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Einspielungen von Purcell und de Oliveiras

Die Themen: eine neue Einspielung der berühmten, heute wie gestern aber nur selten gespielten Barockoper "Dido & Aeneas" von Henry Purcell und das zeitgenössisches Stück "As Malibrans" von Jocy de Oliveiras.

Von Frank Kämpfer | 15.02.2004
    • Musikbeispiel: Henry Purcell - aus: "Dido & Aeneas”

    Hinter ihnen liegen die Schwüre, die Umarmungen, Stunden ach so flüchtigen Glücks – vor ihnen türmen sich Pflicht, Schicksal, Bestimmung. Der Kulminationspunkt der kurzen, dramaturgisch präzise gebauten und zugleich so ökonomischen Oper ist eingangs der letzten Szene erreicht: Auf Befehl seiner Götter muss Aeneas, der trojanische Prinz, weiter in Richtung Rom – Dido, die Königin von Karthago, bleibt zusammenstürzend zurück. Beider Verbindung, ersehnte Vision: sie vielleicht unterbräche die Männergeschichte der Kriege, Vernichtungen, Rachefeldzüge. Dies wäre möglich beim Stillstand der Zeit; Aeneas’ plötzliche Abfahrt, von der Intrige der Hexen forciert, bedeutet Didos sicheren Tod.

    Henry Purcells 1689 komponierte, dreiaktige Oper "Dido and Aeneas", bedient sich der Mythologie, um eine Feierlichkeit am englischen Hof auszugestalten – aus heutiger Sicht zielt sie weit darüber hinaus auf einen Archetypus europäischer Geschlechterdichotomie: Geschichte ist dieser entsprechend eine Sache der Helden, nicht der verlassenen Frau, die die Bühne – so scheint es – nur zu schmerzlich schönem Singen betritt. Der Erbe Troja’s, zugleich der Gründer Roms, ist für den erobernden Feldzug, nicht für die verweilende Liebe bestimmt – der archaischen, vielleicht utopischen Königin bleibt nur der Abgang, das Sterben, das letzte Erleiden des eigenen Selbst.

    Musik von eigentümlichem Reiz verleiht dem selten live zu hörenden Werk noch stets höchst Suggestives. Tradition und Moderne einer vergangenen Zeit verschmelzen darin: der dramatische stile espressivo und die knappe, tektonische Dramaturgie. Kurze betörende Arien, knappe emphatische Szenen, beredte Chöre und Instrumentalsätze fügen sich zu einem Drama, das – anders als zuvor in den englischen Masques – nun eindeutig die Musik dominiert.

    Emmanuelle Haims im vergangenen März in Metz für Virgin/Veritas eingespielte Version beschwört genau diesen Geist der Musik. Die Dirigentin am Pult des französischen Kammerorchesters Le Concert d’Astrée gestaltet Purcells Oper mit Frische, Esprit - jugendlich wie ihre Protagonisten, zugespitzt, von falscher Romantik ganz frei. Tänzerisch geradezu wirken die von Simon Halsey studierten European Voices ; gestisch präzis sind die Solisten geführt: Paul Agnew als Seemann, Camilla Tilling (Belinda), Ian Bostridge und Susan Graham, die Stars, in den beiden Titelpartien.

    Schon bei ihrer Auftrittsarie im Eingangsbild verleiht die amerikanische Mezzosopranistin der todgeweihten Dido Tiefenschärfe, bedingungslose Intensität.

    • Musikbeispiel: Henry Purcell - aus: "Dido & Aeneas”

    • Musikbeispiel: Jocy de Oliveiras - aus: "As Malibrans”

    Sprechen, um nicht mehr Singen zu müssen – Stöhnen, Klagen, mühsam Artikulieren, um zur Sprache zu kommen, um zur Sprache zu bringen. Die Vergötterte ist in Wahrheit geschändet, das Idol ist gewaltsam hochstilisiert.

    Die brasilianische Autorin, Medienkünstlerin und Komponistin Jocy de Oliveira beschäftigt sich seit den 90er Jahren mit Frauengestalten, mit weiblichen Biographien. In ihrem neuesten Musiktheaterstück "As Malibrans" nun bedient sie sich zwar einer realen Lebensgeschichte – erzählt sie jedoch nicht linear. Das kurze, an Qual und Erfolg überreiche Leben der spanisch-französischen Opernsängerin und Komponistin Maria Felicia Malibran (1808-1836) dient vielmehr als Folie, um eine weibliche Lebens- und Opern-Rolle zu hinter- fragen: die von Opernfans aller Couleur geliebte Heroine, die tragische Heldin, die in schöner Musik untergeht.

    As Malibrans – der Titel gibt das Programm. Nach Gleichnissen wird gesucht, Gleichnissen werden erzählt. Zitate aus Opernlibretti, aus Versen von Shakespeare, Euripides und Jules Verne, von Malibran und de Oliveira strukturieren den Text. In sechs tableau-artigen Szenen erscheinen Desdemona, Ophelia und Iphigenie – allesamt selbst Theaterfiguren, aus deren Zeugnis eine Kette qualreicher, aber ebenso starker existenzieller weiblicher Leben entsteht.

    Die karge, doch beredte Theatermusik Jocy de Oliveira’s bewegt sich fern allen Operngesangs. Höchst kammermusikalisch – mit Cello, Bassklarinette, Klavier, Oboe und elektronischem Zuspiel – und wenig dramatisch untermalt sie auf der Bühne den Videofilm und den Life-Part jener drei menschlichen Stimmen, die zitieren, erzählen, kommentieren.

    "As Malibrans" wurde im Frühjahr 2000 am Staatstheater Darmstadt uraufgeführt – und in Brasilien und Deutschland an verschiedenen Orten gezeigt. Bei der hier vorliegenden Aufnahme handelt es sich um eine Produktion aus Rio de Janeiro.
    Sänger und Musiker gehören zum Musiktheater-Ensemble der Komponistin. Hier zuletzt ein Ausschnitt aus Szene 2: "Der Meister und die Diva". Es singen Katia Guedes und Doriana Mendes, beide Sopran – Komponistin Jocy de Oliveira sitzt am Klavier.

    • Musikbeispiel: Jocy de Oliveiras - 'Der Meister und die Diva’ aus: "As Malibrans”

    Jocy de Oliveira’s Musiktheaterstück "As Malibrans" – Ende vergangenen Jahres auf CD erschienen beim brasilianischen Label Academia Braileira de Musica.

    In Deutschland kann die CD über www.concerto.com.br. Bestellt werden oder per E-Mail an concerto@uol.com.br. – Die neue französische Aufnahme von Henry Purcells Oper "Dido and Aeneas" ist bei Virgin/Veritas erschienen und liegt im normalen Schallplattenhandel vor.

    Henry Purcell: "Dido & Aeneas”
    div. Solisten
    Orchester: Le Concert d’Astrée
    Chor: European Voices
    Leitung: Emmanuelle Haim
    Label: Virgin / Veritas
    Labelcode: LC 07873
    Bestellnr.: 7243 5 45604 2 2

    Jocy de Oliveiras: "As Malibrans"
    Orchester: Musiktheater-Ensemble von Jocy de Oliveiras
    Leitung: Jocy de Oliveiras
    Label: Academia Braileira de Musica
    Bestellnr.: ABM AA 2000