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"Er hat doch eine ganze Menge richtig gemacht"

Auch wenn das Presseecho verheerend sei, so habe Bundespräsident Christian Wulff in seinem Interview "doch eine ganze Menge richtig gemacht", lobt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Erstmals sei "so etwas wie eine Strategie" sichtbar geworden, indem Wulff nun "Transparenz als neue Basisideologie" transportiere.

Bernhard Pörksen im Gespräch mit Friedbert Meurer | 05.01.2012
    Friedbert Meurer: Der Bundespräsident hat ein Interview in eigener Sache gegeben. Allein das ist schon ein recht ungewöhnlicher Vorgang. Vielleicht hat Christian Wulff selbst vor eineinhalb Jahren gedacht, das Amt des Bundespräsidenten, das ist krisenfester als das eines Ministerpräsidenten. Jetzt aber über Weihnachten wurde bekannt, der Vorfall bei der "Bild"-Zeitung, die Mailbox-Geschichte, jetzt kämpft das Staatsoberhaupt um sein politisches Überleben. - Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaften an der Universität Tübingen. Guten Morgen, Herr Pörksen.

    Bernhard Pörksen: Guten Morgen! Ich grüße Sie.

    Meurer: Sie haben sich auch das Interview angeschaut, haben schon viele Affären, Skandale untersucht. Was sollte man als Politiker machen, was sollte man besser nicht machen in solchen Situationen? Hat der Bundespräsident Christian Wulff gestern Abend alles richtig gemacht?

    Pörksen: Ich würde sagen, er hat nicht alles richtig gemacht, aber er hat doch eine ganze Menge richtig gemacht. Man muss sagen, die Phase eins dieser Skandalisierung war begleitet von einer Verkettung katastrophaler Fehlleistungen und unprofessioneller Darbietungen vonseiten des Bundespräsidenten und vor allem auch seiner Berater, die einen immer wieder erstaunen. Er hätte sehr viel schneller reagieren müssen, sehr viel transparenter reagieren müssen, er hätte die neuen Kommunikationsbedingungen, die neuen Geschwindigkeiten in einer ganz anderen Dimension in Rechnung stellen müssen. Dr hätte auch sozusagen mit der Aura und der Würde des Bundespräsidenten reagieren müssen. Aber gestern stand er doch - und das gilt es, glaube ich, sich klar zu machen - bei aller Skandalisierungsstarre, die im Moment beherrschend zu sein scheint, hat er doch sozusagen ein Dilemma lösen müssen: Auf der einen Seite ernsthafte Reue zeigen, um Verzeihung bitten, und auf der anderen Seite signalisieren, dass sozusagen die eigene Selbstoffenbarung nicht zu weit geht, dass er als Bundespräsident ja nicht einfach sagen kann: Ich habe schlicht und einfach die Nerven verloren, es tut mir leid, aus dem Affekt gehandelt. Dieser kommunikative Balanceakt, der hier notwendig war, den hat er doch nach meinem Gefühl - und das sage ich entgegen einem ja verheerenden Presseecho von dem heutigen Morgen - ganz gut gelöst.

    Außerdem sehen Sie das erste Mal so etwas wie eine Strategie. Aus meiner Sicht war es sehr interessant zu sehen, dass er auf seine eigene Form des Skandalmanagements reagiert und nun sozusagen Massen von Anfragen und Antworten im Netz veröffentlicht, also Transparenz als neue Basisideologie nun transportiert.

    Meurer: Das hat er aber auch schon vor Weihnachten über seine Anwälte machen lassen. Wenn er heute jetzt alles von seinen Anwälten ins Internet stellen lässt, alle Verträge, Urkunden, Papiere und so weiter, was wirkt mehr, dieses Platzieren im Internet oder ein Auftritt vor einem Millionenpublikum im Fernsehen, in dem ein Politiker sagt, ich bin auch nur ein Mensch, ich mache Fehler?

    Pörksen: Ganz gewiss ist das Fernsehen nach wie vor das wirksamere Medium, auch weil sie natürlich Aufmerksamkeit ganz anders zentrieren. Aber er hat noch etwas Interessantes in diesem Gespräch getan. Er hat nämlich unterschieden, zumindest implizit unterschieden zwischen der Medienempörung, die ja unisono ist, die absolut beherrschend ist, und der Publikumsempörung, und versucht, gleichermaßen sich einerseits massiv bei den Medien zu entschuldigen, und andererseits auf die Unterstützung der Bürger, zumindest eines Teils der Bürger - die Stimmung dreht sich ja erkennbar - zu setzen. Das scheint mir zumindest von außen betrachtet, analytisch betrachtet als eine vergleichsweise smarte Strategie.

