Freitag, 19. April 2024

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"Ein Zeichen der Hoffnung"

Der Tübinger Theologe und Kirchenkritiker Hans Küng sieht nach seiner Audienz bei Papst Benedikt XVI. den Beginn eines neuen Verhältnisses zwischen ihm und der Katholischen Kirche. Küng und Joseph Ratzinger kennen sich seit fast 50 Jahren und sahen sich jetzt sich jetzt zum ersten Mal seit 1983 wieder.

Moderation: Klaus Remme | 29.09.2005
    Klaus Remme: Ich habe vor der Sendung mit Hans Küng gesprochen und ihn zunächst gefragt, ob es stimmt, dass er frühere Gesprächsangebote Ratzingers abgewiesen habe.

    Hans Küng: Das ist eine ausgesprochene Fehlmeldung, die weiterkolportiert wird. Ich habe das nicht abgelehnt, im Gegenteil, wir haben eine Unterredung gehabt, lange Unterredung, in Bayern am Chiemsee im Jahre 1983, also nach der römischen Intervention, ich habe mich aber immer geweigert, mich einem Inquisitionsverfahren zu unterwerfen und deswegen nach Rom zu fahren. Weil ich da keine Akteneinsicht bekam, weil meine Verteidigung nicht genügend garantiert war und weil ich da überhaupt keine Chance sah, überhaupt durch ein solches Verfahren heil durchzukommen.

    Remme: Zurück zu dem Samstagabend. Die wenigsten werden sich mit den Gepflogenheiten solcher Gespräche auskennen. Waren Sie ganz allein mit dem Papst?

    Küng: Ja, ich war ganz allein mit dem Papst in seinem Arbeitszimmer, das ist allerdings nicht das Gewöhnliche, es war ja auch nicht einfach eine Audienz, sondern es war wirklich ein Gespräch, ich hatte darum gebeten, dass es ein Gespräch sein möge, wo man genügend Zeit hat und ich war natürlich sehr sehr froh, dass sich der Papst in außerordentlicher Weise so viel Zeit nahm, es waren über vier Stunden, wo wir alles besprechen konnten.

    Remme: Ich stelle mir das etwas merkwürdig vor: zwei Menschen, die sich einmal sehr gut kannten und die sich seinerzeit wöchentlich zum Abendessen trafen, die jetzt Jahre später Welten trennt. Wie äußerte sich dieser Kontrast?

    Küng: Nun, es war nicht, dass wir uns grad wöchentlich zum Essen getroffen haben, aber wir haben uns natürlich an der Universität oft gesehen, das ist gegeben mit der Natur der Sache. Es war ganz einfach und schlicht. Wir haben freundlich uns wieder begrüßt, er kam ja auch sehr freundlich auf mich zu, es ist auch kein großer Raum, und wir haben uns begrüßt, er hat gleich erinnert, es war ja 1983 das letzte Mal und ich sagte ja; und wir haben uns gesetzt und haben zunächst einmal darüber geredet, dass ich schon 1948 als junger Germaniker in Gregoriana war und so weiter und so hat sich das von selbst alles ergeben.

    Remme: Sie waren es ja, der Ratzinger seinerzeit als Theologe nach Tübingen geholt hat und Ihre Wege trennten sich dann ja in so ziemlich jeder Beziehung. Haben Sie vertraute Seiten an ihm wieder erkannt oder war das ein gänzlich anderer Joseph Ratzinger?

    Küng: Es war ein anderer Joseph Ratzinger, als ich ihn 83 zum letzten Mal gesehen habe, wo die Atmosphäre recht gespannt war und wo kein inneres Verstehen gegeben war. Jetzt sah ich ihn wieder, wie ich ihn von früher her kannte, ich kenne ihn seit dem Jahre 57, das war gleich nach der Publikation meiner Dissertation gewesen, da waren wir die beiden Jüngsten gewesen da auf einem Theologenkongress in Innsbruck und ich kenne ihn so, wie ich ihn in meinen glücklicheren Tübinger Jahren gekannt habe.

    Remme: Haben Sie sich geduzt?

    Küng: Wir haben uns nie geduzt, das war damals nicht üblich, es ist auch jetzt noch relativ nicht selbstverständlich in deutschen Universitäten, dass sich Kollegen alle duzen. Das war damals nicht so und ist auch heute nicht der Fall. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man auch mit der Sie-Regel, wie man die im Germanicum nannte, wo auch sogar das Duzen verboten war, dass man auch mit der Sie-Regel ganz gut durchkommt.

