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EOC-Präsident Janez Kocijančič
Die stille Größe im internationalen Sport

Seit November 2017 ist Janez Kocijančič Präsident des Europäischen Olympischen Komitees. Es ist der Höhepunkt einer bemerkenswerten Funktionärskarriere vom kommunistischen Kader zur stillen Größe im internationalen Sport.

Von Christian Bartlau | 20.01.2018
    Janez Kocijancic, Präsident der Europäischen Olympischen Komitees
    Janez Kocijancic, Präsident der Europäischen Olympischen Komitees (dpa/picture alliance/ Tatyana Zenkovich)
    Man könnte Janez Kocijančič leicht unterschätzen, diesen stets freundlich lächelnden älteren Herrn, der gern auffällige Krawatten trägt und zu launigen Sprüchen neigt: Schauen Sie sich das IOC an, sagte er einmal, es ist zu weiß, zu alt, zu fett.
    Seit zwei Monaten sitzt Kocijančič, ein weißer Slowene, 76 Jahre alt, als Präsident den EOC vor, den Europäischen Olympischen Komitees. Er vertritt 50 nationale Verbände gegenüber dem IOC, ist ein wichtiger Ansprechpartner für Thomas Bach. Es ist der Höhepunkt einer mehr als bemerkenswerten Funktionärskarriere vom kommunistischen Kader zur stillen Größe im internationalen Sport. Seine Beförderung vom Interims-Präsidenten für Skandalnudel Patrick Hickey zum offiziell gewählten EOC-Oberhaupt kommentiert er mit demonstrativer Demut.
    "Als ich anderthalb Jahre das Amt ausgeübt habe, wollten die Kollegen, dass ich das weitermache, und ich bin heute noch nicht überzeugt, dass ich das richtige mache, weil ich mich in den späten Jahren befinde."
    In sehr jungen Jahren schon begann seine Laufbahn als Funktionär: 1941 als Sohn eines Partisanenkämpfers und späteren Ministers in die politische Elite des Landes geboren, führte er als Nachwuchspolitiker Jugend- und Studentenorganisationen.
    "Ideologisch war ich ziemlich offen und man hat mich oft kritisiert, dass ich zu liberal war. Ich war immer ein Vertreter von linken sozialdemokratischen Ansichten und das bin ich auch heute."
    Für kurze Zeit war er Mitglied der Regierung des eher liberalen Stane Kavčič, der 1972 von Hardlinern gestürzt wurde. Kocijančič fiel mit ihm, aber weich: Der studierte Anwalt wurde Direktor des Handelsunternehmens Interexport, später übernahm er die staatliche Fluglinie Adria Airways. Nebenbei kletterte er im Skisport in höchste Funktionen: 1974 als Präsident des slowenischen, ab 1984 des gesamtjugoslawischen Verbandes. Seit 1981 gehört dem Machtzirkel des internationalen Skiverbandes FIS an.
    Primoz Cirman, investigativer Journalist der slowenischen News-Seite "Siol", hat sich lange mit Kocijančič befasst. Er meint, dass Kocijančič seine Rolle im kommunistischen Regime herunterspielt.
    "Er war auf keinen Fall ein Dissident oder so etwas. In den 80ern war er Mitglied von höchsten kommunistischen Strukturen."
    Ein "Onkel aus dem Hintergrund"
    Im Laufe der 80er-Jahre steigt Kocijančič in den engeren Kreis der kommunistischen Partei und ins slowenische Parlament auf. Als Slowenien 1991 nach dem Zehn-Tage-Krieg die Unabhängigkeit erlangt, erlebt das Land im Gegensatz zum großen Rest des Ostblocks keine harte Transformation. Kocijančič gelingt wie so vielen aus der Elite ein geschmeidiger Übergang. Die Kommunisten gehen in die Sozialdemokratische Partei über, Kocijančič wird 1993 ihr Vorsitzender, vier Jahre später muss er das Amt nach einer Wahlschlappe räumen. Auch wenn er sich aus der Politik zurückzog, blieb er doch präsent. Cirman nennt ihn einen "Onkel aus dem Hintergrund".
