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Edelorchester, neue Oper und ein Uraufführungsmarathon

Berühmte Liebespaare von Tristan und Isolde über Pelleas et Mélisande bis Romeo und Julia oder Fidelio standen dieses Jahr im Mittelpunkt des Programms beim Festival in Luzern - dem Lucerne Festival: "Eros" hieß dort das große Sommerthema.

Von Jörn Florian Fuchs | 17.09.2010
    Natürlich war auch dieses Jahr wieder die Speerspitze edelster Klangkörper angereist, Dirigentenstars wie Claudio Abbado oder Pierre Boulez gaben sich die Ehre, die junge Lucerne Festival Academy sorgte für Jubel, und so weiter, und so fort. Eines jedoch war anders als in den letzten Jahren, nein, eigentlich gab es gleich zwei Neuerungen:
    Die Oper erhielt einen deutlich breiteren Raum, man plant ja gerade einen vielseitig bespielbaren Salle Modulable fürs Musiktheater, aber die Wartezeit ist Intendant Michael Haefliger offenbar zu lang und so programmierte er heuer gleich vier Werke: einen halbszenischen "Fidelio" mit neuen Texten von Tatjana Gürbaca, Wagners "Tristan" in einer Visualisierung von Bill Viola und einer Raumregie von Peter Sellars, Henzes "Phaedra" in Kooperation mit den Theater Luzern und die Uraufführung des Théâtre Musical "Herz Maere" von Alfred Zimmerlin. Es ist eine Tristan-Variante, die auf Gottfried von Strassburg und Konrad von Würzburg zurückgeht, doch die Texte dienen nur als Ausgangsmaterial für ein intelligentes und sehr klangsinnliches Kammerspiel.
    Das einander überirdisch liebende Paar und der sehr irdisch intervenierende König Marke sind sowohl Sänger wie Instrumentalisten. Wobei Isolde eigentlich mehr ihre Geige sprechen beziehungsweise singen lässt, während Tristan neben seinem Schlagzeugspiel auch vokal ausführlich zu Worte kommt. Besonders gelungen sind einige dem Free Jazz verwandten Improvisationen sowie zahlreiche Kämpfe, die mittels Instrumenten ausgefochten werden.
    "Herz Maere" fand im Rahmen eines regelrechten Uraufführungsmarathons statt, mit insgesamt 24 Auftragswerken und in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Tonkünstlerverein. Das Spektrum reichte von sehr abstrakten Klangerkundungen bis zu beinahe poppigen Environments, von filigranster Kirchenmusik bis zu anarchistischem Orchestergebrüll, etwa bei Michael Wertmüllers Stück "Zeitkugel". Es sind gewaltig-gewalttätige Exerzitien, für die man neben einem Haupt- gleich vier Nebendirigenten braucht.

    Ach ja, und dann ist da auch noch ein kaum zu bewältigender Klavier- und Orgelpart.
    Da war es nachgerade erholsam, sich den vermeintlich leichten, volksmusikalischen Klängen des Ensembles Alpini Vernähmlassig hinzugeben. Gemeinsam mit ihren Kollegen vom Helix-Ensemble für neue Musik der Hochschule Luzern versuchten die wackeren jungen Künstler eine Gratwanderung zwischen Alt und Neu, zwischen Tradition und Moderne. Letztlich geht es darum, das musikalische Erbe kreativ zu reflektieren und etwa die schönen Alphornklänge nicht nur Touristen oder rechtskonservativen Schweizer Politikern zu überlassen. Mit sanfter Ironie, aber ohne Zerstörungswut geht beispielsweise Fabian Müller zu Werk, seine Neudeutungen sind ironisch, originell instrumentiert und ziehen doch immer wieder den Hut vor den alten Meistern, ohne die es eben letztlich auch nicht geht.

    Das was da gleich im Hintergrund so schön quietscht, ist übrigens eine Art Baby-Akkordeon und hört auf den Namen Schwyzerörgeli. Auf geht's!