Freitag, 10. Mai 2024

Archiv


Eine Auswahl an Juwelen

Er spricht fünf Sprachen fließend. Latein, Hebräisch und Altgriechisch kann er zumindest lesen. Er dirigiert, spielt Klavier, schreibt Gedichte, die es bis auf die Theaterbühne schaffen. Und zu allem Überfluss ist er auch noch eine Sportskanone, von Kopf bis Fuß durchtrainiert. Der gebürtige US-Amerikaner Tzimon Barto ist ein Typ, der einem Angst machen kann.

Von Maja Ellmenreich | 23.07.2006
    Scheinbar ein Alleskönner. Bisher haben wir uns in Sicherheit geglaubt, darauf vertraut, dass es die so genannte Eier legende Wollmilchsau nicht gibt. Doch mit seiner neuen CD liefert Tzimon Barto den Gegenbeweis: Was auch immer er anfasst, es wird zu Gold!

    " Musikbeispiel: Jean-Philippe Rameau: "La Triomphante" aus "Nouvelles Suites (1728)""A Selection of Keyboard Jewels by Jean Philippe Rameau" - diesen funkelnden Untertitel hat Tzimon Barto seiner neuen CD gegeben, die vor kurzem bei dem finnischen Label Ondine erschienen ist: Eine Auswahl an Juwelen, die Rameau also für Tasteninstrumente komponiert haben soll.

    Doch Jean-Philippe Rameau hat zu Beginn des 18. Jahrhunderts seine zahlreichen Miniaturen nicht für irgendwelche Tasteninstrumente geschrieben - das damals neuartige Fortepiano ignorierte er und komponierte ausdrücklich für das "Clavecin", das Cembalo.

    Die Verfechter der historischen Aufführungspraxis folgen bei Rameaus "Pièces de clavecin" dem Willen des Komponisten - Tzimon Barto aber setzt sich mit seiner neuen CD darüber hinweg. Er spielt Rameau nicht auf dem zart klingenden, obertonreichen Cembalo, sondern lässt mit seinem Tastendruck Filz besetzte Hämmer auf die Saiten eines modernen Konzertflügels schnellen.

    " Musikbeispiel: Jean-Philippe Rameau: "Les Niais de Sologne & Deuc Doubles" aus "Pièces de clavecin (1724)"

    Tzimon Barto - ein bekennender Bodybuilder - macht bei der neuen Rameau-Einspielung von seiner Muskelkraft Gebrauch.

    Im Begleitheft zur CD behauptet er nicht ganz ohne Stolz - wie er gesteht, dass er über eine Palette von 36 dynamischen Farben zwischen "piano pianissimo" und "forte fortissimo" verfüge.

    Nun ist es für den Hörer schwierig, die genaue Zahl nachzuvollziehen oder zu überprüfen. Doch in der Tat beeindruckt Tzimon Barto mit seiner Fähigkeit zur dynamischen Abstufung: Als würde er an einem Mischpult sitzen und einen stufenlosen Lautstärkeregler bedienen, scheint es.

    Dasselbe trifft auch auf die Intensität des Anschlags zu: Mal hämmert, drischt er geradezu auf die Tasten ein - dann plötzlich stechen die Töne wie spitze Nadeln hervor - und schließlich entlockt er dem Instrument hauchzarte, nur so dahingetupfte Klänge. Man mag sich kaum vorstellen, dass Tzimon Barto die Tasten dafür überhaupt berührt hat. Er wird wohl die sprichwörtlichen Samthandschuhe übergestreift haben.

    " Musikbeispiel: Jean-Philippe Rameau: "Tambourin" aus "Pièces de clavecin (1724)""Versuch nie auf dem Klavier zu spielen als sei es ein Cembalo!" erinnert sich Tzimon Barto im CD-Booklet an die Worte seiner Lehrer. Und die Mahnungen haben offensichtlich ihre Wirkung getan.

    Nun ist Tzimon Barto wahrlich nicht der einzige, der sich mit Cembaloliteratur an einen modernen Flügel herantraut. Doch selten mutet das Ergebnis so reiflich überlegt an.
    Der Perfektionist Tzimon Barto setzte sich mit den Eigenheiten der beiden Instrumente und mit der Literatur intensiv auseinander: Die Klangfarben des Cembalos zum Beispiel - mit all ihren Nuancen und Schattierungen - die kann er dem Klavier nicht entlocken, kompensiert sie dafür mit dynamischem und spieltechnischem Abwechslungsreichtum.

