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EM im Gehörlosenfussball
Erfolg im Stillen

In Hannover startet an diesem Wochenende die Europameisterschaft im Gehörlosenfußball. Die deutschen Spieler haben nicht nur mit finanziellen Problemen zu kämpfen: Denn kaum einer kennt ihre Sportart.

Von Christoph Heymann | 13.06.2015
    Ein gehörloser Fußballspieler des Vereins GSG Stuttgart 2008 beim Training.
    Im Gehörlosenfußball funktioniert die Kommunikation nur über Gesten. (Imago / Pressefoto Baumann)
    Die Vorbereitungen zur Europameisterschaft im Gehörlosenfußball gingen für die deutsche Nationalmannschaft schlecht los. Trainer Frank Zürn stand am ersten Trainingstag mit leeren Händen vor seiner Mannschaft.
    "Die Transportmöglichkeit war noch nicht vorhanden. Die Bälle waren nicht da. Die Trikots waren nicht da und es war völlig unklar, wo die überhaupt sein könnten. Es hätte sein können, dass der Versand nicht funktioniert hat."
    Das erste Training musste er ausfallen lassen. In Trikots von Mainz, Schalke oder Freiburg ging es für seine Spieler nur zum Joggen. Die Vorbereitung ist ohnehin knapp: Erst drei Tage vor Turnierstart hat sich die Nationalmannschaft in Hannover getroffen. Das liegt auch an den begrenzten finanziellen Möglichkeiten des Verbands. Der Gehörlosenfußball ist im deutschen Gehörlosen-Sportverband organisiert. Russland und die Türkei sind den nationalen Fußballverbänden zugeordnet und hätten deshalb wesentlich bessere Bedingungen, so Frank Zürn.
    "Wenn wir dem DFB untergeordnet oder zugeordnet wären, hätten wir natürlich auch andere Möglichkeiten. Und es ist eben in diesen Ländern so. Die Türken haben semi-professionelle Bedingungen, die können zum Teil sogar Gehälter bezahlen übers Jahr und loben zum Teil Medaillenprämien über 90.000 Euro aus. Da fangen meine an zu träumen."
    Unbekannt - aber sehr erfolgreich
    Trotzdem war seine Mannschaft bei Turnieren bisher sehr erfolgreich. Seit fünfzehn Jahren ist er Trainer der Gehörlosennationalmannschaft und konnte bisher einen Europa- und eine Weltmeisterschaft gewinnen. Freunde, Verwandte und Arbeitskollegen wundern sich über die weiten Reisen von Frank Zürn, haben von seinen Erfolgen aber nur selten etwas mitbekommen.
    "Zu 90 Prozent in der hörenden Welt ist das völlig unbekannt. Dass es überhaupt eine gehörlosen Mannschaft gibt weißglaub ich niemand. Dementsprechend ist auch der Stellenwert."
    Die Brüder Robin und Kevin Bayer spielen bereits seit fünf Jahren in der Gehörlosennationalmannschaft. Kevin kann sprechen und übersetzt für seinen älteren Bruder in Gebärdensprache. Da der Sport kaum bekannt ist, bekommen sie immer wieder Probleme mit ihren Arbeitgebern. Während Robin von seinem Arbeitgeber unterstützt wird, musste Kevin darum kämpfen, zur Europameisterschaft überhaupt frei zu bekommen.
    "Ich habe dieses Jahr mit der Ausbildung angefangen; bei der Sparkasse. Und natürlich hab ich ein bisschen Schwierigkeiten gehabt. Ich habe jetzt drei Wochen lang Berufsschule und die Schule wollte mir gar nicht freigeben. Ich war bei meiner Firma und hab mit der Chefin gesprochen und sie hat sich für mich eingesetzt. Auch der Personalchef und dann hab ich doch frei bekommen."
    Alle Spieler der Gehörlosennationalmannschaft müssen auch in einer Liga der Hörenden spielen. Von der Kreisliga bis zur Regionalliga ist im Team ein breites Niveau vertreten. Einige in der Mannschaft sind ganz taub, andere hören nur mit Hörgeräten, die sie bei Länderspielen entfernen müssen. Kevin und Robin Bayer sind mit ihrem Verein gerade in die Kreisliga aufgestiegen. Fußball unter Hörenden oder mit Gehörlosen - der Sport ist ähnlich, finden Kevin und Robin Bayer. Anders ist nur, dass in der Gehörlosennationalmannschaft alle die Gebärdensprache verstehen.
    "Nur der Unterschied ist, dass er bei den Gehörlosen mit den Mitspielern kommunizieren kann und sich austauschen kann. Bei den Hörenden ist das eher weniger. Erst in der Halbzeit wird darüber diskutiert: Was falsch war oder was man besser machen könnte. Bei den Gehörlosen kann man das auch während des Spiels noch korrigieren."
    Taktikanweisungen via Augenkontakt
    Frank Zürn ist im Vergleich zu anderen Trainern im Fußball sehr ruhig während eines Spiels. Er kann auch kaum Einfluss nehmen. Nur bei Spielunterbrechungen sollen alle Spieler zu ihm schauen, damit er taktische Hinweise nehmen kann. Den Rest regelt Frank Zürn über Augenkontakt.
    "Die sind ja echte Augenmenschen, das heißt, das periphere Sehen ist extrem gut ausgebildet. Sie haben eine sehr gute Spielübersicht, wenn das Spiel läuft, die wissen wo die Leute stehen, wie die Positionen besetzt sind. Es greifen sehr schnell Automatismen. Wenn man das so sieht, und das ist auch unser größtes Problem in der Außenwirkung, dann kann man es kaum von einem hörenden Spiel unterscheiden."
    Und genau für die Außenwirkung will er bei der Europameisterschaft in Hannover mindestens das Halbfinale erreichen. Am besten soll es der Titel werden, damit sie dann am letzten Tag nicht wieder mit leeren Händen dastehen.