Edgar Steuerwald

Nationalsozialisten! Ihr habt es einst wohl alle gefühlt, dass dieser Schritt für mich ein bitterer und schwerer war. Niemals hat das deutsche Volk gegen die Völkerschaften Russlands feindselige Gefühle gehegt. Allein seit über zwei Jahrzehnten hat sich die jüdisch-bolschewistische Machthaberschaft von Moskau aus bemüht, nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa in Brand zu stecken.

Dirk-Oliver Heckmann |
    22. Juni 1941. Mit Hitlers Lüge vom Präventivkrieg, verkündet von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, beginnt das "Unternehmen Barbarossa", der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.

    Meine lieben Eltern!
    Wir sind in Rußland. Den ersten Einsatz haben wir schon hinter uns. Es war ein sehr schwerer, denn wir hatten immerhin einige Tote und Verwundete.


    Auf der deutschen Seite: Edgar Steuerwald, Sohn eines gutsituierten Sozialdemokraten, eines Schneidermeisters aus Stettin. Später wollte der gelernte Kaufmann studieren, doch daraus wurde nichts. Als der Krieg gegen die Sowjetunion beginnt, ist Edgar Steuerwald 21 Jahre alt und hat schon zwei Kriegsschauplätze hinter sich: Frankreich und Jugoslawien. Am 17. Juli schreibt er - nun aus Russland:

    Ich kann von Glück sagen, daß ich noch am Leben geblieben bin. Denn wir bekamen Artilleriefeuer, daß uns das Hören und Sehen verging. Aber Gott hat mir beigestanden. Nun haben wir den ersten Einsatz hinter uns. Voraussichtlich haben wir zwei Tage Ruhe. Nach diesen wird bestimmt wieder ein neuer Einsatz folgen. Hoffentlich wird er wieder genau so gut überstanden wie der letzte. Man kann ja weiter nichts als seine heilige Pflicht erfüllen.

    Seine "Pflicht" erfüllen, das war für ihn selbstverständlich. Doch von Kriegsbegeisterung fehlt bei Edgar Steuerwald jede Spur. Die Sache der Nazis war seine Sache nicht. Seine Schwester Elga Schmitz, eine lebhafte alte Dame, erinnert sich:

    Er hat sich ferngehalten. Wie mein Bruder 18 war, da ist er ja aus der HJ gekommen, und dann sollte er in die SA, in die SS. Aber er hat gesagt, ich lasse es an sich herankommen, aber es hat sich keiner gemeldet. Nein, nein, er musste damals in die Hitler-Jugend und war da nicht gerne drin.

    Elga Schmitz ist heute 72 Jahre alt und lebt in Düsseldorf. Als der Krieg gegen die Sowjetunion begann, war sie gerade 12. Ihre Augen leuchten, wenn sie von ihrem Bruder spricht:

    Er war ein ganz lieber Bruder. Wir haben uns nie gezankt und alles. Und er war auch sehr musikalisch, er spielte ganz toll Klavier.

    Meine Eltern hatten eigentlich vorgehabt, dass er Ingenieur werden sollte. Aber dieser Beruf war für ihn nicht möglich, denn er konnte sehr gut mit der Feder umgehen, aber er konnte keinen Nagel in die Wand schlagen.

    Das Schreiben liegt ihm mehr als der Krieg. Selbst aus den Erdlöchern in Russland berichtet Steuerwald fast täglich seinen Eltern:

    Auf einmal sahen wir zu unserem größten Erstaunen, daß der Russe auf einer Chaussee, die vor uns lag, ruhig dahinmarschierte. Er hatte Gespanne mit Artillerie und Pakgeschützen bei sich. Uns war nur ein 3,7 cm Pakgeschütz und ein leichter Panzer zugeteilt. Unser Pakgeschütz erhielt den Auftrag, die marschierenden Kolonnen unter Feuer zu nehmen. Der Russe machte daraufhin gleich einen Gegenangriff. Zahlenmäßig war er uns um ein Vielfaches überlegen. Wir bekamen von vorne starkes Machinengewehrfeuer, dann von allen Seiten. Erst als unser Kompanieführer einsah, daß es sehr brenzlig wurde, gab er den Befehl zum Zurückgehen.

    Edgar Steuerwald kommt mit einer leichten Schussverletzung davon. Doch 54 seiner Kameraden kostet dieses Gefecht das Leben:

    Es ist schade um diese Jungen. Viele von ihnen waren nur verwundet und wurden von den Russen hingemordet. Wir haben aber eine gründliche Revanche genommen. Bei einem darauffolgenden Angriff mit schweren Panzern haben wir fast gar keine Gefangenen gemacht, alles wurde kalt, brutal und rücksichtslos abgeknallt. Mit Munition haben wir nicht gespart. Jeder Schuß war ein Treffer. Die Russen sollen sehen, was sie von ihrem Hinmorden haben werden.

    Seine Lage war das nicht, seine Lage war das nicht. Denn er war nicht fürs Töten, und er war nicht fürs Umbringen, und für Brutalität überhaupt nicht, er hat nie eine Hand erhoben, um mir mal eine so runterzuhauen. Also, Krieg fand er entsetzlich.

    Und doch wird er Teil dieses Vernichtungskriegs, der weder vor Gefangenen halt macht, noch vor Zivilisten. Edgar Steuerwald kehrt nicht nach Hause zurück. Am 3. Dezember 1941 trifft ihn eine Kugel ins Bein, eine Handbreit über dem Knie. Eigentlich nichts lebensgefährliches. Im Lazarett spricht er noch von Heimat-Urlaub. Doch wenige Tage später ist er tot:

    Ich musste etwas später zur Schule, ich lag noch im Bett, und bei uns zuhause kam so zwischen halb acht acht die Post. Und meine Mutter ging runter, eine halbe Treppe, und da kam ihr die Postbotin entgegen, und da sagte sie: haben Sie was für Steuerwald? Ja, sagte sie: Ich habe hier einen Einschreibebrief. Und da hat sie unterschrieben, und sie machte den Brief auf, und dann war das die Todesnachricht gewesen. Meine Mutter fing unwahrscheinlich an zu schreien und zu weinen, und ich sprang aus dem Bett. Ich dachte, sie wäre vielleicht die Treppe runtergefallen, und naja, da kam dann die Todesnachricht.

    Noch im Tod wird ihr Bruder von den Nationalsozialisten benutzt, davon ist Elga Schmitz überzeugt. Denn nicht einmal den Text für die Todesanzeige darf die Familie frei wählen:

    'Für Führer, Volk und Vaterland', hätte mein Vater nie geschrieben. Aber das wurde nicht angenommen, da wo die Todesanzeigen, wolln wir mal sagen, gedruckt wurden - also es war ein Zwang. ... Es musste korrigiert werden: 'Führer, Volk und Vaterland'.

    Wer die Verantwortung dafür trägt, dass ihr Bruder mit 21 Jahren sterben musste, daran lässt sie keinen Zweifel:

    Ja, wer schuld dran ist? Also, ich würde die Schuld Nationalsozialisten geben. Die wollten die Welt ja erobern. Die wollten ja den Osten haben, die wollten ja ganz Europa erobern. Also, ich mein, das kleine Deutschland will Europa erobern, hören Sie mal. Und die Großen und die Dicken, sitzen, sitzen, wolln wir mal sagen, gut warm und die haben keine Not, und der kleine Mann, der wird reingeschickt? Nur der Nationalsozialismus ist schuld dran. Ich hab Ihnen ja gesagt: Auf der anderen Seite weinen auch Mütter, da weinen auch Frauen, und die haben auch Elend.