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"Ein starkes Europa ist besser für Amerika"

Die Deutschen müssen in Europa eine Führungsrolle einnehmen, sagt der Publizist Andrew Denison. Das wirtschaftlich stärkste Land trage auch mehr Verantwortung für den Staatenbund als die schwächeren EU-Mitglieder. Die Rolle Deutschlands in Europa sei vergleichbar mit der der USA in der Welt.

Andrew Denison im Gespräch mit Anne Raith | 07.06.2011
    Anne Raith: Es gibt etwas zu feiern, offiziell zumindest, und da reist Angela Merkel gleich mit einem ganzen Tross an Ministern nach Washington. Dort soll die Kanzlerin heute Abend mit der höchsten Auszeichnung für Zivilisten geehrt werden, inklusive Staatsbankett. Das gab es zuletzt für Helmut Kohl, und zwar nach seiner Amtszeit. Doch die Feierlichkeiten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Vergangenheit auch Differenzen gegeben hat zwischen Deutschland und den USA. Mitgehört hat Andrew Denison. Er ist Politikwissenschaftler, Publizist und Direktor des Forschungsverbundes Transatlantic Networks. Einen schönen guten Tag!

    Andrew Denison: Guten Tag, Frau Raith.

    Raith: Herr Denison, ein privates Dinner, militärische Ehren, ein Staatsbankett, die höchste zivile Ehrung der USA, sind das alles Zeichen eines abgekühlten Verhältnisses?

    Denison: Ja. Aus der Krise kommt immer die Reform, könnte man sagen. Abgekühlt im Vergleich mit den Erwartungen, die man an Obama gehabt hat, und auch im Vergleich mit dem weiterhin sehr großen Unterstützungsraten hier in Deutschland für Obama. Aber zwischen den Regierungen gibt es Reibereien, kein Zweifel.

    Raith: Hat Angela Merkel da eine Chance verpasst, mit Obama sozusagen einen Neustart hinzulegen?

    Denison: Ich meine, Ihre Zuhörer dürfen nicht vergessen: An diesem Tag, wo Angela Merkel in Washington gelandet ist, dem 6. Juni 1944, sah die Welt ganz anders aus und Deutschland und Amerika haben Erstaunliches erreicht. Es ist ein Wunder, was in den letzten Jahrzehnten gekommen ist, und eindeutig verdient das eine Feier. Sie ist auch jetzt der erste europäische Staatschef, der so geehrt wird. Natürlich ein Zeichen nicht nur für die gleiche Weltanschauung, sondern auch für das Gewicht Deutschlands, denn es gibt ja auch Unterschiede.

    Raith: Aber doch werden Beobachter ja nicht müde zu betonen, dass es hakt. Auch Sie haben von Problemen gesprochen. Wo hakt es derzeit im deutsch-amerikanischen Verhältnis?

    Denison: Ich meine vielleicht so eine Großwetterlage, Arbeitslosigkeit macht die Außenpolitik kaputt. Keine Puste mehr haben die Amerikaner für Außenpolitik und Barack Obama hat auch wenig übrig, solange die Arbeitslosigkeit so nachhaltig hoch bleibt. Angela Merkel? Ja, sie hat auch Schwierigkeiten hier mit der Wirtschaft. Ganz schnell kommt dann auch die tiefe Sorge der Amerikaner, dass der Euro nicht eine Struktur hat, die ein langes haltbares Wachstum fördern kann, sondern die Probleme mit Griechenland, gerade Leitartikel in der New York Times heute, das muss man reparieren, sonst fällt Europa auseinander. Also da sind große Sorgen und die Amerikaner meinen schon - das ist eine Karikatur - die Deutschen schauen ein bisschen zu sehr auf ihre nationalen Interessen, sind ein bisschen zu zynisch über die Möglichkeiten ihrer Nachbarn.

    Raith: Hofiert Obama deshalb die Kanzlerin so, als Symbol für das, was er sich künftig von ihr wünscht?

