Dienstag, 19. März 2024

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Entwicklungszusammenarbeit in Afrika
"Es muss multilateral mehr getan werden"

20 Millionen Menschen in Somalia, im Südsudan, Jemen und Nigeria sind aktuell vom Hungertod bedroht. Die SPD-Entwicklungspolitikerin Gabi Weber fordert angesichts der Differenzen über die Finanzierung der Hungerhilfe in Afrika ein stärkere Kooperation der EU-Staaten. Zurzeit sei man zu sehr bilateral unterwegs, sagte sie im Deutschlandfunk.

Gabi Weber im Gespräch mit Ute Meyer | 29.05.2017
    Mehrere Bewohner sitzen auf Säcken, in denen Hilfsgüter angeliefert wurden.
    Menschen in dem Ort Sayla Bari sind auf Lebensmittelhilfen angewiesen (dpa-picture-alliance/Joe Giddens)
    Ute Meyer: Besonders harsch fiel die Reaktion von Entwicklungshilfeorganisationen auf den G7-Gipfel aus. Der Gipfel habe versagt, es sei ein Desaster, hieß es. Grund für den Zorn ist, dass es keine neuen Finanzzusagen gegen die Hungersnöte in Afrika gegeben hat. 20 Millionen Menschen in Somalia, im Südsudan, Jemen und Nigeria sind aktuell vom Hungertod bedroht. Darüber möchte ich sprechen mit Gabi Weber, Bundestagsabgeordnete der SPD und stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Schönen guten Tag, Frau Weber.
    Gabi Weber: Schönen guten Tag.
    Meyer: Teilen Sie diese sehr harte Kritik der Entwicklungshilfeorganisationen am G7-Gipfel, oder gibt es für Sie irgendwo einen Hoffnungsschimmer?
    Weber: Ich teile zunächst mal die Kritik, weil die G7 die Organisationsstruktur wären, in denen es möglich ist, wirklich auch Finanzzusagen zu geben. Und wenn man wirklich diese Hungersnot so ernst nehmen würde wie man spricht, müssten dringend diese Finanzzusagen auch gemacht werden. Es reicht nicht das, was wir bereits tun im Bereich der humanitären Hilfe; es muss viel, viel mehr und ein viel, viel größerer Anteil an Geld zugesagt werden von uns und von anderen auch.
    "Deutschland muss mehr investieren"
    Meyer: Nun könnte man ja das Wort von Kanzlerin Merkel, dass es Zeit sei, sich nicht mehr auf die USA zu verlassen, auch auf die Entwicklungshilfe übertragen und sagen, okay, machen wir es ohne die G7, Deutschland muss mehr investieren.
    Weber: Ja, Deutschland muss mehr investieren. Das, denke ich, ist unstreitig. Aber trotzdem sind wir nicht diejenigen, die diese Entwicklungshilfe oder Entwicklungszusammenarbeit alleine leisten können. Es muss multilateral wesentlich mehr getan werden. Im Moment sind wir bilateral stärker unterwegs. Das erweist sich aber, wenn es um die Größenordnungen geht, mit denen wir einfach arbeiten müssen, als zu wenig. Multilateral wesentlich stärker arbeiten.
    Meyer: Und eine Einigung von G6 ohne Trump, ist die nicht möglich?
    Weber: Das kann ich von hier aus nicht einschätzen, ob die nicht möglich wäre. Aber die USA völlig aus dieser Verantwortung herauszulassen, das ist natürlich auch dann ein Schritt, den wir uns sehr gut überlegen müssen. Dass wir in Europa wesentlich stärker, auch was die Entwicklungszusammenarbeit angeht, arbeiten müssen, denke ich, auch das ist ein wichtiger Weg. Aber völlig ohne die USA müssen wir notfalls arbeiten. Aber wenn Trump oder die USA ihre Entwicklungszusammenarbeit um eine riesige Summe – es sind 28 Prozent – kürzen, dann fehlt dieses Geld überall auf der Welt, und ob wir das auffangen können, das ist eine ganz andere Frage.
    "Ein Forum ohne Trump weltweit sehe ich im Moment nicht"
    Meyer: Gäbe es denn ein Forum, ein Gremium, das ohne Donald Trump funktioniert, das sich einigen könnte? Weil es ist jetzt ja doch etwas leicht zu sagen, wir können nichts tun, wenn Trump nicht mitmacht, oder nicht genug tun.
    Weber: Nein. So möchte ich auch nicht verstanden werden. Aber ein Forum ohne Trump weltweit sehe ich im Moment nicht. Wir müssen in Europa unsere Koordination und das, was wir machen können, wesentlich stärker auch zusammenbinden im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Da wäre Europa unsere Chance wie in vielen anderen Feldern auch.
    Meyer: Es wird in Europa im Moment ziemlich viel Mühe darauf verwandt, Flüchtlinge davon abzuhalten, hier zu uns zu kommen. Muss dann nicht noch viel mehr Akzent darauf gesetzt werden, den Menschen vor Ort zu helfen?
