Archiv

Elgars Spätwerke
Funkensprühender Elan

Die junge Cellistin Marie-Elisabeth Hecker hat unter anderem das beeindruckende Cellokonzert von Edward Elgar auf CD aufgenommen. Sie setzt die Wucht und Emotionalität des Soloparts erstaunlich leichtfüßig um, leider fehlt es dem begleitenden Antwerp Symphony Orchestra an klanglicher Präsenz.

Am Mikrofon: Johannes Jansen |
    Die Cellistin Marie-Elisabeth Hecker ist im Halbporträt zu sehen, mit lächelndem Blick, die Arme aufs Cello gelehnt.
    Cellistin Marie-Elisabeth Hecker (Harald Hoffmann)
    Das berühmte Cellokonzert von Edward Elgar und ein weniger bekanntes Schwesterwerk, vereint auf einer neuen CD der Cellistin Marie-Elisabeth Hecker, stehen im Blickpunkt dieser Sendung.
    Musik: Edward Elgar, Konzert für Violoncello und Orchester in e-Moll op. 85, 1. Satz
    Er habe lange genug gelebt, um zu wissen, dass von dem, was er an Klängen "zusammennähen" dürfe, nichts ihm selbst gehöre. Ein Zitat von Edward Elgar zum Thema unbewusstes Zitieren. Auch die ersten Takte des Cellokonzerts fallen in diese Kategorie: Instrument und Tonart sind andere, aber der Gestus ähnelt dem der d-Moll-Chaconne von Johann Sebastian Bach. Anleihen bei sich selbst waren Elgar ebenfalls vertraut. Das Hauptthema seines Cellokonzerts greift das Kernmotiv der vier Jahre zuvor entstandenen "Sospiri" für Streichorchester wieder auf. Hier steht die als Zugabe beliebte Bearbeitung der "Seufzer" zwischen dem Cellokonzert und dem Klavierquintett. Das Quintett wird selten aufgeführt, obwohl es zu den schönsten seiner Gattung zählt.
    Expertin für romantisches Repertoire
    Sogar der bekannt bärbeißige George Bernard Shaw gestand, es habe ihn gleich beim ersten Hören umgehauen. Schaffensbiographisch ist das a-Moll-Quintett op. 84 ein Präludium zum e-Moll-Cellokonzert op. 85, an der Schwelle zu Elgars bis auf einige Gelegenheitsarbeiten praktisch nicht existenten Spätwerk. Der Zeithintergrund des Ersten Weltkriegs bestimmt alle drei Stücke dieser CD und verleiht ihr – ein Jahrhundert nach Kriegsende - einen dezenten Gedenkanstrich, der freilich Zufall ist. Denn die vorliegende Einspielung führt nur einen Weg fort, den die Cellistin Marie-Elisabeth Hecker mit Sonaten von Schubert und Brahms begonnen hat, stets einfühlsam begleitet von ihrem Klavier- und Ehepartner Martin Helmchen.
    Besonderes geformter Ton mit waberfreiem Vibrato
    Auch diese dritte gemeinsame CD beim gleichen Label unterstreicht ihren Expertenstatus auf dem Gebiet des romantischen Repertoires. Was am Spiel der Cellistin sofort gefällt, ist der helle, oft schwebend leichte Ton mit waberfreiem Vibrato; weder Griff- noch Bogenhand üben die sattsam bekannte Saiten-Druckmassage aus. Das mag dem Einfluss von Cellisten wie Steven Isserlis und Anner Bylsma zuzuschreiben sein, bei denen sie Meisterkurse absolvierte, gewiss aber Peter Bruns, ihrem wichtigsten Lehrer in den Jahren vor dem Triumph beim Rostropowitsch-Wettbewerb 2005.
    Musik: Edward Elgar, Konzert für Violoncello und Orchester in e-Moll op. 85, 1.-2. Satz
    Wer unrettbar den inzwischen historischen Aufnahmen mit Jacqueline du Pré verfallen ist, wird an dieser Neueinspielung den fiebrigen Puls vermissen, dabei aber die Erfahrung machen, dass es den Reiz schneller Passagen eher steigert, wenn man ihnen nicht atemhechelnd folgen muss. Marie-Elisabeth Hecker bewegt sich so leichtfüßig durch die Partitur, dass man es fast Schlendern nennen könnte, wäre nicht immer auch der Wille spürbar, die Kontrolle zu behalten, zumal der Dirigent sich nicht danach zu drängen scheint.
