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"Eine Angst, den Mund aufzumachen"

Nach den NSA-Enthüllungen schweigen Intellektuelle und Schriftsteller zu Barack Obamas Überwachungsstaat - in den USA noch mehr als in Europa. Demnächst wollen zumindest ein paar ihre Haltung in größerem Rahmen demonstrativ deutlich machen, beim Literaturfestival in Brooklyn.

Von Jürgen Kalwa | 31.08.2013
    Das Brooklyn Book Festival ist eine der größten Veranstaltungen seiner Art in den USA. Es bringt jedes Mal rund 200 Autoren zusammen und bietet an einem einzigen Tag eine Flut an Workshops, Lesungen und Podiumsdiskussionen auf.

    Versteckt in dem Paket in diesem Jahr: ein Programmpunkt, der in jedem anderen Land vermutlich plakativ herausgestellt worden wäre. Hier wirkt er mehr wie eine Pflichtübung. Das Event wird wohl nur eine Stunde dauern. Auch wenn das Thema "Something to Hide: Writers Against the Surveillance State”, "Etwas zu verbergen: Schriftsteller gegen den Überwachungsstaat” ganz beachtlichen Zündstoff birgt.

    Das wirkt, als ob sich amerikanische Autoren nicht von einem Staat bedrängt und bedroht fühlen, der ihre Telefongespräche und E-Mails ausspäht.

    Die Schriftstellerin Francine Prose war in den Jahren 2007 bis 2009 Präsidentin des PEN American Center und war in dieser Funktion 2008 in Miami für eine ähnliche Veranstaltung verantwortlich. Sie erklärt die Zurückhaltung so:

    ""Es gibt viele Gründe, warum man von uns nichts hört. Niemand ist sich sicher, was man tun und wo man anfangen soll. Es gibt so viele Probleme. Das überwältigt Menschen. Ich und noch mehr die jüngeren Autoren, wir sind ein wenig desillusioniert. Was kann man denn gegen die NSA tun? Ich unterschreibe Petitionen. Es ist schwer. Die Presse berichtet weder über Proteste und noch über die Opposition.”#

    Prose hat zahlreiche Romane, aber auch Sachbücher geschrieben. Einige von ihnen – wie "Lügen auf Albanisch” oder "Am Tag danach” – sind auch auf Deutsch erschienen. Sie hat keine Scheu, sich als Anhängerin der amerikanischen Linken zu identifizieren. Auch wenn seit dem 11. September 2001 über dem geistigen Leben des Landes ein bleischwerer Schleier schwebt, der vieles erstickt. Nicht zuletzt eine lautstarke Debatte über all das, was im Argen liegt.

    ""Besonders heimtückisch finde ich – und ich weiß gar nicht genau, was es ist – eine Angst. Sie existiert seit 2001. Eine Angst, den Mund aufzumachen, Ärger zu verursachen, das Falsche bei einer Dinner-Party zu sagen.”"

    Es ist eine Stimmung, mit der man in den Bush-Jahren scheinbar besser umgehen konnte. Man konnte diese Angst auf die Politik und die Allmachtsfantasien des damaligen Präsidenten zurückprojezieren. Seit der vermeintliche Hoffnungsträger Obama regiert, tun sich Amerikas Intellektuelle schwer, ihn als denselben Beelzebub zu identifizieren. Auch wenn der Vorrat an Sympathie allmählich aufgebraucht ist.

    Dabei hatte es zwischendurch durchaus so etwas wie politischen Aufwind gegeben. 2011, als Tausende von jungen Menschen mit der Occupy-Wall-Street-Protestaktion das aufgestaute große Unbehagen mit einem eingängigen Slogan auf den Punkt brachte: "Wir sind die 99 Prozent”. Die spontane Bewegung belebte eine simple Idee neu, wonach in der Demokratie die Mehrheit der Wähler die Politik eines Landes bestimmen sollte. Doch der Idealismus verpuffte. Francine Prose:

    ""Ich war sehr traurig, als das ausgelöscht wurde. Endlich redete jemand über die ein Prozent und die Banken und über diejenigen, die die Kontrolle über das Land haben. Was ist passiert? Es wurde gestoppt. Das war eine weitere riesige Lektion für uns.”"

    Bei aller Melancholie gibt es jedoch keine Alternative, sagt Prose, die beim Brooklyn Book Festival während des Programmpunkts "Überwachungsstaat” einen Text des kubanischen Schriftstellers Reinaldo Arenas lesen wird. Ihr Beitrag, um das Thema lebendig zu halten. Ganz in der Tradition des PEN.

    ""Das Schlimmste ist, gar nicht mehr darüber zu reden. Es ist wichtig, dass die Menschen Bescheid wissen. Vielleicht tut ja jemand etwas.”