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Elektropionier Peter Baumann
Wunschmaschinenmusik

Mit Tangerine Dream hat Peter Baumann in den 1970er-Jahren Klänge erfunden, die ganze Genres von Hip-Hop bis Techno beeinflusst haben. Heute lebt Baumann in San Francisco und hat auf seinem neuen Album "Machines Of Desire" die elektronische Klangästhetik von Tangerine Dream als "Wunschmaschinenmusik" in die Jetztzeit überführt.

Von Andreas Dewald | 11.09.2016
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    Peter Baumann war von 1971 bis 1977 Mitglied der Band Tangerine Dream. (Deutschlandradio - Matthias Dreier)
    Musik: "Dancing In The Dark" – Peter Baumann
    "Es ist keine Tanzmusik, es ist wirklich eine Zuhörmusik."
    "Es war wirklich total spontane Improvisation".
    "Ich glaube, es ist eine zeitlose Musik, weil sie sich an nichts orientiert".
    San Francisco, Kalifornien, USA, Westküste, Bay Area. In den 1960er Jahren Hippie-Hochburg, Haight Ashbury, berühmt gemacht von The Grateful Dead und Jefferson Airplane. Davor schon Stadt von Beat-Schriftstellern wie Jack Kerouac oder Lawrence Ferlinghetti, mit dem legendären City Light Bookshop. Besungen von Scott McKenzie im gleichnamigen One Hit-Wonder.
    Musik: "San Francisco” - Scott McKenzie
    "Ah ja, flowers in your hair, ich erinnere mich."
    Hier, in San Francisco, im ewigen "Summer Of Love", wo die Sonne immer scheint, lebt Peter Baumann, einer der wichtigsten und einflussreichsten Schöpfer elektronischer Musik aus Deutschland, mit seiner Frau und seiner Familie schon seit über 20 Jahren.
    "Also das Leben hier in San Francisco ist sehr, sehr vielseitig und das macht uns also auch sehr viel Freude. Die Kultur hier ist sehr umfangreich und sehr breit gestreut, es ist zwar eine sehr kleine Stadt, relativ gesehen, also wir haben 800 000 Einwohner, Theater und Symphonien und Bands. Es gibt so viele Möglichkeiten hier, das ist also eine große Freude. Wir wohnen hier in Pacific Heights und haben so auch einen schönen Blick über die San Francisco Bay und die Golden Gate Bridge. Und auf der anderen Seite nach Downtown. Also, wir fühlen uns sehr zuhause hier."
    Neues Album nach 30 Jahren
    Peter Baumann stammt aus Berlin und war Mitglied von Tangerine Dream, der neben Kraftwerk bedeutendsten deutschen Band der elektronischen Rockmusik. Mit Tangerine Dream hat Peter Baumann in den 1970er Jahren vollkommen neuartige Klänge erfunden, die in der progressiven Musik bis heute nachhallen. Danach machte er als Solomusiker und Produzent Karriere, zog in die USA und betrieb dort eine Plattenfirma. Nach drei Jahrzehnten Pause hat Peter Baumann jetzt, im Sommer 2016, mit dem Album "Machines Of Desire" wieder eigene Musik veröffentlicht. Sie klingt wie ein Update des Tangerine-Dream-Sounds. Baumann sieht immer noch gut aus, jünger als seine 63 Jahre, lächelt oft, wirkt nahbar, freundlich, auf amerikanische Weise umgänglich, und strahlt eine tiefenentspannte Gelassenheit aus. In letzter Zeit hat er sich nicht mit dem Musikmachen beschäftigt, sondern mit anderen Dingen.
    "Nachdem ich hier die Plattenfirma Private Music verkauft habe, das war in den frühen 90er Jahren, bin ich eines Tages aufgewacht, und da war ich in meinen Mittvierzigern. Und habe festgestellt, ich habe noch zehntausend Tage zu leben, Alter Ende 70. Und da dachte ich mir, na ja, was machst du jetzt die nächsten zehntausend Tage? Und da dachte ich, das ist doch eine irre interessante Frage, und habe angefangen, das zu studieren. Und habe mich mit alten Texten vom Fernen Osten beschäftigt und auch mit sehr wissenschaftlichen Papieren, von Evolution bis Genetik. Also die ganzen Tests, die man macht an zweieiigen Zwillingen und eineiigen Zwillingen. Und wie sich die menschliche Natur entfaltet über den Lebenslauf. Und wie man so seine Umgebung erfährt. Das war so unheimlich interessant."
