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Endlich eigene vier Wände

Zigtausende leben immer noch im Exil und wünschen sich nichts sehnlicher als nach Hause zurückzukehren. Das gilt auch für viele Serben. Dass ihnen niemand in ihrer Geschichte mehr geschadet hat als Slobodan Milosevic – diese Erkenntnis teilen sie mittlerweile mit dem Rest der Welt. Die Aggression gegen andere richtete sich am Ende gegen die Serben selbst. Und nicht nur im Kosovo wurden sie von Tätern zu Opfern.

Von Andrea Mühlberger | 11.12.2004
    Heute ist Serbien das Land mit den meisten Flüchtlingen in Europa – Serbien-Montenegro beherbergt eine halbe Million serbische Flüchtlinge und Vertriebene. Sie kamen aus Slowenien. Aus Kroatien. Aus Bosnien-Herzegowina. Aus dem Kosovo. Aus Mazedonien. Und sie sind bei ihren Landsleuten gar nicht willkommen. Weil sie Geld kosten. Weil sie an die serbischen Niederlagen erinnern. An das eigene Versagen. Und an die eigene Schuld.

    Sie leben in so genannten Kollektivzentren, wie die Flüchtlingslager in Serbien genannt werden. Die Verhältnisse dort sind katastrophal. Deshalb sollen sie der Reihe nach aufgelöst werden. Seit ein paar Jahren gibt es ein Hausbau-Projekt für serbische Flüchtlinge, die nicht mehr zurück können oder wollen – aus welchen Gründen auch immer. Zusammen mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, der serbischen Tochterorganisation und einem Schweizer Partner stellen lokale Behörden Grundstücke bereit. Die Familie Kovacevic hat eines bekommen.

    Petar Kovacevic versucht die Kettensäge anzuwerfen und plagt sich. Feucht und kalt ist es im Rohbau seines künftigen Hauses. Der Motor will einfach nicht anspringen.

    Der für seine 60 Jahre rüstige Mann kommt außer Atem. Seine Frau Ruzica ist in eine Daunenjacke gehüllt, heizt den Ofen an - und kocht Kaffee, für die kleine Pause zwischendurch. Vor dem Fenster, das mit einer Folie abgedeckt ist, spielt der 3-jährige David in einem Haufen Sand. Für ihn ist die Baustelle ein einziger Spielplatz. Petar Kovacevic, sein Opa, wischt sich den Schweiß von der Stirn und macht mit Arm und Zeigefinger eine kreisende Bewegung:

    "Ich und meine Frau haben das alles alleine gemacht."

    Als sei sie übergangen worden, fällt ihm seine stämmige Frau energisch ins Wort:

    "Ich habe auch geholfen, hab an der Maschine gearbeitet und Beton gemischt, Ziegelsteine und Blöcke getragen, gleichzeitig bin ich zur Therapie gegangen, weil ich krank war."

    Während Oma Ruzica Kaffee einschenkt, erzählt sie, wie sich die ganze Familie hier täglich abrackert – für das, was einmal ihre "Doppelhaushälfte" werden soll. Die Alten, die Jungen, alle helfen mit. Der Sohn eher selten: Von den 300 Euro, die er monatlich verdient, muss die ganze, sechsköpfige Familie satt werden. Auch für Besuch hat er wenig Zeit und lässt sich kaum blicken. Für die anderen spielt Zeit keine Rolle mehr - seit sie aus ihrem normalen Leben geworfen wurden. 9-einhalb Jahre ist das her. Der Tag , an dem die kroatische Armee ihren Heimatort Grahovo erobert hat, habe alles verändert – erzählt der Serbe Petar Kovacevic. Und es ist, als würden die tiefen Falten in seinem Gesicht zum ersten Mal deutlich hervortreten:

    "Wissen Sie wie es ist, wenn um ihr Haus herum Granaten fallen? Man kann nicht nach draußen, der Strom fällt aus – mit einem Wort: ein richtiger Kriegszustand.Natürlich fiel es mir schwer, Grahovo zu verlassen, seinen Geburtsort verlässt man nicht so einfach. In Grahovo ist mein ganzes Vermögen geblieben - Ländereien, Häuser..."

    "...der Traktor, das Auto, ....Kühe, Schafe – alles ist dort geblieben, wir konnten nichts mitnehmen. Nicht mal Kleidung, Bettwäsche, Bettzeug..."

    "Alles was ein Mensch haben kann."

    1995 – Das Schicksalsjahr für die ganze Familie. Als die kroatische Armee die Krajina zurück erobert, schließen sich die Kovacevics in einem fremden Wagen einem Flüchtlingszug tausender Serben an. Unterwegs wird die Kolonne mit Granaten beschossen. Die Kovacevics haben Glück und begreifen: Auch für sie hat ein Leben im Ausnahmezustand begonnen. Sie fliehen von Grahovo nach Knin, von dort zu Verwandten in die Vojvodina. Schließlich landen sie in Zemun, einem Vorort von Belgrad. Die Notunterkunft in einer früheren Blindenschule lässt ihren gestrandeten Bewohnern nicht ein Minimum an Intimsphäre:

    "Dort war alles gemeinschaftlich, Gemeinschaftsräume, Gemeinschafts-Klo...Wir waren alle in einem Raum. Es war eine schwere Zeit, eng. Und es gab einen Brand, weil die Installation alt war. Meine Schwiegertochter ist darauf mit den Kindern ausgezogen..."