    Denison: Ja, so ein bisschen, haben auch viele Kommentatoren gesagt, ein bisschen wie der Friedensnobelpreis, den Obama bekommen hat für noch nicht getane Sachen. Und so besteht auch natürlich weiter die Hoffnung, dass Deutschland sein Gewicht, sein wirtschaftliches Gewicht, seinen Wohlstand in Europa und um Europa für Frieden, Freiheit und Wohlstand einsetzt. Die Deutschen auf der anderen Seite sagen, oh, die Amerikaner, die sind blauäugig und die meinen, da kann man reformieren; höchstens kann man die Krisen eindämmen, und das geht nicht so schnell. Das zweite große Thema ist in der Tat dieser Kampf zwischen arabischem Frühling und arabischem Winter, der von Tunesien bis Jemen und Syrien und wer weiß noch wo morgen stattfindet. Also die Tagesordnung ist voll für die beiden.

    Raith: Präsident Obama ließ ja im Vorfeld auch wissen, dass er sich in der Libyen-Frage mehr Engagement von Deutschland wünscht. Glauben Sie, dass das deutsche Nein zu diesem Libyen-Einsatz noch einmal aufs Tableau kommt?

    Denison: Ja, im Hintergrund bleibt das schon. Aber ich denke, das war ein korrigierbarer Fehler. Ich meine, es war ein Fehler auch für deutsche Interessen, jetzt hier wohnend. Aber letztendlich: Es kann nicht sein, dass Deutschland nicht erkennt, was für ein unmittelbares Interesse es daran hat, dass aus diesem Krieg in Libyen langsam, aber sicher eine bessere demokratische und rechtsstaatliche Ordnung herauswachsen kann, denn das ist wirklich in unmittelbarer Nähe.

    Raith: Aber glauben Sie, dass das das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland nachhaltig belastet?

    Denison: Nein, weil die Interessen sind zu tief und das war auch ein innenpolitisches Problem. Amerikas großes Problem mit Deutschland, dass es eher auf seine innenpolitischen als auf seine außenpolitischen Interessen achtet. Aber wie gesagt, gemeinsame Interessen haben wir jede Menge und auch Werte, was wir wollen und wie wir das bekommen, rund um Europa. Ob es noch Zeit gibt für China und die Straße von Malakka und die globale Energieversorgung zehn Jahre in der Zukunft, ich weiß nicht. Sie haben natürlich wie jeder Politiker eine überlastete und mittelbare Liste von Sachen zu erledigen. Aber ich hoffe, dass sie eine Botschaft letztendlich bringen können, dass Deutschland mit Europa und Amerika gemeinsam wirklich viel mehr erreichen kann, als wenn jeder seinen eigenen Weg geht, und so ein Bankett lässt das auch gut feiern.

    Raith: Welche Rolle wünschen sich die USA denn in diesem Zusammenspiel von den Deutschen, eine Führungsrolle in Europa?

    Denison: Ich würde sagen schon. Ein starkes Europa ist besser für Amerika als ein schwaches Europa, ein geeintes Europa besser als ein zerstrittenes. Auch engagiert soll Europa sein. Ja, wir haben schon Vertrauen. Eher ist das Problem ein schwaches Europa als ein starkes Europa für Amerika. Und Amerikaner, schon lange Weltmacht, wissen, dass der Große muss manchmal mehr als nur seinen – wie sagt man? – Bruchteil der Arbeit tun, sondern Solidarität plus Extrabelastung, weil man der Größte ist, man denke daran, wie viel die Amerikaner für Diplomatie und Verteidigung ausgeben im Vergleich mit allen anderen der Welt, dass die Seewege offen sind, dass die Straße von Hormus auf ist. All das zählt! Deutschland muss das auch in Europa machen und Amerika ist unsicher, wie viel Druck kann es auf die Europäer ausüben, ihre Wirtschaft einzufordern, ihre Finanzkrise zu lösen und als globale Lokomotive in der Wirtschaft zu dienen, sodass letztendlich Obama wiedergewählt werden kann, weil die Arbeitslosigkeit endlich in Amerika auch sinkt.

    Raith: Zum Kanzlerinnenbesuch in Washington Einschätzungen des Politikwissenschaftlers und Publizisten Andrew Denison. Herr Denison, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Denison: Es war mir ein Vergnügen.