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"Ein großes Gelingen"

Darf sich eine Bundeskanzlerin über den Tod Bin Ladens freuen? Der Philosoph Ottfried Höffe sagt: Ja, sie darf. Und er zieht die direkte Analogie zu Hitler. Wäre das Stauffenberg-Attentat auf ihn gelungen, dann wären die Deutschen doch auch sehr froh gewesen.

Ottfried Höffe im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 04.05.2011
    Tobias Armbrüster: Darf man sich freuen über den Tod eines Menschen, auch wenn er ein Terrorist war, so wie Osama bin Laden? Oder noch genauer gefragt: dürfen sich Spitzenpolitiker über den Tod freuen? Angela Merkel hat gesagt, sie freut sich, auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat die Nachricht mit eher heiteren Worten kommentiert. Dafür ernten beide inzwischen Kritik, auch aus den eigenen Reihen. Immerhin, heißt es immer wieder, seien CDU und CSU auch christliche Parteien, das Gebot "Du sollst nicht töten" müsste für Unions-Politiker deshalb ganz oben stehen. Es ist eine Debatte um Ethik und Politik, die langsam an Fahrt gewinnt.

    Mitgehört hat Ottfried Höffe, Leiter der Forschungsstelle für politische Philosophie an der Universität Tübingen und Autor unter anderem des Buches "Politische Gerechtigkeit". Schönen guten Tag, Herr Höffe.

    Ottfried Höffe: Guten Tag, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Professor Höffe, darf eine Bundeskanzlerin das sagen: "Ich freue mich über den Tod eines Menschen?"

    Höffe: Wir haben das Recht, die Worte einer Bundeskanzlerin auf die Goldwaage zu legen. Trotzdem sollten wir den unstrittigen Kern nicht ganz vergessen. Dass der Chef einer grausamen Terrorgruppe gefasst worden ist, ist ein großer Erfolg, über den man sich freuen darf und wo man durchaus die Hauptbetroffenen, die US-Amerikaner, beglückwünschen darf.

    Man muss sich die Analogie überlegen. Das Attentat von Stauffenberg, mit dem man doch Adolf Hitler töten wollte, hat den Verschwörern viel Überlegung, viel Gewissensqual auch gekostet, und trotzdem ist niemand, der das verdammt, und wir wären doch eigentlich froh, wenn wir sagen können, wir freuen uns, dass es gelungen ist, Adolf Hitler zu töten.

    Insofern sollte man nicht zu rasch glauben, man könnte hier mit christlichen Maßstäben die Bundeskanzlerin verurteilen. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass Stauffenberg und sein Umkreis sehr tiefgläubige Christen gewesen sind. Nun hat man natürlich das Recht zu überlegen, konnte man das unter den heutigen Bedingungen, in denen wir Rechtsstaatlichkeit für stärker, wichtiger halten, und in denen vielleicht eine Möglichkeit bestanden hätte, die aber gegenüber Hitler nicht bestanden hat, nämlich bin Laden vor Gericht zu ziehen, hätte man die nicht auch in Erwägung ziehen sollen.

    Allerdings können wir das nicht wirklich beurteilen und die US-Amerikaner haben mindestens das Recht gehabt, kein Risiko einzugehen, um diese doch wirklich führende Figur einer grausamen Terrorgruppe nicht mehr aktiv werden zu lassen.

    Armbrüster: Aber liefert die Bundeskanzlerin damit nicht ein schlechtes Vorbild, wenn sie so etwas sagt?

    Höffe: Ich hätte das so nicht formuliert, das ist völlig richtig. Aber man sollte eben doch, wie ich andeutete, die andere Seite nicht vergessen. Wir würden ja froh gewesen sein, hätte man Hitler getötet, und wenn das die Möglichkeit gewesen wäre, hätte man auch nichts dagegen gehabt, wenn man ihn gezielt getötet hätte, und das ist ja sehr viel umständlicher gewesen, weil diese Chance überhaupt nicht bestanden hat und es gab eben auch nicht eine von außen stehende Gruppierung, die das so hätte machen können, wie dort eine Gruppe, die dann mit Hubschraubern eingeflogen ist.