    Remme: Herr Küng, Sie haben offenbar schon im Vorfeld deutlich gemacht auch die Lehrbefugnis nicht zurückfordern zu wollen in diesem Gespräch. War das eine Art Vorbedingung für dieses Treffen?

    Küng: Nein, das war in keiner Weise eine Vorbedingung, aber hat es sicher dem Papst erleichtert, dass ich das eben nicht wollte und ich habe ja auch die Begründung gegeben, weil ich nach 1979 gezeigt zu haben meine, dass ich notgedrungen auch ohne eine solche Missio canonica Theologie treiben kann, die in und außerhalb unserer Kirchengemeinschaft als katholisch anerkannt war und auch ist, die ich aber andererseits auch niemandem als katholisch, als die Katholische aufdrängen wollte.

    Es war mir bewusst und darauf habe ich auch Bezug genommen, dass er sich ja darüber im Klaren ist, dass ich dabei Anliegen vertrete, die von großen und gewichtigen Teilen unserer katholischen Kirche mitgetragen werden, aber ich habe ausdrücklich geschrieben, es geht mir nicht um meine Person, sondern um die gemeinsame Sache und das wäre für viele in aller Welt ein unübersehbares Hoffnungszeichen dieses Pontifikats, wenn es zu einem solchen Gespräch käme.

    Remme: Offiziell hieß es danach, in diesem Rahmen sei eine Erörterung Ihres Konflikts nicht sinnvoll gewesen. Lässt das den Schluss zu, in anderem Rahmen schon?

    Küng: Ja, das würde aber heißen, dass man sich einem solchen Verfahren der Glaubenskongregation unterzieht und das habe ich immer abgelehnt, weil bis heute auch die selbstverständliche Bedingung für einen Zivilprozess, Seminarprozess, was immer, nicht gegeben ist, dass man volle Akteneinsicht bekommt in das Dossier, das unterdessen sehr angeschwollen sein muss und nach wie vor nicht genügend Gewähr gegeben ist, dass man hier eine objektive Behandlung hat, das ist eben nach wie vor ein Gerichtshof, der von vornherein recht hat.

    Remme: Herr Küng, man muss ja nicht über Ihren Konflikt mit dem Vatikan reden und kann doch trefflich streiten. Sie sehen die Kirche in einer schweren inneren Krise, haben Sie darüber geredet?

    Küng: Wir haben nicht vor allem über die innere Krise gesprochen, sondern wir haben über die großen Aufgaben der Kirche in der heutigen Welt gesprochen. Die Herausforderungen, vor die die katholische Kirche und die Christenheit überhaupt heute gestellt sind, vor allem eben das Verhältnis des christlichen Glaubens zu den Naturwissenschaften und die Fragen eines gemeinsamen Weltethos.

    Remme: Was haben Sie am Samstag als Fazit aus dem ja doch ausführlichen Gespräch mitgenommen?

    Küng: Ich habe als Fazit mitgenommen, dass dieser Papst nicht wie man es ja auch annehmen konnte nach seiner Wahl einfach rückwärts gerichtet ist und nur die Bastionen noch ausbauen will, die zum Teil ja geschleift waren, sondern dass er ein Papst ist, der nicht schon in allen Dinge festgelegt ist sondern durchaus zu noch Überraschungen fähig ist und das war die erste große Überraschung, die er sich doch nun gestattet hat, die im Vatikan mindestens so überrascht hat wie in der Welt.

    Remme: Bereuen Sie nun, dass Sie sich direkt nach Wahl eher enttäuscht über die Wahl Ratzingers geäußert haben?

    Küng: Nein, warum soll ich das bedauern, nicht wahr? Es war für mich eine Riesenenttäuschung, weil er sicher nicht mein Kandidat war. Das wusste er auch. Das ist ja das Schöne an dieser Unterredung gewesen, wir haben uns ja nichts vorgemacht.

    Ich habe auch gleich geschrieben, er wüsste ja, dass ich viele Dinge anders sehe und aber allerdings auch, dass ich trotz aller Kritik nach seiner Wahl in meinem Urteil mich zurückgehalten habe und ja auch ziemlich viel zitiert wurde, man soll diesem Papst jedenfalls das zubilligen, was man einem amerikanischen Präsidenten zubilligt, dass er mal hundert Tage sozusagen Schonfrist hat und man sich erst mit der Zeit ein Urteil bildet. Und das habe ich gemacht.

