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Ein schwuler Vorgesetzter?

Jeder zweite Homosexuelle bleibt im Berufsleben lieber anonym- denn auch heute noch werden sie oder er diskriminiert. In den USA schon praktiziert, sollen "Diversity Management" und spezielle Mitarbeiterprogramme auch hier das "Outing" am Arbeitsplatz erleichtern.

Von Jörg Oberwittler | 31.05.2011
    Tuscheleien, schlechte Witze, Nachäffen – das sind noch die harmlosen Fälle von Diskriminierung, die Homosexuelle noch immer am Arbeitsplatz erleben. Drei von vier haben Diskriminierung erlebt, wie eine Studie der Universität Köln belegt.
    Das Spektrum reicht bis zu schwerem Mobbing, wie Karin Windt vom Netzwerk lesbischer Fach- und Führungskräfte "Wirtschaftsweiber" auf "Europas erster Karrieremesse für Lesben, Schwule und Transsexuelle", MILK, in Berlin erzählt:

    "Also, ich hatte die Tage mit einer Mitfrau noch gesprochen, die ist transsexuell. Die wurde von ihrem letzten Arbeitgeber diskriminiert: Das war ein großer Medienkonzern, der sie – nachdem das bekannt wurde – dass sie eine Transgender-Frau ist, innerhalb von drei Tagen entfernt."

    Kündigung wegen der sexuellen Identität, keine Beförderung oder gar Zwangsversetzung: Immer noch Alltag in deutschen Unternehmen. Vor allem die oberen Führungsetagen bleiben Schwulen und Lesben verwehrt. Den als schwul geouteten Top-Manager oder die erkennbar lesbische Aufsichtsratsvorsitzende sucht man bislang vergeblich.

    "Also out zu sein im öffentlichen Dienst, zum Beispiel als Bürgermeister einer Stadt, ist sicherlich einfacher als in der Privatwirtschaft, wo man viel angreifbarer ist, denn es gibt da viel Konkurrenzkampf auch."

    Ein schwuler Vorgesetzter – das mag in manchen Branchen nicht zum knallharten Führungsstil passen: So sind Politik, Kunst und Kultur Vorreiter: Ein schwuler Bürgermeister – ja, aber ein schwuler Bundeswehr-Oberfeldwebel – nein. Auch ein katholischer Theologe darf immer noch nicht offen schwul sein, kritisiert Jörg Steinert vom Lesben- und Schwulen-Verband Berlin-Brandenburg:

    "Die Katholische Kirche diskriminiert bewusst Lesben und Schwule als Arbeitnehmer bzw. sie dürfen per Definition gar nicht im Amt sein. Und da ist unsere Ansicht, dass auch hier das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – so wie es geregelt ist – nicht konsequent ist, dass auch Religionsgemeinschaften nicht das Recht auf Diskriminierung haben."

    Besonders offen hingegen sind moderne Arbeitsbereiche, wie die Telekommunikations- und IT-Branche. Wichtige Impulse kommen zudem aus den USA, berichtet Anders Wikberg – Organisator der Karrieremesse, die gezielt um lesbische und schwule Talente wirbt.

    "Manche Länder sind da voraus, zum Beispiel im amerikanischen Raum ist das Thema ein bisschen mehr angesprochen: Also Vielfalt insgesamt und, dass man unterschiedliche Gruppen wirklich mit ins Boot holt sozusagen. Es geht um Minderheiten allgemein quasi."

    "Diversity Management" heißt die Strategie, die US-amerikanische Firmen anstoßen und Minderheiten als Bereicherung für die Unternehmenskultur sehen. Dafür tut man einiges – zum Beispiel beim IT-Konzern IBM, wie Diversity-Managerin Uta Menges verrät:

    "Wir schaffen intern Sensibilisierung für das Thema, zum Beispiel auch bei den Führungskräften. Wir haben ein sehr starkes Mitarbeiter-Netzwerk zum Thema, die sich auch untereinander unterstützen. "

    Deutsche Firmen ziehen nach. Beispiel: Deutsche Telekom, wo ein firmeninternes Netzwerk Mitarbeiter beim "Coming Out" berät. Doch noch sind solche Programme rar, steht das Thema am Anfang. Karin Windt von den "Wirtschaftsweibern" hofft, dass Unternehmen die Homosexualität ihrer Mitarbeiter eines Tages nicht mehr bloß als Schwäche auffassen.

    "Ich denke, man kann sagen, dass schwule und lesbische Menschen aufgrund ihrer speziellen Sozialisation sensibilisierter sind für Fragen des An-den-Rand-Gedrängt-Seins oder der Besonderheit. Und dass man dieses Potenzial in Firmen sehr gut nutzen könnte. Denn eine Firma ist besser, wenn sie unterschiedliche Potenziale miteinander verbindet und einzelne Faktoren weniger als Schwäche sieht, sondern als einen konstruktiven Beitrag zum Ganzen."