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Eiskunstlaufen
Eine Zeit des Schocks und der Trauer

Die Glitzerwelt des Eiskunstlaufens hat nach wie vor eine große Anziehungskraft. Aber die Sportart muss auch mit vielen Problemen umgehen – mit harten Trainingsmethoden zum Beispiel. Und es gab eine Tragödie, die vor mehr als 50 Jahren das Eiskunstlaufen erschüttert hat.

Von Andrea Schültke |
    Es ist der 15. Februar 1961, als das US-Fernsehen die schreckliche Nachricht verbreitet: Beim Absturz einer belgischen Passagiermaschine im Landeanflug auf Brüssel sind 78 Menschen gestorben. Darunter auch die 18 Mitglieder der US-Eiskunstlaufmannschaft. Sie waren auf dem Weg zu den Weltmeisterschaften in Prag.
    Unter den Opfern wurde auch die 15-jährige Lorraine Hanlon vermutet:
    "Ein Reporter rief meinen Vater frühmorgens an und sagte: Ihre Frau und ihre Tochter sind tot. Denn mein Name stand auf der Passagierliste."
    Als Ersatzläuferin sollte die US-Juniorenmeisterin mitfliegen zur WM nach Prag. Aber ihre Schule war nicht einverstanden mit der Reise nach Europa. Schweren Herzens die 15-jährige in letzter Sekunde: Ich bleibe zu Hause. Das rettete ihr Leben. Ihre Mannschaftskollegen waren tot:
    "Das war eine Zeit des Schocks und der Trauer. Ich komme aus Boston. Neun der Opfer kamen aus Boston. Es waren Menschen, mit denen ich jeden Tag verbracht habe, seit ich sieben oder acht Jahre alt war. Es war einfach unvorstellbar, dass sie nicht mehr da waren."
    Geschockt waren die Eiskunstläufer auf der ganzen Welt. So auch der spätere Deutsche Meister Sepp Schönmetzler:
    "Es sollte meine erste Weltmeisterschaft in Prag sein 1961 und wir waren einfach fassungslos. Und der Gedanke, dass die da bei dem Anflug auf Brüssel ausgelöscht wurden, das war ganz fürchterlich. Wir konnten gar nichts damit anfangen."
    Absage der WM
    Die WM in Prag wurde abgesagt und im darauffolgenden Jahr nachgeholt. Mit Sepp Schönmetzler und mit Lorraine Hanlon. Sie beschreibt die hohen Erwartungen, denen die verbliebenen US-Eiskunstläufer nach der Katastrophe ausgesetzt waren:
    "Danach wurde von Dir erwartet, die Beste zu sein. Es gab keine Entschuldigung. Bei den US-Meisterschaften wurde ich Zweite hinter Barbara Ann Roles, der Olympiadritten. Kurz davor hatte ich mir das Bein gebrochen. Ich lief die Meisterschaften mit einem gebrochenen Bein. Danach musste ich sechs Wochen pausieren."
    Erst wenige Tage vor der WM 1962 stand Lorraine Hanlon wieder auf dem Eis. Trotzdem schaffte sie es in Prag auf Platz zehn. Doch das Bein wollte nicht heilen. Ein Ermüdungsbruch verlangte eine sechsmonatige Pause. Danach wurde sie noch einmal US-Meisterin, nahm noch einmal an Weltmeisterschaften teil. Kurze Zeit später beendete sie ihre Karriere.
    Zeit für Neuaufbau
    Nach dem Flugzeugabsturz wurde das Eiskunstlaufen in den USA neu aufgebaut – finanziert auch durch eine Stiftung zur Erinnerung an die Absturzopfer. So sollten mehr Kinder Zugang zu dem teuren Sport bekommen:
    "Wir machten eine große Eisshow und sammelten Spenden. So sollte das Eiskunstlaufen auch für die möglich werden, die es sich sonst nicht hätten leisten können. Es wurde ja nicht vom Staat finanziert. Ich glaube nicht, dass wir dadurch jemanden zum Leistungssport gebracht haben, aber viele Kinder konnten es so wenigstens ausprobieren."
    Die ersten Weltmeisterschaften in den USA nach dem Absturz waren 1965 in Colorado Springs. Mit Scott Allan gewann sogar schon wieder ein US-Amerikaner die Silbermedaille. Sepp Schönmetzler wurde Elfter. Er beschreibt seine Erinnerungen an diese WM auch vor dem Hintergrund des Flugzeugabsturzes:
    "Dort wurde die WM ausgetragen im sogenannten Broadmore Hotel. Dort hatte man Gedenktafeln aufgestellt und da waren die ganzen Namen von den Läufern niedergeschrieben, und da sind wir dann vorbei defiliert und haben uns das angesehen und haben Freude, Bekannte, Eltern Familienmitglieder getroffen. Und da kam das alles wieder hoch. Das war eine unglaubliche Angelegenheit, die wir nie vergessen werden."