    Sinnsuche und Kreativität
    Jahrelang hat Peter Baumann sich in Amerika auf Sinnsuche begeben, erzählt er. Hat gelesen, über Philosophie, Psychologie, Genetik, Anthropologie, hat eine Stiftung gegründet, um diese Themen im öffentlichen Rahmen zu diskutieren. Und dann hat er im Laufe des Jahres 2014 beschlossen, dass es wieder an der Zeit sei, musikalisch kreativ zu werden.
    "Ich habe natürlich einiges gelernt. Für mich war es immer wichtig, das nicht nur intellektuell oder auch analytisch zu sehen. Sondern auch im täglichen Leben, wie sich das entfaltet. Und was die Musik jetzt betrifft, ich glaube, dass Identifikation mit Musik wesentlich lockerer ist. Dass man das nicht so ernst nimmt. Weil, also, was ich gelernt habe, kommt ja alles irgendwie vom bottom up, also da sind biologische und psychologische Dynamiken am Gange, die dann zu einer Kreativität führen. Und je mehr man das laufen lässt, ohne zu versuchen, das zu überdecken oder sich zu identifizieren, kann man da zu einer tieferen Kreativität eindringen."
    Musik: "Crossing The Abyss" – Peter Baumann
    Peter Baumann knüpft auf seinem neuen, im Juni 2016 veröffentlichten Soloalbum "Machines Of Desire" an die kosmischen Klänge an, mit denen Tangerine Dream einst die Weiten des Weltalls erkundeten. Das hatte er 2014 eigentlich gemeinsam mit Edgar Froese von Tangerine Dream in Angriff nehmen wollen, der jedoch im Januar 2015 plötzlich an einer Lungenembolie starb. Aber auch so spukt der gute Geist von Tangerine Dream in einer erfrischend zeitgemäßen Form durch Peter Baumanns Comeback-Album.
    Soundupdate
    Dabei kann man beim Wiederhören wegweisender Werke von Tangerine Dream wie "Phaedra", "Ricochet", "Rubycon" oder "Stratosphear" verblüfft feststellen, wie frisch und zeitlos sich dieser elektronische Krautrock heute immer noch anhört. Auch, weil er zum Beispiel bei TripHop-Bands wie Portishead und Massive Attack, aber auch Air oder Daft Punk immer gegenwärtig gewesen ist. Denn damals entstand eine innovative und experimentelle Musik, die zugleich rhythmisch und melodisch eingängig war. "Machines Of Desire" nun klingt 2016 wie die Modernisierung und Weiterführung jener Alben aus den 1970er Jahren.
    "Das war nicht bewusst. Das liegt mir einfach so im Wesen. Ich meine, das hat sich auch bei Tangerine Dream ausgedrückt. Für mich ist höchst interessant, in Tiefe einzudringen und den Zuhörer auf eine Reise zu schicken, die unbekannt ist, und wo emotional doch einiges passiert. Es ist keine Tanzmusik, es ist wirklich eine Zuhörmusik, die man also nicht zum Frühstück hört, sondern vielleicht beim Autofahren, aber auch vielleicht abends, wenn’s dunkel ist, mit Kopfhörern."
    Baumann schickt auf seinem aktuellen Album auf eine Reise durch die Tiefen von Raum und Zeit. Und kreiert dabei "Wunschmaschinenmusik" mit seinen "Machines Of Desire".
    "Na ja, das hat so eine Zweideutigkeit. Einmal sind das Maschinen, die wir natürlich alle gerne haben. Das sind unsere Handys und das sind unsere sich selbst bauenden Autos und das sind unsere Flugzeuge und so was. Also, das ist eine Bedeutung, die andere Bedeutung ist, dass wir Menschen ja doch sehr von unserem Verlangen getrieben werden. Also, wir wollen uns lieber wohl fühlen als nicht wohl fühlen. Wir haben gerne angenehme Erfahrung und weniger unangenehme. Also, wir werden immer davon getrieben, das Leben möglichst angenehm und erfolgreich zu gestalten. Und da sind wir also Tag und Nacht von getrieben, egal was die Arbeit ist oder was die Beziehungen sind. Also die Biologie, die uns unterliegt, die ist irgendwie so ausgesetzt, dass wir unentwegt danach suchen: Was bereitet Freude jetzt, und wo kommt die Bedrohung her?"