    Meurer: Sie haben goldene Regeln aufgestellt, was ein Politiker in Affären beachten sollte. Eine lautet: Lass die Salamitaktik bleiben. Warum?

    Pörksen: Salamitaktik hat noch nie funktioniert, also man gibt scheibchenweise das zu, was ohnehin bekannt ist, und dann wird man wieder von den Ereignissen eingeholt. Aber sie funktioniert besonders schlecht unter den neuen Geschwindigkeitsbedingungen, die durch die digitale Kommunikation ins Leben gerufen wurden. Also sie geben etwas zu, sie machen ein Teilgeständnis, das ein wenig fehlerhaft ist, und übermorgen schon haben sie den Gegenbeweis. Denken sie an den jetzigen Moment. Was tatsächlich noch skandalisierbar ist, aus dem Fernsehinterview, ist die Behauptung von Wulff, er habe die "Bild"-Zeitung doch nicht versucht einzuschüchtern, er habe den Chefredakteur lediglich gebeten, die Berichterstattung einen Tag lang aufzuschieben. Was nun passieren kann, im Extremfall passieren kann, ist eine Ad-hoc-Veröffentlichung dieser entsprechenden Voicemail-Nachricht. Also dieses sozusagen Spiel mit Deutungen, das schrittweise Zugeben, dies alles kann - auch das hat der Fall Guttenberg natürlich in massiver Weise klar gemacht - nicht funktionieren unter den Bedingungen digitaler Kommunikation. Hier müssen Sie sehr schnell und mit maximaler Transparenz reagieren.

    Meurer: Bedingungen digitaler Kommunikation - bei Guttenberg war es das Guttenplag, dass sich viele engagierte User fanden, die nächtelang die Doktorarbeit untersucht haben von zu Guttenberg. Wo sehen Sie hier sozusagen die neuen digitalen Bedingungen im Fall Wulff walten?

    Pörksen: Na ja, zum einen hat er natürlich aus dem Affekt heraus auf die Mailbox des Chefredakteurs gesprochen und damit ein Dokument geschaffen, das sich sehr leicht ins Netz stellen ließe und einen permanenten Skandalisierungsanlass bieten könnte. Zum anderen ist es natürlich so, dass insbesondere die Onlinemedien eine permanente Taktung vorgeben. Wenn Sie sich anschauen, mit welcher Geschwindigkeit auch dieses Gespräch gedeutet wurde und gewissermaßen das Versagen von Christian Wulff dargestellt wurde, allein diese neuen Geschwindigkeiten, die wären unter anderen Medienbedingungen überhaupt nicht vorstellbar.

    Meurer: Muss dann der Bundespräsident auch die Schlagzahl seiner Interviews erhöhen?

    Pörksen: Das würde ich nicht sagen. Es ist wichtig, konzentriert vorzugehen, und auch das hat er ja versucht mithilfe seiner Berater, nun massiv die Rahmenbedingungen von Kommunikation zu kontrollieren, also nur bestimmte Journalisten zuzulassen, keine Pressekonferenz mit offenem Ende zu geben, keine weiteren Fragen nach den 21 Minuten dann stattzugeben. Die Schlagzahl erhöhen ist nicht das Richtige, sondern das Wenige transparent und möglichst umfassend zu tun.

    Meurer: Die Form, nur ARD und ZDF gestern herauszupicken als Medium, was sagen Sie dazu?

    Pörksen: Da würde ich sagen, aus der Sicht seiner Berater, die ihn kennen, absolut berechtigt. So muss man es machen, wenn man Rahmenbedingungen kontrollieren können soll. Ich kann natürlich die Medienvertreter verstehen, die sich in massiver Weise beschweren. Aber eine offene Pressekonferenz mit unberechenbaren Frage-Antwort-Spielen, die wäre ihm vermutlich aus der Sicht seiner Berater in dieser Situation nicht zumutbar gewesen, auch wenn es natürlich die bessere Variante gewesen wäre aus der Sicht vieler Journalistinnen und Journalisten, die sich zu Recht beschwert haben.

    Meurer: Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaften an der Universität Tübingen, zum Interview von Bundespräsident Christian Wulff gestern Abend in ARD und ZDF. Herr Pörksen, danke und auf Wiederhören.

    Pörksen: Ich danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.