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Entdeckungsreise durch die EU-Institutionen

In 23 Sprachen werden die Besucher des Parlamentariums in Brüssel begrüßt. Interaktive multimediale Darstellungen begleiten sie durch die Geschichte der europäischen Integration. In Rollenspielen können Schüler Einblick in die Arbeit der EU-Parlamentarier nehmen.

Von Nicole de Bock | 30.12.2012
    "Willkommen im Europäischen Parlament, wo jede Stimme zählt."

    Herein in das Parlamentarium, das Besucherzentrum des Europäischen Parlaments, kommt man durch den sogenannten "Tunnel der Stimmen". In allen Amtssprachen der Europäischen Union erklingt ein Willkommensgruß, der auf das mehrsprachige kulturelle Erbe Europas hinweißt.

    "Das sind 23 Sprachen, in denen Sie hier begrüßt werden. Dass Sie schon mal eine erste Einstimmung haben auf dieses Parlamentarium."

    Constanze Beckerhoff ist Pressereferentin im Europäischen Parlament. In 27 EU-Ländern werden insgesamt 23 Sprachen gesprochen, erklärt sie. Deswegen sind die gesamten multimedialen Darstellungen im Parlamentarium in diesen 23 Sprachen abrufbar.

    Nach dem Sprachentunnel verweisen kleine Schildchen auf die Themen, über die das Europäische Parlament zu entscheiden hat und die uns auch alle im Alltag beschäftigen.

    "Wij zijn maar één van een miljoen" deutet auf die Absicht die Artenvielfalt zu bewahren. "Recycle, reduce, re-use", ein Umweltthema und "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit” auch immer noch ein aktuelles Bestreben.

    "Nach München sind 605 km, nach Wien 917, nach Lublijana 921, um einfach zu zeigen, wo das Parlament überall auch vertreten ist."

    Constanze Beckerhoff zeigt auf die Wegweiser zu den Städten, in denen die Außenbüros der Mitgliedstaaten präsent sind. Sie hängen über einen Tisch, auf der die Gebäudemodelle der drei Sitzungsorte des Europäischen Parlaments, in Straßburg, Brüssel und Luxemburg zu sehen sind. Über den Audioguide kann man lernen, dass in Straßburg das Plenum des Parlamentes tagt, in Brüssel viel vorbereitende Arbeit geleistet wird und dass in Luxemburg die Verwaltung und die Übersetzer zu Hause sind.

    "Es ist hier sehr interessant und sehr High tech! Ich erwarte viel Informationen über das Europäische Parlament. Und ich bekomme sie!"

    Sagt ein schottischer Tourist. Er geht gerade in einen halbdunklen Korridor hinein, in dem über die Zeit vor der Europäischen Einigung, die düstere Zeit Europas erzählt wird.

    Constanze Beckerhoff: "Wir stehen hier gerade vor einem Foto aus 1917 aus Belgien, in dem dargestellt wird, wie die Stadt Ypern während des Ersten Weltkrieges zerstört wurde."

    Ein Zitat von Johan Huizinga aus 1935 macht klar, dass der Kulturhistoriker damals hinterfragte, ob diese Gesellschaft noch gerettet werden kann. Und Thomas Mann sagt 1940:

    "Was am Ausgang dieses Krieges stehen muss und wird ist klar: es ist der Beginn einer Weltvereinigung, die Schaffung eines neuen Gleichgewichts von Freiheit und Gleichheit."

    In einem zweiten, helleren Korridor wird die Zeitschiene vom Beginn der Europäischen Einigung bis heute multimedial dargestellt.

    Constanze Beckerhoff: "Also hier ist zum Beispiel ein Bild von England. Genau, das ist (das Jahr) 74 als Abba den ersten European Songconstest gewonnen hat."

    Eine junge Besucherin ruft an einem Bildschirm Texte auf über die Gründung der Europäischen Union und die Unterzeichnung der Verträge von Rom 1957.

    Hier erzählt man, dass die ganze Papiere nicht zeitig übersetzt wurden, sodass die Politiker teilweise blanko Dokumente unterzeichnen mussten, um den Vertrag am geplanten Datum schließen zu können.