    Es sollten also gerade wir Deutsche nicht jetzt so tun, als ob wir besonders rechtsstaatlich, besonders christlich seien, wenn wir hier den Amerikanern einen Vorwurf machen, der nicht ganz unberechtigt ist. Das will ich gar nicht leugnen. Aber man sollte den Hauptpunkt, da ist bin Laden gefasst worden, nicht in den Hintergrund schieben.

    Armbrüster: Ist es denn tatsächlich gerechtfertigt, da eine Parallele zu ziehen zwischen bin Laden und Hitler?

    Höffe: Wissen Sie, es ist insofern gerechtfertigt, dass es zwei ganz systematische Kriminelle gewesen sind. Dass Adolf Hitler noch eine andere Größenordnung an Kriminalität darstellt, ist gar keine Frage. Aber ich glaube nicht, dass hier die Größenordnung entscheidend ist, sondern einen derartigen Terrorchef, so darf man ja verkürzt sagen, zu fassen, ist doch ein großes Gelingen.

    Armbrüster: Sehen Sie – ich will noch mal zurückkommen auf die Äußerung von Angela Merkel – da ein Problem für eine Partei, die sich gerne auf das Christentum beruft, wenn man sagt, ich freue mich über den Tod eines Menschen, denn immerhin wird hier ja ein christliches Gebot tangiert, "Du sollst nicht töten"?

    Höffe: Dass man nicht töten darf, sollte man nicht so spezifisch christlich nennen. Das ist ein allgemein menschliches Verbot, was im Übrigen von den zehn Geboten her zunächst eine jüdische Grundlage hat und dort eigentlich nur pointiert darstellt, was in allen Kulturen verboten ist. Wo die Grenzen dieses Verbotes liegen, wird unterschiedlich gesehen. Und vor allem ist ganz entscheidend, dass wir in einem Rechtsstaat leben - ob wir Christen oder nicht Christen sind, ist dann sekundär -, in einem Rechtsstaat leben, in dem wir nicht Herr über Leib und Leben von Menschen sind. Das ist ganz unstrittig.

    Armbrüster: Aber hat nicht dieses Spezialkommando in Pakistan gezeigt, dass wir das doch eigentlich sind, Herr über Leib und Leben einer Person?

    Höffe: Die Amerikaner haben etwas gemacht, was nicht ganz unstrittig ist. Sie haben den Kampf gegen den Terrorismus zu einem Krieg erklärt, und in einem Krieg sind Dinge erlaubt, die in anderen Fällen nicht erlaubt sind, und im Krieg geht es eben um Kampf auf Leib und Leben, im Krieg geht es um existenzielles Überleben, und damit sind die Gegner eben nicht die Gegner wie in meinetwegen auch harten politischen Debatten, sondern sind wirklich Feinde, die einem an Kopf und Kragen gehen wollen und gegen die man das Recht auch zur Selbstverteidigung hat.

    Ob das in diesem Falle wiederum ein notwendiges Mittel ist und ein unzweifelbar notwendiges Mittel zur Selbstverteidigung, darüber lässt sich streiten. Aber wenn man jemand zehn Jahre lang sucht und selbst befreundete Regierungen hat, wie die Pakistanis ja angeblich sind, die dem doch nicht gerade Unterschlupf geliefert haben, aber doch wohl mehr als ein Auge zugedrückt haben, dass er dort agieren konnte, dann kann man durchaus sagen, eine Seite darf erbost sein und greift zu einer ultima ratio, die, das dürfen wir gar nicht bestreiten, wir in Deutschland so nicht gemacht hätten.

    Armbrüster: Hier in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk war das der Tübinger Philosophieprofessor Ottfried Höffe. Besten Dank, Professor Höffe, für dieses Gespräch.

    Höffe: Herr Armbrüster, vielen Dank!