    Anfang 2004 soll das Flüchtlingszentrum ganz aufgelöst werden. Die Bewohner müssen irgendwohin. Die Kovacevics werden bei einer Ausschreibung ausgewählt: Unterstützt von Flüchtlings-Hilfswerken aus dem In- und Ausland dürfen sie ihre eigene Doppelhaus-Hälfte bauen – auf einer sumpfigen Wiese, am Stadtrand von Zemun. Baumaterial gibt es umsonst. Das Haus bauen müssen sie selbst, zusammen mit den neuen Nachbarn. Spätestens im Sommer wollen die Kovacevics ihre Doppelhaus-Hälfte beziehen: Zu sechst auf 35 Quadratmetern, ein Erdgeschoß, ein Dachgeschoß. Wie das funktionieren soll?

    "Am liebsten würden wir dieses Zimmer hier in zwei Hälften teilen, oder besser: dritteln. Ein Zimmer für mich und die Oma, daneben Wohnzimmer und Küche. WC und Bad mit Dusche gäbe es auch....Oben wären zwei Schlafräume und ein Bad. So wäre es gut. Aber uns fehlt noch Geld, um das so machen zu können..."

    Petar Kovacevic stellt sich sein Haus viel geräumiger vor, als es ist. Doch der Mann mit den fröhlichen Augen lässt sich nicht beirren. Er nimmt wieder auf der wackeligen Bank Platz, und erklärt: Die 35 Quadratmeter bedeuten ihm alles. Und dann erzählt der Mann, der fast 30 Jahre lang ein erfolgreicher Geschäftsmann war, mehrere Häuser und Autos besessen hat, wie es ist, mit 60 noch einmal ganz von vorne anzufangen. Und: Warum er nicht mehr zurück kann, in sein Heimat-Dorf Grahovo, wo Serben und Kroaten einmal friedlich zusammen lebten:

    "Wenn es nach meinen Wunsch und Willen ginge: Gleich morgen würde ich mit Herz und Seele zurückkehren. Aber die Kinder lassen das nicht zu und der Krieg hat das Seine gemacht. Nach den Nato-Bombardierungen hier in Serbien habe ich meinen Heimatort noch mal besucht, alles war zerstört und niedergebrannt. Nur Kroaten sind zurückgekehrt, alles ältere Menschen. Sie haben zu mir gesagt: Komm doch zurück, was wartest du noch, warst doch immer ein Guter, Petar! Aber jetzt dorthin zurückzukehren und unter den Bedingungen dort ein neues Leben anzufangen, ohne Kinder und in unserem Alter – wir sind ja schon 60 – das ist sehr schwer."

    Was hält die Kovacevics wirklich davon ab, zurückzukehren? Petar Kovacevic spricht nicht darüber. Nach Angaben von Hilfsorganisationen sitzt das gegenseitige Misstrauen noch immer tief. Viele Männer haben Angst, ihnen könnte in Kroatien der Prozess gemacht werden. Dabei gibt es eine offizielle Amnestie-Garantie. Aber sie könnten schließlich für die Armee der selbst ernannten "Serbischen Republik Krajina" gekämpft haben. Petar Kovacevic winkt ab. Er zeigt ein Foto von seinem Sohn, der nie da ist, wenn Besuch kommt: Ein junger Mann mit breitem Lächeln.

    "Nein, mein Sohn hat keine Angst vor Repressionen, er war bei der regulären Armee. Aber er hätte dort keine Lebensgrundlage..."

    Es ist Sommer geworden. Die sumpfigen Wege, die zu den Häusern der Flüchtlingsfamilien führen, sind trocken gelegt. Mit einem Traktor schafft ein Nachbar Erde weg – vom Ausheben der Abwassergrube. Vor drei Wochen sind die Kovacevics in ihrer Doppelhaushälfte eingezogen. Oma und Opa sind im Garten zu Gange. Zur Begrüßung stützt sich der Hausherr lässig auf seine Schaufel und meint feierlich:

    "Nach neun Jahren schweren, leidvollen Lebens in fremden Häusern und fremden Schuppen und dank der Hilfe der Internationalen Gemeinschaft sind wir wieder zu einem eigenen Dach gekommen..."

    Von außen sieht das Haus mit dem spitzen Giebel noch immer wie ein Rohbau aus. Doch jetzt hat es Fenster mit Scheiben. Davor stehen Töpfe mit Geranien. Innen riecht es nach frischer Farbe. Die Möbel, Leihgaben einer Verwandten, sind aufgestellt. Und doch ist nicht alles so, wie es sich die Kovacevics vorgestellt hatten. Zu wenig Platz – ein einziges Provisorium. Es gibt noch kein Wasser, keinen Strom. Dabei hatte die Gemeinde Zemun versprochen, sich rechtzeitig darum zu kümmern. Die Schwiegertochter Milka kommt herein: Mitte 30, rot getönte Haare, schmal, ein bisschen zurückhaltend – und bringt zwei Eimer Wasser:

    "Wir waschen alles mit der Hand. Die Kinder kann man nicht oft genug waschen, bei all dem Staub und Schlamm. 2, 3-mal am Tag muss man sie umziehen. Schwer, schwer ist das. Das Wasser holen wir in Eimern vom Nachbarn!"

    Zwei Monate soll es noch dauern, bis Strom und Wasser kommen. Trotzdem: Die Familie sieht es positiv:

    "Es ist ein schönes Gefühl. Seit der Geburt der Kinder waren wir in einem Flüchtlingszentrum. Jetzt sind wir in unserem Haus. Wir konnten es kaum erwarten."

    "Ein Vogel saß auf dem Hausdach und der kleine David hat gesagt: Großvater, schau, da, auf DEINEM Haus ist ein Vogel!" (Alle lachen) "Und wir haben so gelacht!"

    Und Petar Kovacevic zitiert ein serbisches Sprichwort. Sinngemäß bedeutet es: Kein Haus ist zu eng, wenn sich seine Bewohner bescheiden.