    "Ich habe mir gerade den Vortrag von De Gaule damals angehört. Er glaubt nicht an ein Federales Europa, sondern nur an ein Europa der Staaten. Das war wirklich interessant, weil wir in der heutigen Zeit möglicherweise wieder bei dieser Auffassung von Europa gelandet sind."

    "Hier wird das Gedächtnis aufgefrischt. Ich hatte schon ganz vergessen, wie schnell sich Situationen änderten. 1989 kam die Berliner Mauer runter und 1990 wurde Deutschland wiedervereinigt. Also nur ein Jahr dazwischen!"

    Das aktuellste Foto der Zeitschiene zeigt den Tsunami in Japan vergangenen Jahres. Dann tritt man in einen riesigen Saal ein, in der alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments mit Foto und Statements präsent sind. Auch der Deutsche Martin Schulz, der unlängst zum Präsidenten des Parlaments gewählt wurde…

    "Ich bin deshalb in die Politik gegangen, weil ich glaube, dass man aktiv was tun kann und was tun muss und ich bin deshalb Europapolitiker geworden, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass die Integration von Staaten und Völkern, also das Zusammenwirken der Nationen, die in vergangenen Jahrhunderten Kriege gegeneinander geführt haben, eine gute Zukunft für uns alle mit sich bringt."

    Im Raum nebenan stellt der Boden eine Europakarte ohne Grenzen dar. An neunzig sogenannten "Hotspots", die europäische Städte markieren, kann man Videobotschaften starten, die über europäische Projekte erzählen. Dazu muss man ein kleiner Rollwagen über den Hotspot platzieren.

    "Okay jetzt rollen wir hier mal auf Prag. Die Tschechische Hauptstadt Prag. Wie an allen beliebten Touristenzielen besteht hier die Gefahr, dass Besucher während ihres Aufenthaltes krank werden und auf medizinische Versorgung angewiesen sind."

    Jährlich - so lernt man im kurzen Film - versorgen Krankenhäuser und Ärzte in Prag mehr als 8000 Europäer, die sich während ihres Aufenthaltes verletzen oder krank werden. Der Beitrag handelt über die Krankenversicherung, die jetzt für europäische Bürger in ganz Europa gültig ist. Ein junger Mann aus Ciney in der Wallonie:

    "Ich finde es sehr wichtig, dass ich im Ausland durch das schlichte Zeigen meiner Versichertenkarte wie zu Hause medizinisch behandelt werden kann. Das zeigt, dass Europa wie ein großes Land ist."

    In einem anderen Saal kommen die Bürger Europas selber zu Wort. 52 Europäer wurden porträtiert und erzählen über ihre Erfahrungen mit Europa. So Harald Waltner, Zugführer in den österreichischen Alpen:

    "Mit 20.000 PS über den Adelberg zu fahren, ist doch eine interessante Sache. Ich bin jetzt genau 20 Jahre Lokführer."

    Harald Waltner spricht darüber, wie der Beitritt Österreichs zur EU sein Leben verändert hat:

    "Die Grenzübergänge waren nicht mehr solche harte Übergänge. Der Zoll war früher ein Problem, man musste stehen bleiben. Die Güterabfertigung war komplizierter. Heute ist es bereits möglich, dass man aufenthaltslos ins Ausland fährt. Mittlerweile passen sich die Einrichtungen an: An die Grenze stellt die Lok selber um auf das neue nationale Sicherheitssystem. Und eine Europalok, die spielt also alle Stückchen und fährt von Italien bis Deutschland, von Slowenien nach Ungarn."

    Constanze Becker führt mich jetzt in einen zirkelförmigen Raum:

    "Hier kommen wir in ein 3-D-Kino mehr oder weniger, in dem die Arbeit des Parlamentes dargestellt wird. Und man sitzt in der Mitte eines Raumes und sieht ein Film, der in zwölf Minuten das Gesamte darstellt."

    Der Panoramafilm über die gesamte 360 Grad des Raumes projiziert, zeigt das Europaparlament an seinen verschiedenen Standorten in Aktion. Eine Belgierin ist beeindruckt:

    "Wir haben gesehen, wie man Gesetze verabschiedet und zu einem Konsens kommt. Ich war mir zuvor nicht bewusst, dass só viel Arbeit nötig ist, um zu eine Entscheidung zu kommen. Man bekommt Respekt vor dieser Leistung. Man denkt schon mal, dass die Abgeordneten nach Brüssel in Urlaub kommen, aber das ist doch nicht ganz richtig."

