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Ein Nacheiferer des großen Brahms

Auch wenn ihn sein großes Vorbild manchmal herb kritisierte - die Wertschätzung für Johannes Brahms ist aus den Werken Robert Kahns deutlich herauszuhören. Das Hohenstaufen Ensemble hat den kaum bekannten Komponisten auf einer CD porträtiert. Eine Interpretation, die durch ihre Transparenz besticht.

Von Raoul Mörchen |
    Man könnte die Aufnahme, die wir Ihnen heute vorstellen möchten, gut in einem Musikrätsel verwen-den. Darin gälte es, die Herkunft zu erraten der aufgenommenen Werke – eines Klavierquartetts, eines Streichtrios und eines Liederzyklus’. Werke, die Anlass geben zu mancherlei Spekulation, so viel Vertrautes klingt in ihnen an. Doch den Namen des Komponisten würde kaum jemand nennen können: so unbekannt ist er heute. Oder haben Sie schon einmal gehört von Robert Kahn?

    Kahn, Klavierquartett Nr.2, I.: Allegro Energico

    Eine hymnische Eröffnung, die Streicher jubeln im Unisono, das Klavier grundiert den Überschwang mit energischen Akkorden, dann eine weit ausladende Melodie, angestimmt von der Geige und alsbald dem Cello weitergereicht, wieder zurückgegeben, die Instrumente greifen ineinander, eng geschmiegt ans Klavier, die Stimmen so dicht zusammen, das nichts mehr zwischen sie passt.

    Kahn, Klavierquartett Nr.2, I.: Allegro Energico


    All das mag uns bekannt vorkommen: Musik vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, Musik aus Deutschland oder Österreich vermutlich, kompakt und kontrapunktisch, orientiert am Klassizismus aus Wien und Leipzig, in deutlicher Distanz zu den Neutönern um Richard Wagner, die von Kammermusik und reinen Instrumentalbesetzungen zu dieser Zeit ja nichts mehr wissen wollten. Welcher Komponist fiele uns da ein? Der Blick aufs Titelblatt des Klaviertrios beendet unsere Spekulationen: a-Moll steht da, op.30 und die Jahreszahl 1899. Johannes Brahms ist zwei Jahre zuvor gestorben. Unser Favorit kann es also nicht gewesen sein. Wer aber dann?

    Kahn, Klavierquartett Nr.2, I.: Allegro Energico

    Robert Kahn also heißt der Komponist. Man hätte mit Brahms aber nicht weit danebengelegen: denn Brahms, glaubt man den eher spärlichen biographischen Zeugnissen Kahns, war für diesen das alles prägende Leitbild. 1886 hat er ihn erstmals getroffen, während eines Besuchs in seiner Heimatstadt Mannheim. Im nächsten Jahr ist Kahn dann für eine Weile nach Wien gezogen. Dort kam es zu einem regen Austausch zwischen den beiden, zwischen dem 20jährigen Unbekannten und dem berühmten Altmeister. Brahms hat Kahn dabei mit Kritik nicht verschont. Einen Liederzyklus soll er bei einem Treffen "vollends und ziemlich grausam zerpflückt haben", so erinnert sich Kahn, und doch: Der so gnadenlose Brahms bot dem jungen Kollegen Nachhilfe an. Der aber war zu bescheiden, vielleicht auch zu sehr eingeschüchtert, um das Angebot anzunehmen. So lernte Kahn von Brahms im Selbststudium – dies allerdings so gründlich, dass man seinen Werken noch lange anhören sollte, wer hier beim Komponieren der Maßstab war.

    Kahn, Quartett op.30, Satz 2

    Robert Kahn, geboren 1865 in Mannheim, gestorben 1951 im englischen Kent. Korrepetitor in Leipzig, später drei Jahrzehnte lang Professor für Klavier und Musiktheorie in Berlin, Mitglied der Akademie der Künste, Jude, 1938 ins Exil gegangen. Ein angesehener Musiker und Pädagoge, als Komponist jedoch eine Randerscheinung. Einige seiner Werke fanden prominente Interpreten: das Joachim-Quartett beispielsweise oder die Berliner Philharmoniker, die unter Hans von Bülow Kahns Orchesterserenade aus der Taufe hoben. Der größte Teil des durchaus umfangreichen Schaffens aber scheint sich eher unauffällig eingepasst zu haben in das Musikleben seiner Zeit. Dabei ist es für das Publikum ausge-sprochen zugänglich: Das zumindest möchte man schließen aus der neuen CD des Hohenstaufen Ensembles. Das Brahms-nahe Klavierquartett wird da ergänzt um volkstümlich-salonhafte Lieder aus einem Zyklus mit dem Titel "Jungbrunnen" und ein 1933 entstandenes Streichtrio: Werke allesamt, deren Sprache und Form konservativ, ja bürgerlich ist – sie gehen nicht den Weg der dämmernden Moderne, brechen keine Konventionen, und vermeiden zugleich die Exzesse der Spätromantik: Kahns Musik ufert nicht aus, sie sucht klassische Balance in überschaubaren Proportionen. Symptomatisch, dass Kahn sowohl Oper als auch Sinfonik gemieden und fast ausschließlich Kammermusik geschrieben hat:

