Archiv


"Eine edle Gestalt guten, heldenhaften Frauentums"

England im 19. Jahrhundert: Das britische Empire unter Königin Victoria befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Macht: Für Frauen der gehobenen Stände wie Florence Nightingale sieht die Gesellschaft nur die Rolle als Hausfrau und Mutter vor.

Von Frank Kempe |
    Doch es ist ihr zu wenig, schöne Kleider zu tragen, auf Bälle zu gehen und auf einen Mann zum Heiraten zu warten – schon früh rebelliert sie dagegen.

    Ich hasste die Vorstellung, für immer an die Konventionen der besseren Gesellschaft gebunden zu sein.

    Geboren wurde Florence Nightingale am 12. Mai 1820 während der zweijährigen Hochzeitsreise ihrer Eltern in Florenz – daher auch ihr Vorname. Schon als Kind träumte sie davon, Krankenschwester zu werden.

    All meine Gedanken kreisten um Krankenhäuser, und ich ließ keine Gelegenheit aus, eines zu besuchen. Das erzählte ich natürlich niemandem. Man hätte mich nur ausgelacht.

    Als die Eltern – Großgrundbesitzer – davon erfuhren, versuchten sie ihr die Pläne auszureden – vergebens. Gegen den Willen der Familie ließ sich Florence Nightingale 1851 – mit 31 Jahren – im kleinen Ort Kaiserswerth, heute ein Stadtteil von Düsseldorf, zur Krankenschwester ausbilden: in der Diakonissenanstalt von Pastor Theodor Fliedner. Beeindruckt von dessen Reformen auf dem Gebiet der Krankenfürsorge kehrte sie nach England zurück.

    April 1854: Erste englische Kriegsschiffe landen bei Gallipoli, um in den Krim-Krieg einzugreifen. England unterstützt zusammen mit Frankreich das auseinanderbrechende Osmanische Reich im Kampf gegen den Expansionsdrang Russlands. Als Zeitungen über die katastrophalen Zustände in den Lazaretten berichten, bietet Florence Nightingale der Regierung ihre Hilfe an. Mit 38 weiteren Krankenschwestern macht sie sich im Oktober 1854 auf den Weg. Was sie dort vorfindet, übersteigt all ihre Befürchtungen:

    Ich habe die schlimmsten Viertel der meisten Großstädte Europas gründlich kennengelernt, aber noch nie habe ich eine Luft geatmet wie hier nachts in dem Barackenlazarett.

    Die meisten Soldaten sterben an vermeidbaren Krankheiten, nicht an ihren Kriegsverletzungen. Das Erste, was Florence Nightingale beschafft, sind 200 Scheuerbürsten und Aufnehmer, um die Krankensäle zu reinigen. Die Sterblichkeitsrate sinkt rapide. Trotzdem muss sie gegen die Feindseligkeit der Militärs ankämpfen. Nach Hause schreibt sie:

    Hier gibt es keinen, der mich - wenn er nur könnte – nicht verbrennen würde wie die Jungfrau von Orleans. Aber sie wissen, dass das Kriegsministerium mich nicht vor die Tür setzen kann, weil die Nation auf meiner Seite steht.

    Vor allem die einfachen Soldaten verehren sie. Henry Wadsworth Longfellow macht sie unsterblich mit dem Gedicht "Lady with a lamp”, die Dame mit der Lampe:

    Siehe, in jener Stunde der Trübsal sehe ich eine Frau mit einer Lampe durch die flimmernde Dunkelheit wandeln und von Zimmer zu Zimmer huschen. Eine Frau mit einer Lampe in der großen Geschichte eines Landes, eine edle Gestalt guten, heldenhaften Frauentums.

    Sie wurde gefeiert als Engel der Barmherzigkeit, überhäuft mit Ehrungen und Geschenken, auch von Königin Victoria. Obwohl selbst gesundheitlich schwer angeschlagen, gründete sie in London eine Schwesternschule und arbeitete als Beraterin für die Regierung. In einer Tonaufnahme aus dem Jahr 1890 sprach sie über ihre wichtigste Mission:

    "Wenn ich selbst in der Erinnerung nicht mehr als ein Name bin, hoffe ich, dass meine Jungs mein großes Lebenswerk in die Geschichte einschreiben."

    Mit "Jungs" waren die Soldaten im Krim-Krieg gemeint. Sie vergaßen ihre Verdienste genauso wenig wie der Schweizer Henry Dunant:

    Obgleich man mich den Gründer des Roten Kreuzes und den Urheber der Genfer Konvention nennt, gebührt die Ehre dafür einer Engländerin. Was mich im Jahre 1859 bewog, auf die italienischen Kriegsschauplätze zu reisen, war Miss Nightingales Werk im Krim-Krieg.

    Florence Nightingale starb am 13. August 1910 im Alter von 90 Jahren in London. Bis zuletzt hielt sie an ihrem Lebensmotto fest: "Wenn man mit Flügeln geboren wird, sollte man alles dazu tun, sie zum Fliegen zu benutzen".