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Eine schwäbische Autorin

Wer Maria Beig kennen lernen möchte, dem sei "Hermine. Ein Tierleben" als erste Lektüre empfohlen. Begeisterte Maria-Beig-Leser erfahren in "Ein Lebensweg" viel über die biografischen Hintergründe und die Entstehung ihrer Romane.

Von Daniela Kletzke | 20.10.2010
    Heute lebt Maria Beig in Immenstaad am Bodensee, nicht weit von ihrem Geburtsort Senglingen. Fotografien aus früheren Jahren zeigen eine kräftige, manchmal schwermütige Frau. Die 90-Jährige ist wach und vogelleicht. Sie war das siebte von später elf überlebenden Kindern armer oberschwäbischer Bauern. Den Eltern kam diese Tochter schon früh zu dickköpfig und untersetzt vor, um einen Mann zu finden, zu eigenbrötlerisch und empfindsam für das Leben auf dem Bauernhof, eine Heulsuse.

    Beig: "Schon als Kind war i ebbe empfindlich, hat man gesagt. 'Die ist empfindlich.' Und hab' mir ebben vieles nicht gefallen lassen. Han i oft geheult. Und drum war i a Heulsuse, hat man gesagt, en Plärrere."
    Merkwürdig fanden Eltern und Geschwistern auch Marias Beziehung zu Tieren.

    "Immer wieder sind bei mir Tiere gekommen. Und i han mit dene Tiere auch furchtbar gelitten, schon klein, wenn eins krank war, a Kuh oder a Gaul oder so, das hat mich immer so mitgenommen."

    Ein Leben lang sind die Tiere für sie ein Gegenüber, rätselhaft, unbeherrschbar, eigensinnig wie sie selbst.

    "Da hat en Gaul, der hat immer so klopft mit seinem Huf, in der Nacht auch, vor lauter Schmerzen, und immer so gleichmäßig klopft, und das hat mi – ich hab nimmer schlafe könne. Und da hat der Bruder gesagt, dass ist doch jetzt auch ein krankes Tier, die sind auch krank, da brauchst doch it heule. Und die haben mich verfolgt es ganze Lebe, die Viecher."

    1984, mit 64 Jahren, veröffentlicht Maria Beig den Roman "Hermine. Ein Tierleben". Sie erzählt das Leben einer Bauerstochter als Abfolge von 64 Unglücksfällen mit Tieren. Das Buch erinnert an ein mittelalterliches Bestiarium. Für einen Lebensabschnitt reicht manchmal eine halbe Seite, eine kurz notierte Katastrophe mit Pferd, Krähe, Maulwurfsgrille, Hund und Hahn. Maria Beig erweist sich als Meisterin des knappen, beschleunigten Erzählens und der Auslassung.

    "Ischt halt beim Schreibe, da kann man viel dazwischen nei schreibe und dann wird's Lebe länger. Aber wenn man des weglasst, dann kommt's einem vor als wär's schnell gange. Das ist halt, wenn man schreibt, da gaht's schneller wie wenn man's lebt. Da wird's dann drastischer, wenn's schneller geht."

    58 Jahre ist Maria Beig alt, als sie sich als Lehrerin pensionieren lässt und zu schreiben beginnt.

    "Da bin i irgend in ne ganz böse Zeit nei komme, das waren also die Wechseljahre, da bin i schwermütig worde und han nimmer schlafe könne nachts. Da war das dann wie ne Erlösung wenn i han etwas schreibe könne, dass i von denne Gedanke, von denne schwere, wegkommen bin. Vor allem hat mir's Spaß gemacht. Da han i schnell alles geschafft im Haushalt, das i bloß wieder da nei komme bin, zum Schreibe. Aber das war eben nach dem Berufslebe, ja. Solang i ind Schul' gange bin, hätt' i auch ka Zeit g'habt."

    Maria Beigs Werk, das sind acht Romane und vier Bände mit Erzählungen. Sie hat sie zwischen ihrem 58. und ihrem 82. Lebensjahr geschrieben, und dann, nach langer Krankheit, 2009 den autobiografischen Bericht "Ein Lebensweg" vorgelegt.
    Ihr erster, 1982 erschienener Roman "Rabenkrächzen" erzählt von vier Generationen auf vier Höfen im Oberschwäbischen, von der Jahrhundertwende bis in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Zeitlich und geografisch hat sie damit den Raum durchmessen, in dem auch alle ihre späteren Romane angesiedelt sein werden.

    In ihrem nächsten Buch wendet sich Maria Beig den ledigen Frauen auf den Höfen zu, den Übriggebliebenen, die ihr ganzes Leben auf dem Hof von Vater, Bruder oder Schwager schwer schufteten. Vier solcher Schicksale beschreibt sie in dem 1983 erschienen Band "Die Hochzeitlosen".