    Musik: "Valley Of The Gods"– Peter Baumann
    "Ja, Musiker werden, das war für mich nicht so ein Kindestraum, sondern ein Freund von mir, der spielte in einer Band, als ich 13 Jahre alt war, und der sagte eines Tages: Komm doch mal vorbei, wenn du zuhören willst, wie wir proben. Und die hatten also Bass, Gitarre, Schlagzeug und einen Sänger, und ich habe mir dann am nächsten Tag eine Orgel gekauft, weil die noch kein Keyboard hatten. Also, so bin ich da rein gekommen, und es hat einfach Spaß gemacht. Es war toll, mit anderen Leuten Musik zusammen zu machen. Ich habe dann aber auch festgestellt, wir hatten damals sehr viele Covers gespielt, und was mich angefangen hat zu interessieren, was ich festgestellt habe, dass ich gerne experimentiere und neue Sounds entwickle. Das war also in der Band nicht möglich. Und dann bin ich letztendlich zu Tangerine Dream gekommen, wo sich das natürlich sehr entfalten konnte."
    Experimentelle surreale Sounds
    Berlin 1968. Die Studentenbewegung ist auf dem Höhepunkt. Im Underground, in der Kunst- und in der Musikszene beginnt es zu brodeln. Mittendrin eine Band namens Tangerine Dream, die für ihre avantgardistischen Klänge und ihre kompromisslosen, fast schon anarchistischen Auftritte berüchtigt ist.
    "Also, man spürte, da war so ein unheimliches Freiheitsdrängen und alles ist möglich, und wir wissen nicht, wie es morgen aussieht. Also, dieses Aufbrechen, diese Ungewissheit, die war bestimmt ein Bestandteil unserer Musik. Es war also alles sehr turbulent, sagen wir mal."
    Der 18-jährige Baumann hatte Edgar Froese, den Gründer von Tangerine Dream, und Christoph Franke 1971 kennen gelernt und ist auf deren Wunsch in die Band eingestiegen. An die erste gemeinsame Session, als man beschloss, bei Null anzufangen, kann Baumann sich noch gut erinnern.
    "Ich meine, das war jetzt in den sehr frühen 70er Jahren in Berlin. Und da war natürlich alles etwas ungewöhnlich. Da war eine tolle Kunstszene. Man hat alles Mögliche, verrückte Sachen gesehen. Also, so ganz überrascht war ich nicht. Aber als ich das erste Mal in dem Proberaum war und sagte: Na, Edgar, was spielen wir denn jetzt? Sagte er: Na, macht doch einfach mal. Also, es war überhaupt kein Weg, den man irgendwie verfolgen konnte, sondern es war wirklich total spontane Improvisation."
    Große Sphären und Flächen
    "Zeit" hieß das Album, das Tangerine Dream 1971 mit Peter Baumann aufnahmen. Ein langsames, ruhiges, schwebendes Werk, das von psychedelischem Rock, Moderner Klassik, Musique Concrete und Geräuschmusik inspiriert war. Das war Ambient Music, lange bevor dieser Begriff überhaupt existierte.
    "Das ist genau richtig, so war das auch. Also, wir haben damals uns hinter die Instrumente gesetzt im Studio, Licht aus gemacht, und einfach drauf los. Und wir hatten damals ja auch noch keine Sequenzer, die also sehr wesentlich waren in den späteren Platten, die also den Rhythmus vorgegeben haben. Das gab es damals noch nicht, wir hatten zwar ein bisschen Schlagzeug, aber im Allgemeinen war das wirklich auf große Sphären und Flächen, musikalische Flächen aufgebaut."
    Unweigerlich muss man beim Hören des Tangerine-Dream-Albums "Zeit" an dieses berühmte Gemälde von Salvador Dali denken, an die zerlaufenden, gedehnten Uhren, an die Aufhebung von Zeit und Raum in der Kunst, an den Surrealismus. Tatsächlich hatte Edgar Froese von Tangerine Dream 1967 die persönliche Bekanntschaft von Salvador Dali gemacht und in dessen Villa in Spanien mit der Band Privatkonzerte gegeben. "Was er in der Malerei tat, wollte ich in der Musik machen", sagte Froese. Und Baumann bestätigt, dass Ideen aus der surrealen Malerei und weiteren modernen Stilrichtungen der bildenden Kunst in die Klangästhetik von Tangerine Dream eingeflossen sind.
    "Ja, also, genau kann man das nicht sagen. Aber wir sind des Öfteren in Museen gegangen Auch Paul Klee und Kandinsky. Und es gibt ja viele Maler, die uns irgendwie im Unterbewusstsein mitbestimmt haben. Der ganze Kulturbereich und die ganze Atmosphäre in Berlin hat natürlich auf uns eingewirkt und hat sich in der Musik wieder gespiegelt."