    Orchester zu wenig präsent
    Edo de Waart und das Antwerpener Symphonieorchester sekundieren aufmerksam, sind als Mitgestalter jedoch wenig präsent und bleiben, wo die Partitur Fortissimo verlangt, weit hinter dem zurück, was man von einem immerhin siebzigköpfigen Klangkörper erwartet. Hat die Tontechnik sie verbannt oder war von den im Beiheft namentlich aufgeführten Mitwirkenden nur die Hälfte da?
    Musik: Edward Elgar, Konzert für Violoncello und Orchester in e-Moll op. 85, 4. Satz
    Näher an Beatrice Harrison als an Jacqueline du Pré
    In seiner in inzwischen fünfzig Jahre alten, noch immer lesenswerten Elgar-Biographie beschreibt Michael Kennedy das Cellokonzert als ein Herbstfeuer am Lebensabend. Doch statt zu wärmen, verstärkte es nur die Melancholie und erlosch vollends, als bald danach Elgars Frau verstarb. Eine 1928 unter Elgars Leitung entstandene Grammophon-Aufnahme kehrt diese Schwermut nicht heraus, sondern wirkt recht gefasst, beinahe sachlich. In dieses Bild fügt sich, von einigen schluchzigen Portamenti abgesehen, auch Beatrice Harrison, die damalige Solistin. Im CD-Beiheft betont Marie-Elisabeth Hecker, es seien die Wucht und Emotionalität des Cellokonzerts, von denen sie sich unmittelbar angesprochen fühle, und doch hat man den Eindruck, dass Harrison als Vorbild stärker war als Jacqueline du Pré.
    Musik: Edward Elgar, Klavierquintett in a-Moll op. 84, 1. Satz
    Nachhall von Gelegenheitsmusiken
    Weder dem Rausch noch der Melancholie, sondern einer diffusen Gruselstimmung hingegeben hat sich der Komponist im dreisätzigen Klavierquintett, jedenfalls am Beginn, bevor der Wunsch nach kraftvoller Durchgestaltung die Oberhand gewinnt. Im weiteren Fortgang erinnert manches an Johannes Brahms, zu dem sich Elgar gern bekannte. Mochte er in Lebensführung und äußerem Habitus auch als Musterexemplar eines britischen Landedelmanns dastehen, so stammte Elgar doch aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und musste sich wie Brahms in jungen Jahren als Chordirigent mit eher seichter Ware über Wasser halten. Wie ein später Widerhall dieser Zeit findet sich im Klavierquintett ein Anflug von Unterhaltungsmusik, der dem ernsten Grundcharakter und der kompositorischen Gediegenheit entgegenarbeitet.
    Musik: Edward Elgar, Klavierquintett in a-Moll op. 84, 1. Satz
    Carolin Widmann, David McCarroll und Pauline Sachse komplettieren als Streicher das um Marie-Elisabeth Hecker und Martin Helmchen versammelte Quintett. Es sind Künstler, die sich gegenseitig fordern und mit funkensprühendem Elan ein Werk zum Leuchten bringen, das kontinentaleuropäische Kammermusikthrone wackeln lässt.
    "The Quintet knocked me over at once."
    Die planvolle stilistische Zerrissenheit samt angedeuteter Fuge findet beredten Ausdruck, auch im Unisono, und entfaltet solche Kraft, dass sich das Gewicht vom Hauptwerk dieser Elgar-Neueinspielung hin zum vermeintlichen Nebenwerk verschiebt. Nur eine Dreingabe zum Cellokonzert ist das Klavierquintett jedenfalls nicht. Vielen wird es hier ergehen wie Bernard Shaw: "The Quintet knocked me over at once." Marie-Elisabeth Hecker ist noch immer überwältigt, dabei hat sie es in ihrer Jugend wohl tausendmal gehört – bei den Schularbeiten.
    Musik: Edward Elgar, Klavierquintett in a-Moll op. 84, 2. Satz
    Edward Elgar – Cello Concerto, Piano Quintet
    Marie-Elisabeth Hecker, Violoncello
    Antwerp Symphony Orchestra
    Edo de Waart, Leitung
    Carolin Widmann, Violine
    David McCarroll, Violine
    Pauline Sachse, Viola
    Martin Helmchen, Klavier
    Alpha Classics