    "Oi, Tante von mir, also oi Schwester von meinem Vater, die hätt' nicht g'heiratet und die ist alt worde. Des war dann halt ihre Lebe lang dann a Magd bei ihrem Bruder. Die isch des Vorbild von de Babette in de Hochzeitlose."

    Babette in den Hochzeitlosen geht mit vierzehn Jahren als Magd zu einem Vetter, damit ihr kleiner Bruder einmal dessen Hof erbt. Sie hat heimliche Liebesbeziehungen mit dem Postboten, dem Jäger und dem Pfarrer, wird verrückt, feiert im Keller heilige Messen, und kommt rechtzeitig wieder zu Verstand, um in der Zeitung die Todesanzeigen ihrer Geliebten zu lesen. Knapp vierzig Seiten braucht Maria Beig für diese Erzählung. Ein Satz verzeichnet einen Schicksalsschlag, im nächsten lehnt Babette sich auf, im übernächsten stolpert sie aus Liebeshunger in eine neue Notlage. Maria Beig hat ein Leben erzählerisch beschleunigt und Kontur gewinnen lassen, in dem jahrzehntelang eigentlich gar nichts geschah, wie sie meint.

    "Wenn i die Babette nehm', da isch it viel passiert in dere Lebe. Und doch war's a tragisch Lebe. Da kann ma schon au a Hass kriege. Wo heißt Hass. Aber kann's heut nimmer für möglich halte, das so was war. Dass man Leute so unterdrückt hat und nix gelte lasse hat."

    Falls das Gefühl der Empörung je in ihre mit Druckschrift geschriebenen Manuskripte gedrungen ist, so hat Maria Beig es beim morgendlichen Korrigieren und Verknappen sorgfältig wieder entfernt.

    Sie erzählt wie im schnellen Vorlauf, knapp und sachlich und lässt mit lakonischem Humor die Erwartungen der Leser ins Leere kippen. So freut sie sich zum Beispiel in "Ein Lebensweg" über ein Kruzifix im Krankenhaus – weil die Wunde des Heilands viel weniger ekelig dargestellt ist als zuhause; und der Vater schaut andächtig in die Sterne – er wartet auf einen Kometen, der ihn erschlägt und von Schulden und Kinderreichtum befreit.

    Vielleicht hat die Kargheit des oberschwäbischen Bauernlebens ihren Weg in ihre Texte gefunden, das Schweigen über Gefühle, das Leben in Notwenigkeiten. Sie ist eine große Weglasserin, und sie liebt die anderen großen Weglasser in der Literatur.

    "I mag Tschechov. Den han i immer gern, am liebsten gelesen. Dostoevskij auch, aber der ist mir auch a wenig zu ausführlich."

    Maria Beig hat aus oberschwäbischen Mägden, Bauern und Pfarrern Charaktere der Weltliteratur gemacht. Die Portraitierten, Verwandte, Geschwister und ehemalige Nachbarn, fanden sich zu ähnlich oder nicht ähnlich genug dargestellt und waren empört.

    "Was wahr war, war nit recht, und was nicht wahr war, das war dann auch it recht. Aber ich glaub', dass geht alle so, wo von der Familie was schreibet."

    Schreiben, das bedeutete in Maria Beigs privatem Umfeld lange: Sich und andere bloßstellen. Doch die Angst, mit dem nächsten Buch wieder im familiären Wespennest herumzustochern, war kleiner als die Freude am Erzählen, die heute der Neunzigjährigen aus den Augen blitzt.

    "Wenn ich's als Quälerei empfunden hätt', hätt' ich's sein gelassen. Es war mir eigentlich immer a Freude, wenn i was han könne schreibe. A Befriedigung, so kann man's eher heiße."

    Literaturpreise haben die Verwandtschaft inzwischen milder gestimmt. 1983 ist Maria Beig mit dem Alemannischen Literaturpreis ausgezeichnet worden, 1996 mit dem Literaturpreis der Stadt Stuttgart und 2004 mit dem Johann-Peter-Hebel-Preis. Wer Maria Beig kennen lernen möchte, dem sei "Hermine. Ein Tierleben" als erste Lektüre empfohlen. Begeisterte Maria-Beig-Leser erfahren in "Ein Lebensweg" viel über die biografischen Hintergründe und die Entstehung ihrer Romane.

    Eine Gesamtausgabe von Maria Beigs Werk in fünf Bänden ist in diesem Jahr im Klöpfer-und-Meyer-Verlag erschienen und kostet im Buchhandel 119 Euro.