    Musik: " Phaedra" – Tangerine Dream
    "Ich glaube, es ist eine zeitlose Musik, weil sie sich an nichts orientiert. Sie hat sich nicht, sagen wir mal, an dem Zeitgeist orientiert und einer Melodie, die man so nachsingen konnte. Wenn man so eine Melodie hat, kriegt man so einen Ohrwurm, und nach einer Weile wird es dann ein bisschen alt. Das ist also nicht nur unsere Musik gewesen, sondern auch andere Musik, die ’improvisationell’ war und nicht solche Ohrwürmer hatte, das kann man einfach länger hören, das wird nicht so schnell alt."
    Krautrock sollten die Briten die progressive, innovative Musik bald nennen, halb ehrfurchtsvoll, halb herablassend. "Wir wollten mit unserer sphärischen Musik raus aus der Enge des deutschen Denkens und weg von der Last der jüngeren deutschen Geschichte", sagt Peter Baumann. Diese Absicht verfolgt der in die USA emigrierte Elektroniktüftler auch mit den Klangexkursionen auf seinem neuen Soloalbum "Machines Of Desire".
    "Also, bestimmt nicht bewusst, Es war weniger ein Weg-von als ein Ausdehnen. Ein Ausdehnen aus einer Normalgesellschaft und die Grenzen sprengen. Es war nicht, dass wir sagten, es ist alles übel, wir wollen woanders hin, sondern wir wollen das einfach alles ausdehnen."
    Mystischer Grundton
    Tangerine Dream hatten ihrer Musik schon auf frühen Alben wie "Alpha Centauri", "Zeit" und "Atem" einen dunklen, düsteren, geradezu mystischen Grundton verliehen, den sie auch nach dem internationalen Durchbruch mit "Phaedra" 1974 auf ihren stilbildenden Werken beibehielten. Genau dadurch unterschied sie sich von den kalkulierten Wohlfühlklängen der New Age Music. In Baumanns eigener Musik ist diese geheimnisvolle, melancholische Schwingung bis heute ebenso zu spüren.
    "Also, wenn man sich Musik anhört, dann kann man ja feststellen, dass tiefe, dunkle und ruhigere Töne einen anderen Einfluss haben als schrille Töne und sehr zackige Rhythmen. Das eine ist sehr ’aggregierend’ und sehr reizend, aufreizend, und das andere ist mehr tiefgehend und ruhig Und wir haben uns mehr auf der ruhigen, tiefen, ausdehnenden Ebene wohl gefühlt."
    Einfluss auf David Bowie
    Das war seinerzeit sicher auch David Bowie aufgefallen, der im Sommer 1976 einige Wochen bei Edgar Froese von Tangerine Dream wohnte, bevor er selbst in Berlin in der Hauptstraße 155 für zweieinhalb Jahre Quartier bezog. Peter Baumann lernte David Bowie damals gut kennen:
    "Ja, wir haben eigentlich einige Zeit zusammen verbracht. Wir sind des Öfteren zum Essen gegangen. Als ich die erste Platte gemacht habe, ist der mit ins Studio gekommen. Und manchmal bei Proben war er da. Und ist einfach ein interessanter Mensch gewesen natürlich. Unheimlich kreativ, unheimlich viel Energie, sehr freundlich, hat wirklich viel Aufmerksamkeit jedem gegeben, der sich mit ihm unterhalten hat. Und sehr dynamisch. War schon ein sehr interessanter Mensch, ohne Frage. Wir sind manchmal bis spät in den Morgen rumgezogen. Bei der Romy Haag waren wir einige Male und sind auch ins Kino gegangen und solche Dinge. Also, da war schon viel Unterhaltung."
    Musik: "Art Decade" - David Bowie
    David Bowie mit "Art Decade", einem Stück von dem Album "Low", das 1976 und ’77 in Berlin entstand und von ihm selbst mal als sein bestes bezeichnet wurde. Wie man deutlich hören kann, inspiriert vom elektronischen Krautrock, ist sich auch Peter Baumann sicher.
    "Ja, ich glaube, das hatte schon einen Einfluss, ich meine, seine Platte ‚Low’ auf der zweiten Seite hat ja viel davon wieder gespiegelt. Aber er war jemand, der auch immer wieder etwas Neues gesucht hat. Und der hat da in Kalifornien gewohnt, im Sonnenschein, und dann wollte er einfach mal in die andere Richtung, ein bisschen ins graue Berlin."