    Kahn, Quartett op.30, Satz 3

    Bei einem Komponisten, der schon zu Lebzeiten so wenig aufgefallen ist wie Robert Kahn, kann man von einer Wiederentdeckung kaum sprechen. Eher von einer Erinnerung. Diese Erinnerung trägt im Fall des Hohenstaufen Ensembles sehr persönliche Züge, sind doch die Geigerin Rahel Rilling und die Bratschistin Sara Rilling Urenkelinnen des Komponisten. Eine 1998 erschienene musikwissenschaftliche Arbeit trug ihr Übriges dazu bei, das vielfach unpublizierte Werk Kahns zu sichten und nach Jahrzehnten der Vernachlässigung neu zu bewerten – und zwar nicht nur das einstmals recht erfolgreiche Klavierquartett op.30 und den ebenfalls wohl mehrfach aufgeführten Liederzyklus, sondern auch eine Serenade für Streichtrio, die nach ihrer Uraufführung vor 80 Jahren kaum noch einen Hörer gefunden haben dürfte: nicht in Nazi-Deutschland und wohl auch nicht im englischen Exil, in dem der hochbetagte Kahn vollends in Vergessenheit geriet.

    Kahn, Serenade, Satz 1

    Vergleicht man Quartett und Trio und bedenkt die drei Jahrzehnte, die zwischen beiden Werken liegen, so ist zunächst die Emanzipation vom Vorbild Brahms offensichtlich – und dann die Orientierung an anderen: am neobarocken Max Reger, an der Italienischen Serenade von Hugo Wolff und – im ersten Satz überdeutlich – der "Verklärten Nacht" von Arnold Schönberg. Schönbergs Frühwerk entnimmt Kahn zum Teil notengetreu seinen melodischen Hauptgedanken – um ihn dann jedoch ganz anders fortzuspinnen.

    Kahn, Serenade, Satz 1

    Wer die Geschichte prägen will, so hat es der Musiktheoretiker Heinz-Klaus Metzger einmal formuliert, der muss entweder etwas Altes abschaffen oder etwas Neues erfinden. So betrachtet hat der Komponist Robert Kahn seine Zeit eher begleitet als gestaltet. Kahn war nostalgisch, das Vorhandene reichte ihm. Den Wert der neuen Aufnahme des Hohenstaufen Ensembles schmälert das nicht. Robert Kahn schließlich war kreativ genug, um dem, was er von anderen aufnahm, eine eigene, durchaus individuelle Prägung zu geben. Gerade in der Synthese verschiedener Strömungen liegt ein besonderer Reiz der CD. Dieser wirkt umso stärker, als das Hohenstaufen Ensemble den Werken Kahns eine Intensität zuteilwerden lässt, die das Projekt von jedem Vorbehalt des bloß guten Willens befreit. Makellos die Intonation, dicht und warm der Klang, bestechend die Transparenz der Stimmen. So findet das Ohr selbst da noch Halt, wo Kahn sich im süßen Dunst des Salons zu verlieren droht – Halt in der sorgfältigen Satztechnik eines gut geschulten Handwerkers.

    Kahn, Jungbrunnen: Es geht ein Wehen durch den Wald

    Das war, zum Abschluss, das Lied "Es geht ein Wehen durch den Wald" aus dem Zyklus "Jungbrunnen" von Robert Kahn. Wir hörten Julia Sophie Wagner, Sopran, Michael Nagy, Bariton und Mitglieder des Hohenstaufen Ensembles. Neben insgesamt sieben Liedern des Zyklus’ hat das Ensemble das zweite Klavierquartett op.30 und eine Streicherserenade zusammengefasst zu einem Porträt des 1951 verstorbenen Komponisten Robert Kahn. Die neue Platte ist erschienen beim Label Hänssler Classic und wurde Ihnen vorgestellt von Raoul Mörchen.

    Musik:
    Robert Kahn: Klavierquartett Nr. 2, Sieben Lieder aus Jungbrunnen, Serenade für Streichtrio
    Interpreten: Julia Sophie Wagner (Sopran), Michael Nagy, (Bariton) & Mitglieder des Hohenstaufen Ensembles
    Label: Hänssler Classic
    LC: 06047
    Bestellnummer: 098.010.000