab es Prognosen, die gesagt haben wenn wir so weiter machen kommt das in tausend Jahren auf uns zu, dann waren es hundert Jahre, dann war es in zehn Jahren, und jetzt redet man plötzlich in Jahren, laut dem amerikanischen Pentagon kommt eine globale Energiekrise auf uns zu bis ins Jahr 2015, ich sagte das mal bei einem Vortrag und dann meinte ein Herr: Ich glaube es sind Monate, und ich fragte warum, und er sagte: meine Tochter arbeitet in einem Hotel in Neuseeland direkt unter einem Gletscher und in den zehn Monaten wo sie da war hat sie schon gemerkt wie der geschrumpft ist.
    Manuel Gogos: Was sehen Sie denn, wenn Sie die Zukunft imaginieren? Ist das für Sie eher eine Dystopie, die auf uns zukommt, oder ist es eine Utopie. Was erwarten Sie, was befürchten Sie oder was erhoffen Sie von der Zukunft?
    Jakob von Uexküll: "Ich meine, Optimismus lähmt, dann meint man es wir schon gut werden. Pessimismus lähmt, es hat sowieso keinen Zweck mehr, deshalb bin ich, der Begriff stammt von dem englischen Autor William James, ich bin Possibilist. Ich sehe die Möglichkeiten, ich habe Hoffnung, die Hoffnung soll man nicht aufgeben. Aber jetzt müssen wir eben in Jahren erreichen, was wir in den letzten Jahrzehnten hätten tun sollen. Ich glaube, wir können diese Herausforderungen meistern. Ob wir es tun, weiß man nicht. Es gibt ja den deutschen Philosophen der Hoffnung, Ernst Bloch, der hat gesagt der Preis der menschlichen Freiheit ist eben das Risiko, dass der große geschichtliche Augenblick auf ein zu kleines Menschengeschlecht trifft, das der Herausforderung nicht gewachsen ist. Und dann gibt es noch ein schönes Zitat von Lenin, der sagte es gibt Jahrzehnte, in denen nichts passiert, und dann gibt es Wochen, in denen Jahrzehnte passieren. Und ich glaube, wir werden bald auf einiger solcher Wochen zusteuern. Ich muss sagen es stimmt mich hoffnungsvoll, der World Futur Council hat ja meist junge Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, und die werden natürlich jetzt überflutet von diesen ganzen pessimistischen Prognosen, und trotzdem sehe ich gerade jetzt, dass sich sehr viele von ihnen entschlossen haben, Kinder in die Welt zu bringen. Und das stimmt mich wieder positiv, denn wenn die mit dem Wissen das die haben dann gibt’s die Hoffnung das wir die Lösungen nicht nur durchsetzen können, sondern auch durchsetzen werden.
    (Wdh. v. 03./04.09.2011)