    "Mit seiner Beraterfirma mischt er oft mit wenn Investoren, gerade aus Südosteuropa, in Slowenien agieren. Aber er streitet immer alles ab und behauptet, dass er kein Lobbyist sei."
    Gute Kontakte kann Kocijančič im Sport knüpfen. Gleich 1991 an die Spitze des Nationalen Olympischen Komitees gewählt, bleibt der "ewige Präsident", wie er genannt wird, bis 2014 im Amt. Einige Slowenen halten ihn für den Mann, der das 2-Millionen-Einwohner-Land zu einer der erfolgreichsten Sportnationen der Welt machte. Kritische Stimmen, gerade aus den Ballsportarten, warfen ihm allerdings vor, zu viel Geld in den Skisport gelenkt zu haben. Zu den Kritikern gehörte laut Cirman auch Alexander Ceferin, Präsident des slowenischen Fußballverbandes und mittlerweile der Uefa. Er hat Kocijančič als mächtigsten slowenischen Sportfunktionär abgelöst – und eine ganz andere Vita vorzuweisen.
    Kocijančič spielt nach den Regeln der olympischen Familie
    "Er war nie in einem Staatsbetrieb, nie in der Politik, hat keine Partei unterstützt. Es war ein ganz anderes Umfeld als das von Kocijančič. Dessen Einflusssphäre ist eine alte olympische Garde. Mit solchen Leuten hat Ceferin nichts zu tun."
    Kocijančič spielt nach den Regeln der olympischen Familie. Seinen Vorgänger Patrick Hickey unterstützt der Slowene im Ticketskandal von Rio bis heute gegen alle Vorwürfe. Laut Medienberichten drohen dem Iren in Brasilien im schlimmsten Fall 44 Jahre Haft.
    "Es gibt bis jetzt keinen Prozess, wir sollten abwarten, ob er schuldig erklärt wird oder nicht. Ich kann nur als Jurist sagen, dass das, wofür er beschuldigt wird, in Europa kaum für ein Strafverfahren reichen würde."
    Die juristische Einschätzung des promovierten Doktors der Rechtswissenschaften in einer anderen Frage ist noch pikanter: Der Slowene spricht sich offen gegen den Ausschluss des russischen olympischen Komitees von den Spielen in Pyeongchang aus.
    "Ich bin nicht prorussisch oder antirussisch, ich bin für Gerechtigkeit. Und ein Land auszuschließen und kollektive Sanktionen anzuwenden, ist meiner Meinung nach gesetzeswidrig und unethisch."
    Ethisch unproblematisch findet Kocijančič die Vergabe der Europaspiele. Das Prestigeprojekt der EOC geht 2019 in seine zweite Auflage, nach der Premiere in Aserbaidschan besuchen die europäischen Topsportler nun Minsk in Weißrussland. Dort herrscht Alexander Lukaschenko, Träger des wenig schmeichelhaften Beinamen "letzter Diktator Europas" – und des olympischen Ordens der EOC.
    "Wir gehen dorthin, wo wir eingeladen sind und nicht mit der Idee Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen, sondern gute Spiele zu organisieren und bei der Öffnung der Gesellschaft zu helfen."
    Beobachter sprechen schon von einer Spaltung innerhalb der EOC: Kocijančič als Vertreter des Ostens gegen die Westler um seinen dänischen Vize Nils Nygaard, der sich gegen die Spiele in Minsk ausgesprochen hatte. Bei der ersten Sitzung des neuen Exekutivkomitees unter der Woche schlug Kocijančič allerdings versöhnliche Töne an: Für die Europaspiele 2023 wollten die EOC eine Stadt im Westen angehen. Und dem anwesenden IOC-Präsidenten Thomas Bach sicherte Kocijančič die volle Unterstützung der EOC in der Russland-Frage zu. Harmonie geht eben in der olympischen Familie über alles.