    Weber: Ein Missverständnis taucht zurzeit immer wieder auf, dass Flüchtlingsverhinderung Entwicklungszusammenarbeit wäre. Ich denke, davon sollten wir uns dringend verabschieden, diesen Zusammenhang so herum zu konstruieren. Langfristig angelegte Entwicklungszusammenarbeit kann Migrationsströme mindern oder auch verhindern, aber das, was jetzt damit verknüpft wird, dass man Grenzkontrollen macht, dass man Migrationspartnerschaften macht und das als Entwicklungszusammenarbeit verkauft, das ist einfach viel zu kurz gesprungen und das kann nicht Sinn unserer Politik sein.
    Mehr Einsatz für zivilen Friedensdienst
    Meyer: Verstehe ich Sie da richtig? Das heißt, in dem Sinne kritisieren Sie Entwicklungshilfeminister Müller, der die Kosten für Flüchtlinge hierzulande in den Entwicklungshilfeetat reinrechnet? Er ist ja stolz darauf, dass der jetzt auf 0,7 Prozent gestiegen ist.
    Weber: Wir haben ja in der vorletzten Sitzungswoche den entwicklungspolitischen Bericht debattiert und in diesen Debatten ist von mir und von anderen auch deutlich gesagt worden, dass dieses Erreichen des Ziels unter Einrechnung der inländischen Flüchtlingskosten eine Augenwischerei ist. Wir haben die echten 0,7 Prozent nicht erreicht, sondern wir haben sie nur deshalb erreicht, weil wir die Kosten reinrechnen dürfen. Das ist allerdings ein Verfahren, was OECD-weit so gemacht wird. Wir müssen im Grunde genommen zweimal die Quote ausweisen, einmal diese OECD-konforme Quote und dann die ohne diese Flüchtlingskosten, um uns nicht einfach von der linken in die rechte Tasche zu lügen.
    Meyer: Das heißt aber, wenn wir von 0,7 Prozent Entwicklungshilfe des Brutto-Nationaleinkommens ausgehen – und da sind die Kosten für Flüchtlinge hier mit drin – und Sie wollen das rausrechnen, sind wir aber wieder dabei, Deutschland tut zu wenig.
    Weber: Ja! Das ist auch eine Kritik, die in den letzten Jahren immer wieder auch von Seiten der SPD-Fraktion geäußert wurde. Wenn man diese Flüchtlingskosten rausrechnet, sind wir wieder bei 0,58 Prozent und die Lücke bleibt.
    Meyer: Nun sind Sie allerdings Teil der Regierung und gestalten mit. Warum haben Sie sich dafür nicht mehr eingesetzt?
    Weber: Wir haben uns massiv eingesetzt und haben auch einiges erreicht, aber nicht alle Ziele, die wir haben wollten. Ein wichtiger Punkt, der mir zum Beispiel sehr am Herzen liegt, ist die ganze Frage ziviler Friedensdienst, dass wir wirklich präventiv arbeiten, dass wir dort, wo Konflikte entstehen könnten, schon in der Vorbeugung mitarbeiten. Da haben wir eine Menge erreicht.
    "Der Marshall-Plan ist ein Ansatz, der leider ohne afrikanische Beteiligung gemacht wurde"
    Meyer: Kommen wir mal auf den Marshall-Plan für Afrika, den Entwicklungsminister Müller vorschlägt. Ist das dann nicht auch ein guter Ansatz?
    Weber: Der Marshall-Plan ist ein Ansatz, der leider ohne afrikanische Beteiligung gemacht wurde. Der wurde im BMZ ausgedacht und dann präsentiert. Der hat leider keine Absprachen auch mit der EU über diese verschiedenen Aufgaben, die alle definiert worden sind. Dass die Privatwirtschaft, private Investitionen ein wichtiger Baustein sind, dafür musste man nicht den Marshall-Plan haben. Der Marshall-Plan ist ein Instrument, was, wenn man ganz böse hingucken will, neokoloniales Denken beinhaltet nach dem Motto, wir wissen, was gut ist für Afrika, und das ist ein großes Manko.
    Meyer: Mal ganz konkret: Wenn Sie dann ab Ende September vielleicht das Entwicklungsministerium stellen, was würden Sie konkret besser machen?
    Weber: Wir würden mehr auf multilaterale Zusammenarbeit setzen, wesentlich mehr auch darauf schauen, dass wir mit den Vereinten Nationen arbeiten, dass wir uns um die ganze Frage entwicklungspolitischer Partnerschaften, diese ganze Diskussion um die EPA, neu kümmern müssen. Denn das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist so nicht zu akzeptieren. Wir müssen auch über die Frage Steuervermeidung und Korruptionsbekämpfung nachdenken, weil auch das sind Themen, die im Bereich Entwicklungszusammenarbeit und Geldflüsse, die da laufen von verschiedenen Ländern, einfach auch wichtig sind.
    Meyer: Danke schön!
    Weber: Bitte schön.
    Meyer: Gabi Weber war das, Entwicklungsexpertin der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.