    Remme: Gab es einen Moment in diesem Gespräch, wo Sie wirklich gedacht haben: hoppla, das ist eine Überraschung, damit hätte ich jetzt nicht gerechnet?

    Küng: Ja, also für mich war eine freudige Überraschung gleich am Anfang als ich erzählte, ich sei in Berlin-Potsdam gewesen, in dem Einsteinkongress der Academia Europaea und dass ich da über den Urstand des Kosmos vor Physikern und Naturwissenschaftlern allgemein und Philosophen geredet habe, wo ich gleich merkte, dass er da ganz und gar lebendig aufhorchte und sagte: ja, das ist natürlich ungeheuer wichtig und ich danke Ihnen, dass Sie mir das Buch "Der Anfang aller Dinge" über Naturwissenschaften und Religion geschickt haben, das ist es genau, was es braucht heute, diesen Dialog und es ist auch ins Communiqué eingegangen, dass er mich ermutigt hätte in diesem Dialog, weil er die theologische Landschaft genügend überblickt in Deutschland und weiß, dass das kaum ein anderer Theologe auf diesem Niveau in dieser Form treibt.

    Remme: Wie sind Sie auseinandergegangen, haben Sie ein weiteres Treffen vereinbart?

    Küng: Nein, wir haben kein weiteres Treffen vereinbart, wir hatten ohnehin zu sehen, dass es mit dem Communiqué klappt. Auch das ist ja eine neue Form, er hätte ja einfach das entweder verschweigen können, dass ich überhaupt da war oder er hätte die übrigen (...) machen können, wo die Audienzen angegeben sind, wer da kam.

    Nein, er hat vorher schon gesagt, wir machen gemeinsam ein Pressecommuniqué, damit das nicht missverstanden wird und das hat er selber dann formuliert und ich habe das in Tübingen bekommen und hatte praktisch nur eine kleine grammatikalische Veränderung und dann konnte es sofort veröffentlicht werden. Es war nichts, was mir irgendwie in dem ganzen Vorgehen missfallen hat.

    Remme: Letzte Frage, Herr Küng. Wir haben an dieser Stelle hier im Deutschlandfunk im vergangenen November miteinander gesprochen. Ich fragte Sie damals nach den Chancen einer Aussöhnung mit dem Vatikan und Sie sagten, in diesem Pontifikat kommt die nicht mehr. Wie wahrscheinlich ist die Aussöhnung jetzt durch den neuen Papst und dieses Gespräch geworden?

    Küng: Ja nun, das ist ja jedenfalls mal eine persönliche Aussöhnung, das kann man ja wohl sagen, sofern das überhaupt ein Streit unter Personen war. Wir haben ja in der ganzen Zeit von beiden Seiten nie uns persönlich schlechtgemacht, im Gegenteil.

    Ich habe auch schon im ersten Brief geschrieben, dass eben doch der gegenseitige menschliche Respekt bei allen Kontroversen erhalten blieb, insofern braucht es da nicht eine persönliche Aussöhnung, aber es ist natürlich doch eine sehr erfreuliche und unerwartete Entwicklung, dass wir uns nun in freundschaftlicher Atmosphäre - das ist ja das Wort, das er selber kreiert hat für das Communiqué, wir fanden uns in freundschaftlicher, nicht nur in freundlicher, in freundschaftlicher Atmosphäre, und so war es in der Tat und insofern ist das glaube ich doch auch für viele Menschen, die jetzt daran Anteil genommen haben, wie ich anfangs sagte, eben ein Zeichen der Hoffnung.

    Remme: Wenn wir jetzt noch einmal weggehen von den Namen, von den Personen, ist die Aussöhnung zwischen der Institution Kirche und Ihnen größer geworden?

    Küng: Ja, wissen Sie, das kann man ja auch etwas der Geschichte überlassen. Ich habe auch damals schon gesagt, 1987 bei der großen Kontroverse, ich denke nicht daran, mich auf diese Problematik für mein Leben festzubinden, im Gegenteil, jetzt brechen wir auf nach neuen Ufern und segeln mal mutig gegen den Wind voran und das hat sich gezeigt, dass ich da zu unerwartet vielen neuen Ufern kam im Kontext der Weltreligion, des Weltfriedens, des Weltethos und das ist vom Papst sehr gewürdigt worden und insofern ergänzt sich ja das durchaus, was er nun auf seine Weise will und das, was ich sozusagen außen an den Fronten der Welt tue.

    Remme: Der Tübinger Theologe Hans Küng nach seinem Gespräch mit Papst Benedikt XVI.