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Ein schauriger Mord

In seinem neuen Roman "Die Dunkelheit in den Bergen" zeichnet Huonder eine wahre Kriminalgeschichte nach, die sich in der Zeit der Napoleonischen Kriege im Schweizer Kanton Graubünden ereignete. Der Roman besticht durch die spürbare Faszination des Autors für Land und Leute.

Von Cornelia Staudacher | 03.04.2013
    Am 12. Juli 1821 werden in der abgelegenen Weihermühle, in der Nähe von Chur, der Müller und zwei Mägde, die beide schwanger sind, bestialisch ermordet aufgefunden. Dem Verhörrichter Baron von Mont gelingt es mithilfe der beiden Söldner Linus Hostetter und Karl Rauch, die eben aus dem Dienst der königlich-niederländischen Armee in ihre Heimat zurückgekehrt sind, der Täter – dem herumziehenden Tiroler Uhrmacher Rimmel und den beiden Brüdern Bonadurer - habhaft zu werden und sie in Gewahrsam zu nehmen. Vor dem neu eingerichteten Kriminalgericht in Chur werden sie und etliche Zeugen von Baron von Mont im Beisein des Landammanns und des Amtsstatthalters verhört.

    "Für mich ist es das erste Mal, dass ich mir anmaße, ein bisschen in der Historie zurückzugehen und als Laie über das frühe 19. Jahrhundert zu schreiben. (Ich habe sehr viel recherchiert, aber das war kein Müssen, das war ein wachsendes Vergnügen.) Ich wollte eigentlich mit recht wenig anfangen, ich wollte ja einen Roman schreiben und kein historisches Sachbuch und wollte mich auf ein paar wenige Dinge beschränken, die ich wissen muss, und im Laufe der Recherche hat sich das dann dermaßen vertieft und wurde immer interessanter, sodass ich schließlich sagen musste, Schluss, jetzt schreibst du den Roman zu Ende und dann darfst Du wieder weiterlesen und vielleicht ein zweites Buch darüber schreiben."

    Krieg und Zerstörung, Plünderungen und Verbrechen, die als Folge der Eroberungszüge Napoleons zu Beginn des 19. Jahrhunderts über das Graubündener Land gekommen waren, bilden die Kulisse des Romans. In den unwegsamen Tälern und schwer zugänglichen Dörfern der Schweizer Berge treiben Deserteure, Diebe und Landstreicher ihr Unwesen und verbreiten Angst und Schrecken unter den Einwohnern.

    "Ich bin da durchaus den tatsächlichen Schauplätzen entlang gereist und habe geguckt, wie kommt man von A nach B, diese Dörfer sind alle exakt heute real noch vorhanden, wie sie beschrieben sind. Die Wege damals waren natürlich viel schlimmer und unwegsamer zu begehen, das war nicht immer ganz einfach, da, wo heute 'ne schöne Brücke ist, war früher ne halbe Tagesreise durch 'ne Schlucht notwendig."

    Huonder beschreibt die unheimliche, düstere Berglandschaft, ein ideales Terrain für Räuber und Plünderer, mit drastischer Bildhaftigkeit und einem ausgeprägten Sinn für die gruselig-gespenstische Atmosphäre.

    Der Einbruch des Unheimlichen, Schicksalhaften, Unvorhersehbaren ins alltägliche Leben hat Silvio Huonder schon in seinen früheren Romanen inspiriert. Wie in dem im Brandenburgischen spielenden Roman "Dicht am Wasser". Da legt das plötzliche Verschwinden eines Jungen ein Netz von Verrat und Angst, von Lügen und Gewalt bloß, das sich unter der trügerischen Oberfläche eines beschaulichen Dorflebens verbarg. Huonder interessiert sich seit jeher für die verborgenen, dunklen Seiten der Menschenseele.

    "Ich hatte als junger Leser ein großes Faible für die Romantik. Mein Lieblingsautor war damals E.T.A. Hoffmann, den schätze ich heute noch, auch E.A. Poe, überhaupt die Literatur des 19. Jh. war für mich als Leser ein ganz ergiebiges Feld."

