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Erwartungen an die Tarifrunde 2008

Eine harte Tarifrunde steht bevor: Seit dreieinhalb Jahren haben die Beschäftigten von Bund und Gemeinden keine Tariferhöhung mehr gesehen, stattdessen Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Unter dem Strich, nach Abzug der Teuerungsrate, sind die Gehälter um über fünf Prozent gesunken. Doch damit soll nun Schluss sein.

Eine Sendung von Gerhard Schröder und Michael Braun | 09.01.2008
    "Strom, Gas, Wasser, Lebensmittel, Benzin - das alles ist erheblich teurer geworden!"

    sagt Frank Bsirske, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.

    "Und in dieser Situation, Kolleginnen und Kollegen, sagen wir: So mit steigenden Preisen und sinkender Kaufkraft, so kann es nicht weiter gehen, so darf es nicht weiter gehen, so soll es nicht weiter gehen, Kolleginnen und Kollegen."

    Seit dreieinhalb Jahren haben die Beschäftigten von Bund und Gemeinden keine Tariferhöhung mehr gesehen, stattdessen mussten sie Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld hinnehmen. Unter dem Strich, nach Abzug der Teuerungsrate, sind die Gehälter um über fünf Prozent gesunken. Doch damit soll nun Schluss sein. Der Aufschwung muss endlich den öffentlichen Dienst erreichen, fordern die Gewerkschaften Verdi und Beamtenbund, die in diesem Jahr erstmals gemeinsam in die Tarifrunde ziehen.

    Acht Prozent mehr Geld wollen sie für die 1,5 Millionen öffentlich Bediensteten bei Bund und Gemeinden heraus- schlagen. Ein Paukenschlag, der weit über den Öffentlichen Dienst hinaus Gehör findet. Allein die konfliktfreudige IG Metall hat für die Stahlbranche die Zielmarke ähnlich hoch gelegt. Allerdings werden dort üppige Gewinne eingefahren. Bund und Gemeinden dagegen stehen vor einem gewaltigen Schuldenberg. Doch diese Argumentation will Beamtenbund-Chef Peter Heesen nicht länger akzeptieren.

    "Wenn es gewerkschaftlicher Maßstab wäre zu sagen, wir denken erst dann über Einkommenserhöhungen nach, wenn die Schulden abgebaut sind, dann brauchen wir in den nächsten 50 Jahren keine Verhandlungen mehr anzufangen; also das kann nicht der Maßstab sein. Im Übrigen, wir können auch dem öffentlichen Dienst nicht sagen, nachdem wir massenhafte Milliarden in den letzten 15 Jahren gespart haben, wir tragen weiter die Haushaltspolitik mit ihren Problemen auf deinem Rücken aus; da muss man ernsthaft einmal über die Frage nachdenken, an welchen anderen Stellen gespart werden kann."

    Eine harte Tarifrunde steht bevor. Innenminister Schäuble warnte die Gewerkschaften, die Sanierung der Staatsfinanzen nicht aufs Spiel zu setzen. Der eingeschlagene Weg müsse fortgesetzt werden. Noch klarer äußerte sich der Verhandlungsführer der Kommunen, Thomas Böhle:

    " In der Privatwirtschaft werden Sie keinen Abschluss finden, der in einer ähnlichen Größenordnung liegt. Der öffentliche Dienst ist überschuldet; in der Privatwirtschaft werden Gewinne gemacht. Es ist klar, dass man am Gewinn gerne partizipiert, aber in einer solchen Verschuldungssituation eine solche Forderung zu erheben, verkennt komplett die kommunalen Realitäten. "

    Die öffentlichen Arbeitgeber fahren schweres Geschütz auf. Zu hohe Lohnabschlüsse könnten sich für die Beschäftigten schnell zum Boomerang entwickeln. Rationalisierung und Jobverlust könnten die Folge sein, so Böhle:

    "Es würde im Bereich der Unternehmen und Betriebe die Tendenz zur Privatisierung, zum Outsourcing, zur Auslagerung von kommunalen Leistungen - mit entsprechenden Nachteilen für die Beschäftigten - befördern."

    Die Kommunen haben ihre Verhandlungsposition in einem Zehn-Punkte-Papier zusammengefasst.

    Die Eckdaten: Die Einkommen sollen - wie in den Ländern zu Jahresbeginn - nicht stärker als 2,9 Prozent steigen. Im Gegenzug wird die Arbeitszeit generell auf 40 Stunden erhöht. Ein Vorschlag, den die Gewerkschaften als Provokation empfinden. Und deshalb rasseln ver.di und Beamtenbund schon kräftig mit dem Säbel. Wenn sich die Arbeitgeber quer stellen, dann gibt es Streik, tönen die Gewerkschaftsführer Bsirske und Heesen.