    Auch die Verzierungen forderten von Barto eine Entscheidung: Die meisten Cembalisten folgen in diesem Punkt den Empfehlungen Rameaus: Der hat allen Sammlungen seiner Cembalostücke Verzierungstabellen beigefügt. Nach Lust, Laune und Können sollten sich die Interpreten seiner Musik daraus bedienen. So hat es 1989 auch der Cembalist Christophe Rousset getan, als er die "Pièces de clavecin" einspielte. Eine Referenzaufnahme.

    " Musikbeispiel: Jean-Philippe Rameau: "Prélude" aus "Premier Livre de Piéces de Clavecin (1706)"
    Christophe Rousset, Cembalo (L'Oiseau-Lyre 425 886-2, LC 0171)"

    Während Christophe Rousset beim "Prélude" aus Rameaus "Premier Livre" von 1706 aus dem Vollen schöpft, die Zwischenräume zwischen den Noten ausfüllt mit allen Spielarten der Verzierungslehre: mit Trillern, Vorschlägen und kaskadenartigen Läufen - beschränkt sich Tzimon Barto bei der Interpretation derselben Komposition auf das Nötigste.

    " Musikbeispiel: Jean-Philippe Rameau: "Prélude" aus "Premier Livre de Piéces de Clavecin (1706)"

    Die Aufmerksamkeit des Zuhörers wird besonders im ersten Teil des "Préludes" auf die Probe gestellt: Erst kurz bevor der Spannungsbogen wie ein dünner Faden zu reißen droht, setzt Tzimon Barto sein geradezu meditatives Spiel fort. Verzierungen benötigt er also nicht, um die Töne zu verbinden - ihm steht das Pedal des modernen Konzertflügels zur Verfügung. Doch ruht er seinen Fuß nicht darauf aus, sondern dosiert auch hier wieder den Einsatz mit Bedacht. Meine Empfehlung: Gerade bei den langsamen Stücken lohnt es sich, auch wenn es dieser Tage darunter heiß wird, den Kopfhörer aufzusetzen und nicht nur den Tönen zu lauschen, sondern insbesondere ihr Verklingen zu genießen.

    Tzimon Barto, der sich bisher mit klassischem und vor allem romantischem Repertoire hervorgetan hat, stellt uns auf seiner neuen CD einen anderen, einen neuen Jean-Philippe Rameau vor. Technisch perfekt - das muss man bei Barto eigentlich kaum noch erwähnen - zeichnet sich sein "moderner Rameau" durch ungeheure Musikalität aus. Barto hat aus dem "Premier Livre", den "Pièces de clavecin"-Sammlungen von 1724 und den "Nouvelles Suites" eine überzeugende Auswahl getroffen und diese kurzen Stückchen wirklich auf Hochglanz poliert.

    Von "Keyboard Jewels" ist - wie gesagt - auf dem CD-Cover die Rede. Und wem die "Juwelen" beim ersten Lesen ein wenig kitschig und pathetisch daherkommen, der ändert seine Meinung vielleicht, wenn er Bartos neue CD gehört hat.

    " Musikbeispiel: Jean-Philippe Rameau: "La Joyeuse" aus "Pièces de clavecin (1724)""

    Der amerikanische Pianist Tzimon Barto spielt Cembalomusik von Jean-Philipp Rameau. Auf dem Titel der neuen CD ist ein Gemälde von Rameaus Landsmann und Zeitgenossen Jean Siméon Chardin abgebildet, darauf ein Korb mit Walderdbeeren. "A Basket of Wild Strawberries" ist die CD überschrieben. Erschienen ist sie vor kurzem bei dem finnischen Label Ondine.

    Diskografie
    Titel: "A Basket of Wild Strawberries - A Selection of Keyboard Jewels by Jean-Philippe Rameau"
    Solist: Tzimon Barto, Klavier
    Label: Ondine
    Labelcode: LC 3572
    Bestell-Nr.: 1067-2