    Wegbereiter für Techno
    Und so haben Tangerine Dream und eben auch Peter Baumann aus dem grauen Berlin heraus erst David Bowie und darüber auch die Synthesizer-Musik der New Wave und die folgenden Strömungen elektronischer Musik maßgeblich mit beeinflusst. Als Tangerine Dream 1974 erstmals Sequenzer einsetzten, um ihrer Musik mehr Rhythmus und Körperbetonung zu geben, entwickelten sie einen Sound, der zum Urklang für Techno, Elektro, HipHop, Trance und Ambient wurde.
    "Für uns, wir waren ja auch in einer Trance, als wir das gespielt haben, nicht. Und das ist ja einfach so, die Musik ist erstanden aus dem Moment heraus, mit sehr wenig Kalkulation. Für uns war das ja, jedes Konzert auch irre interessant, weil wir nicht genau wussten, wo es hingeht. Man hat gespürt, dass das so eine gemeinsame Reise ist."
    Zukunftsorientierte Klangvorstellungen
    Indem Tangerine Dream bei Konzerten erfrischend frei improvisierten, bewiesen sie, dass elektronische Musik live auf Bühnen funktionieren konnte. Nicht zuletzt dank Peter Baumann, der oft überraschende Melodien über die Rhythmen von Edgar Froese und Christoph Franke legte. Mit diesem Sound wurden Tangerine Dream Mitte der 1970er Jahre in Großbritannien zu Stars. Nachdem John Peel sie dort ständig im Radio spielte und sich ihre Platten auf dem Virgin-Label von Richard Branson millionenfach verkauften, starteten Tangerine Dream eine weltweite Karriere. Für Peter Baumann allerdings hatte sich die Zusammenarbeit Ende 1977 kreativ erschöpft. Er stieg aus der Band aus und begann, sich als Solomusiker zu betätigen. Seine Synthesizer-Klangexperimente auf den eigenen Alben "Romance 76" von 1976 und "Trans Harmonic Nights" von 1979, die sich an denen von Tangerine Dream orientierten, wiesen der elektronischen Rockmusik den Weg. Darüber hinaus produzierte Baumann befreundete Künstler wie Conrad Schnitzler, Cluster, oder Hans Joachim Roedelius mit ähnlich zukunftsorientierten Klangvorstellungen. An diese Produktionen denkt Peter Baumann besonders gerne zurück.
    "Eigentlich an all diese. Ich meine, es sind immer zwei Teile. Erstmal die Musik, die hat mich sehr interessiert und fasziniert. Aber dann auch die Menschen. Der Conrad Schnitzler, Roedelius und so, das sind ja wirklich interessante Leute, mit denen man sich gerne zusammensetzt und ein Glas Bier trinkt, oder was weiß ich, und bis spät in die Nacht spricht. Es kamen zusammen die Musik und die Persönlichkeiten. Und die Weltanschauungen zu der Zeit, die waren ja alle wesentlich vielfältiger, als man das heute hat."
    Musik: "Searching In Vain" – Peter Baumann
    "’Searching In Vain’, ja, es hat so ein bisschen zu tun mit dem, womit ich mich befasst habe über die letzten zehn, zwanzig Jahre. Und Menschen suchen ja immer und das ist ja auch evolutionär bedingt. Wir suchen ja immer nach einem besseren Nest und nach besserem Essen und nach einem besseren Partner. Wir suchen. Immer wieder und immer wieder. Und irgendwie kommen wir ja nirgendwo an. Das Suchen ist einfach unentwegt und hört nie auf."
    Peter Baumann hat die Suche nach seinem persönlichen Glück nicht nur in die USA geführt, sondern auch zu den elektronischen Sehnsuchtsklängen des Stückes "Searching In Vain" von seinem neuen Album "Machines Of Desire". Dass er sich lange mit schwer wiegenden philosophischen Dingen beschäftigt hat, verleiht seiner Musik heute zum einen eine gedankliche Tiefe und Ernsthaftigkeit, andererseits aber auch eine lockere hedonistische Rhythmik und leichtlebige melodische Sinnesfreude. Von den technischen Möglichkeiten der Digitalisierung und des Samplings ließ Baumann sich dabei nicht verführen. Auf "Machines Of Desire" frönt er keinem Breitwand-Sound, sondern einem reduzierten und dadurch viel eindrucksvolleren Klangbild.