    Mit Fortlauf der Handlung rückt der Verhörrichter Baron Johann Heinrich von Mont immer stärker in den Mittelpunkt des Interesses. Er lebt mit seiner jungen Gattin in gut situierten Verhältnissen, ist ehrgeizig und ein glühender Anhänger Napoleons und wird, nachdem er in Graubünden das Polizeiwesen aufgebaut hat, zum ersten eidgenössischen Fremdenkommissar in Bern ernannt. Eine exemplarische Karriere der zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufstrebenden bürgerlichen Oberschicht, die sich mehr um Recht und Ordnung als um die Lebensumstände der Bauern und Landarbeiter scherte, und einer Justiz, die zur Aufklärung eines Verbrechens noch zu drakonischen Maßnahmen griff. Trotz seines Glaubens an Ordnung und Gesetzgebung gelingt es von Mont nicht, die Ereignisse in der Mordnacht und ihre Motive vollständig aufzuklären. Es bleibt ein unheimlicher Rest und die im Roman angesprochene Frage, wie weit "schwarze Magie im Spiel" war.

    "Von Mont war eine historische Person, der unheimlich viel Macht auf sich vereint hat. Er war Gefängnisdirektor, Chef der neu gegründeten Polizei, er war Richter, Ankläger, einfach Chef der Justiz in Personalunion, einerseits 'ne große Machtfülle, Adliger, Reaktionär bis zu einem gewissen Grad, das hat mich alles nicht so für ihn eingenommen, auf der anderen Seite war das 19. Jahrhundert doch eine Zeit, in der sehr viel Neues entdeckt worden ist und wo Menschen mit so einer Machtfülle auch sehr, sehr viel bewirkt haben, also durchaus Positives, und ich glaube, dass diese Ambivalenz, mit der jetzt die Figur gezeichnet ist, ist ein bisschen meine eigene Ambivalenz ihm gegenüber. Er hat sicher ungute Züge an sich, ich meine damals wurde noch gefoltert, wurden Geständnisse mit Peitschenhieben oder bis hin zu Streckband und Glieder abhacken erzwungen, daran scheitert er auch im Laufe der Geschichte."

    Von der ersten Szene des Romans, in der sich Karl Rauch, gleichsam wie mit einer Kamera aufgenommen, in der Abenddämmerung dem Galgenhügel im Süden der Stadt nähert, an dem ein Leichnam hängt, der, von Krähen verpickt und weitgehend verwest, einen widerwärtigen Anblick bietet, weist der Roman in seiner Struktur viele filmische Elemente auf: harte Schnitte und knappe Szenen, in denen die Personen der Handlung dargestellt und miteinander in Verbindung gebracht werden, ein allmählich einsetzender Spannungsbogen, der gegen Ende hin immer stärker angezogen wird.

    "Die ersten zwei, drei Jahrzehnte meines Lebens war ich zweimal wöchentlich im Kino, und irgendwann verinnerlicht man eine bestimmte Dramaturgie, eine bestimmte Montagetechnik, die gibt es aber z.B. beim Woyzeck von Büchner, der hat die Dramaturgie eines Drehbuchs, kurze Szenen, die für etwas Bestimmtes stehen, die aneinander geschnitten werden, also es ist nicht ganz neu, das Fernsehen bedient sich dieser Technik, etwas abgelutscht, es ist natürlich ein Spannung bildendes Element, dass man zwei Szenen aneinander schneidet, dass man verschiedene Figuren abwechselnd verfolgt, ist eigentlich ein gängiges Mittel heute."

    Huonder, der das Handwerk nicht nur des szenischen Schreibens gewissermaßen von der Pieke auf, unter anderen bei Heiner Müller, gelernt hat, erweist sich als ein souveräner Stilist und kluger Konstrukteur dieses packenden historischen Kriminalromans, der in seiner Mischung aus Historie und Fiktion nicht nur durch einen spannenden Handlungsverlauf, sondern durch die trotz der protokollarisch nüchternen Sprache spürbare Faszination des Autors für Land und Leute überzeugt.


    Silvio Huonder: "Die Dunkelheit in den Bergen"
    Roman. Nagel & Kimche, München 2012, 223 Seiten, 18,90 Euro.