    Dass jeder Abgeordnete im Europaparlament in seiner eigenen Muttersprache zu Wort kommt, und dass alle Meldungen fortlaufend simultan übersetzt werden müssen, das beeindruckt!

    Auch der Schulklasse aus Brügge, die heute im Parlamentarium an einem Rollenspiel teilnimmt, bei dem sie selbst die Europaabgeordneten sind.

    "Welcome to the European Parlament, welcome tot the Parlamentarium. This area is reserved for the role play game. In the next two hours you will play as an MEP, a Member of the European Parlament, I' m going to use a bit of jargon."

    Nach einer kleinen Einleitung werden die Schüler in vier verschiedene politische Gruppierungen verteilt und bekommen je ein mobiles Telefon.

    Die Schüler müssen als Abgeordnete jetzt Gesetze verabschieden, die das Leben von 500 Millionen EU-Bürger beeinflussen werden. Zuerst werden sie mit den Gesetzesvorschlägen der Europäischen Kommission vertraut gemacht. Es geht über Beschlüsse für ein besseres Wassermanagement und für das Implantieren von Mikrochips. William ist schon ganz aufgeregt.

    "Jetzt müssen wir untersuchen welche Ziele die andere Parteien so anstreben und schauen, ob wir einen Kompromiss erreichen können. Wir sind als Grüne die kleinste Partei also müssen wir uns mit einer anderen Partei zusammentun, um mehrheitsfähig zu sein."

    Die Pseudo-Abgeordneten bekommen auf ihren Mobiltelefone SMS von fiktiven Bürgern oder Lobby-Vertretern, die alle irgendwelche Anliegen an sie herantragen. Die Standpunkte der anderen Parteien lernen die Schüler in Videoberichten kennen. Wenn sie genügend Informationen gesammelt haben, kommt es schließlich zur Abstimmung. Lehrer Dominique De Kweker:

    "Ich bin ziemlich enthusiastisch über das, was ich hier heute sehe. Dieses Rollenspiel bringt Vieles auf dem Punkt und regt zum Denken an. Ich glaube, dass die Schüler sich realisieren, wie das Parlament funktioniert, wieviel da eigentlich gemacht werden muss, welche Einflüsse Abgeordneten ausgesetzt sind… Die demokratische Praxis wird hier sehr deutlich!"

    Am Ende des Ausstellungscirkuits kann jeder Besucher seine Wünsche für die Zukunft Europas in einen Computer eintippen. Der Wunsch wird sofort auf große Bildschirme projiziert.

    "Ich wünsche mir Frieden auf Erden steht da zu lesen."

    Ein Anderer wünscht sich, bald auch Zeitreisen machen zu können.

    "Mein Name ist Gavin and I live in Verbuvy in Scottland.”"

    Gavin aus Schottland hat einen politischen Wunsch: dass Schottland unabhängig wird, aber innerhalb der EU!

    Matti Stavinsky studiert Geschichte und kommt aus Deutschland. Was bleibt hängen, wenn man diese Ausstellung gesehen hat?

    ""Der lange Weg zu dem, was hier jetzt gelebt wird. Auch nach dem doch sehr lange Zeit der Kriege, nationalen Feindschaften, ist es ist ja doch ein großer Sprung nach vorne, der in den letzten fünfzig, sechzig Jahre getätigt wurde. Und ich denke, dass kommt hier auch ganz gut rüber."

    Mattis Freundin, Laura Großer, die in Köln Sozialwissenschaften studiert:

    "Viel darüber, wie es zu der europäischen Einheit kam. Ganz praktisch zu sehen, wie das Europaparlament zusammen gesetzt ist, dass verschiedene Länder eben zusammen in Parteien agieren und nicht für sich, ja, welche Bedeutung bestimmte Länder auch für die EU haben, das wär es so."

    Und die noch junge Olivia empfindet richtig Sympathie für Europa:

    "Ich finde, wir machen alle Teil eines einzigen Planets aus. Ich finde es traurig, dass Länder nur egoistisch für sich arbeiten, sich sogar bekämpfen. Das Projekt der Europäischen Union nähert sich der Tatsache, dass wir auf einem Planeten leben, doch ein wenig an."