    Beschränkung auf das Wesentliche
    "Natürlich ist es leichter, weil man unheimlich viel Spuren hat auf dem Computer. Aber natürlich, das führt auch dahin, dass man dann zuviel macht. Man verliert die Einfachheit und Direktheit. Alles in allem, wenn man sich dessen bewusst ist, also die Instrumente, die heute zur Verfügung stehen, da hätte ich früher drei Mal Karbeutz gemacht. Traumhaft wäre das gewesen. Aber manchmal ist eben die Limitierung sehr reizvoll. Also es hat beides seine Vor- und Nachteile."
    Zu einem der schönsten Ergebnisse führt die Beschränkung auf das Wesentliche in dem Stück "Ordinary Wonder".
    "Ja, ‚Ordinary Wonder’ widerspricht sich natürlich so ein bisschen. Ein Wunder ist ja eher seltsam, und ’ordinary’ ist alltäglich. Wenn man das mal bewusst reflektiert, dann ist natürlich unheimlich wunderbar, was passiert. Ich meine, wunderbar in dem Sinne von erstaunlich. Dass überhaupt das Leben so existiert, wie es existiert. Und dass sich das natürlich von Pflanzen und Tiere bis zu Menschen hin entwickelt hat. Für mich ist das also ein tägliches Wunder, das das überhaupt alles entstanden ist."
    Musik: "Ordinary Wonder" – Peter Baumann
    "Ich hatte eine Orgel und die habe ich irgendwie so halb auseinander genommen und versucht, so andere Klänge daraus zu ziehen. Zu der Zeit waren für mich Klänge, die man sonst so nicht hörte, einfach hochinteressant. Und es gibt heute noch Klänge, die man selten hört. Und die Verbindung zwischen außergewöhnlichen Klängen, außergewöhnlichen Rhythmen, außergewöhnlichen Melodien, die Zusammenstellung hat mich immer am meisten fasziniert."
    Sehnsuchtsmomente und dunkle Romantik
    Mehr als 45 Jahre Klangforschung haben Peter Baumann zu einem Pionier elektronischer Musik und erfolgreichen Labelchef in den USA gemacht. Er hat bewiesen, dass elektronische Musik keinesfalls kalt, abstrakt, intellektuell oder roboterhaft sein muss. Vielmehr noch, hat er auf seinem neuen Soloalbum "Machines Of Desire" eine zutiefst humane Musik voller Sehnsuchtsmomente und dunkler Romantik geschaffen. "Wunschmaschinenmusik" eben. Da würde man doch gerne wissen, welche Musik Peter Baumann heutzutage zur Inspiration hört.
    "Also, das ist ganz unterschiedlich. Ich höre gerne noch Dinge, die ich schon vor 40 Jahren gehört habe. Ob das Classic Rock ist, aber auch experimentelle Elektronik, Musik von Stockhausen und Ligeti und Reich. Da gibt’s einen ganzen angesammelten Katalog. Es kommt immer drauf an, was die Stimmung ist."
    Eine Art Entdeckungsreise
    Elektronik-Musiker sind als Einsiedlerkrebse verschrien. Sie vergraben sich allein in ihren Studios und zaubern aus Klangmaschinen mit herausragenden Kabeln und blinkenden Lämpchen eine unheimliche Musik hervor. Nicht so Peter Baumann. Wenn er zuhause in San Francisco ist, führt er ein sehr kommunikatives Leben.
    "Wir reisen eigentlich eine ganze Menge. Und wir haben auch einen sehr großen Freundeskreis. Wir gehen zu vielen Kulturveranstaltungen. Wir haben auch viele Abendessen mit den Freunden. Und da haben wir dann immer so ein Diskussionsthema. Oft kommen Wissenschaftler in die Stadt und die laden wir dann ein zum Essen. Es ist sehr umfangreich, sagen wir mal."
    Für Peter Baumann hat das Musikmachen auch nach so vielen Jahren eine ganz persönliche Bedeutung.
    "Es ist bestimmt eine Art von Therapie. Ist einfach so ein direkter Weg, sich auszudrücken, was man über Worte viel schwieriger machen kann. Aber ich sehe es nicht als kathartisch für mich. Ich sehe es nicht als von etwas weg arbeiten. Für mich ist es mehr so eine Art Entdeckungsreise. Neue Klänge und neue Emotionen und verschiedene Konstellationen von Emotionen auszudrücken und in mir selbst zu erfahren."
    Musik: "Dust To Dust" – Peter Baumann