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Eine Frage der Rechnung

In Deutschland mangelt es an qualifizierten Arbeitskräften. Doch mit den Zahlen ist das so eine Sache. Sie können verschieden erhoben und interpretiert werden, wie der Zahlenwirrwarr um Ingenieure in Deutschland zeigt.

Von Philip Banse |
    Haben wir nun zu wenig MINT-Ingenieure, also Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler und Techniker? Oder sind die Klagen über einen Ingenieurmangel Propaganda der Industrie, die nach mehr Ingenieuren verlangt, um die Löhne drücken zu können? Das lässt sich leider nicht ganz ohne ein paar Zahlen beantworten.

    Das industrienahe Institut der Deutschen Wirtschaft sagte heute: Die Lücke ist so groß sei wie nie zuvor, seit wir begonnen haben, sie zu vermessen. Danach fehlen aktuell knapp 210.000 MINT-Fachkräfte. 210.000 MINT-Stellen also, die aktuell nicht besetzt werden können. Nur um diese Lücke nicht noch größer werden zu lassen, sagt das Institut der Deutschen Wirtschaft, brauche Deutschland jedes Jahr gut 100.000 MINT-Absolventen. 100.000 Absolventen - diese Zahl ist sogar fast erreicht: 98.000 haben zuletzt ein MINT-Studium abgeschlossen. Das reiche aber nicht mal, um die MINT-Lücke konstant zu halten, sagt der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther:

    "Hier hat sich etwas bewegt. Obwohl die steigenden Erstsemesterzahlen in MINT-Fächern zu einer weiteren Zunahme führen dürften, wird die MINT-Lücke weiterhin leicht zunehmen. Das Problem ist noch lange nicht gelöst."

    Ganz anders klingt das aus dem Mund von Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung:

    "Wenn ich mir die Beschäftigungsentwicklung auf der einen Seite ansehen und mir dann ansehe, was aus den Hochschulen kommt, dann können wir feststellen, dass das, was als Bedarf gesamtwirtschaftlich entstehen könnte, mehr als gedeckt wird durch die Zahl der Hochschulabsolventen."

    Ja, was denn nun? Die einen sagen: Obwohl immer mehr MINT-Fächer studieren, wird die Lücke immer größer. Das DIW sagt: Die Lücke wird nicht nur geschlossen, es wird auch einen Überschuss an MINT-Kräften geben. Der Unterschied kommt so zustande: Karl Brenke vom DIW schaut sich nur den industrienahen Arbeitsmarkt an, also nur Stellen, die in der Industrie explizit für studierte Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler oder Techniker ausgeschrieben sind. Nach dieser Rechnung braucht Deutschland jedes Jahr nur 32.000 neue MINT-Ingenieure - nicht über 100.000, wie das Institut der deutschen Wirtschaft behauptet.

    Dieser viel größere Bedarf an MINT-Absolventen kommt zustande, weil die Wirtschaft sagt: Mathematiker, Informatiker und Naturwissenschaftler werden nicht nur auf expliziten Mathematiker, Informatiker- oder Physikerstellen in der Industrie gebraucht. Tausende MINT-Akademiker, sagt Wirtschaftsforscher Hüther, arbeiteten auch im Vertrieb, als Apotheker oder Gartenbauingenieure.

    Zudem müssten noch mehr Frauen für MINT-Fächer gewonnen werden, sagte Thomas Sattelberger von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Von 100 MINT-Studierenden sind heute 31 Frauen, über mehrere Jahre ein mageres Plus von einem Prozent.

    "Um noch mehr Frauen für MINT-Fächer zu gewinnen, Bedarf es einer umfassenden Strategie an der Hochschule selbst, von einer Kinderbetreuungs-Infrastruktur über berufsbegleitende und Teilzeit-Studiengänge bis hin zu mehr weiblichen MINT-Professorinnen."