    Der öffentliche Dienst setzt damit ein Signal für die Tarifrunde 2008.
    Es drohen Auseinandersetzungen um Löhne und Gehälter wie lange nicht. Denn nicht nur die Beschäftigten bei Bund und Gemeinden wollen üppige Zuschläge durchsetzen. In diesem Jahr stehen Tarifverhandlungen in fast allen großen Branchen an. Insgesamt stehen in diesem Jahr Tarifverhandlungen für über sechs Millionen Beschäftigte auf der Agenda. Und überall wollen die Gewerkschaften kräftige Lohnzuschläge durchsetzen. Ein gefährlicher Kurs warnt Volker Becher, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands Stahl. Zwar machten die Unternehmen zurzeit noch gute Geschäfte, am Horizont seien aber erste Wolken längst sichtbar:

    "Wir merken, dass so ein bisschen schon in den verschiedenen Sparten daran, dass die Mengen zurück gehen, d.h. die Mengenforderungen, dass die Preise nicht mehr so durchsetzbar sind, wie es jetzt aktuell war und dass, wenn man das beides berücksichtigt, natürlich auch die Erträge schlechter werden und das heißt wieder, man kann einen solchen Tabellenwert von 8%, zumal er dann dauerhaft wirken würde, sich nicht leisten."

    Die IG Metall-Tarifexpertin Helga Schwitzer überzeugt das nicht. Sie sieht die Gewerkschaft in einer komfortablen Lage. Denn die Auftragsbücher der Stahlkonzerne sind gut gefüllt, ein Streik würde sie teuer zu stehen kommen. Die IG Metall will sich daher nicht lange hinhalten lassen. Ende Januar endet die Friedenspflicht. Schwitzer:

    "Wir stellen fest bei den Beschäftigten, dass sie durchaus das Gefühl haben - und das Gefühl trügt auch nicht - dass sie am Aufschwung nicht so beteiligt sind, wie z.B. Andere, wie Vorstände, wie Aktionäre, wie Manager. Also, die Tarifrunde ist auch eine Frage, eine Frage der Gerechtigkeit, des fairen Anteils am Aufschwung, des fairen Anteils am Ergebnis eines Unternehmens."

    Dieser Eindruck ist nicht unberechtigt, sagt Reinhard Bispinck von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Einkommen der Arbeiter und Angestellten hinkten in den vergangenen Jahren deutlich hinter den Gewinnen der Unternehmen her.

    "Wir sind, was die Reallöhne angeht, in etwa auf dem Stand der Neunziger Jahre, d.h. alles das, was wir an wirtschaftlich gestiegener Leistungsfähigkeit in diesem Zeitraum erarbeitet, erwirtschaftet haben, schlägt sich in der Entwicklung der realen Löhne und Gehälter derzeit nicht nieder."

    Selbst im Aufschwungjahr 2007 sind die Einkommen real - also nach Abzug der Inflation kaum gestiegen. Die Teuerung hat die Tariferhöhungen weitgehend aufgezehrt. Die Hans-Böckler-Stiftung geht für das vergangene Jahr bundesweit von einem Anstieg der Löhne und Gehälter von zwei Prozent aus. Die Bundesbank ist noch zurückhaltender. Auch Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft, attestiert den Gewerkschaften eine sehr moderate Tarifpolitik:

    "Wir haben eine ausgesprochene Lohnmäßigung seit Mitte der Neunziger Jahre gehabt; die Früchte sehen wir: die Unternehmen sind wettbewerbsfähiger geworden, wir haben auch die Investitionsnachfrage, das ist auch eine Komponente der Binnennachfrage, gestärkt. Wir haben dadurch das Beschäftigungswachstum angeschoben und wenn wir die Mehrwertsteuererhöhung nicht gehabt hätten, hätten wir auch bessere Konsumentwicklung im letzten Jahr gehabt."

    Und nicht nur das. Die Gewerkschaften sind den Arbeitgebern in den vergangenen Jahren - bedingt durch die schwache Konjunktur und den verschärften internationalen Lohnwettbewerb - weit entgegen gekommen. Sie haben gegen große interne Widerstände die Arbeitszeiten flexibilisiert, haben Öffnungsklauseln zugestimmt, die den Betrieben Abweichungen vom Flächentarifvertrag ermöglichen, haben Einschnitte bei Weihnachts- und Urlaubsgeld hingenommen. Nun aber hat sich der Wind gedreht.

    " Natürlich ist es notwendig, jetzt stärkere Einkommenssteigerungen zu erzielen, nicht weil man die letzten 10 - 15 Jahre nachholen könnte, das wird ökonomisch so nicht möglich sein, aber wir müssen endlich eine Trendwende in der generellen Einkommensentwicklung haben, dass Arbeitnehmereinkommen wieder stärker steigen, dass sie mindestens den Verteilungsspielraum ausschöpfen, das bedeutet, sie müssen die Preissteigerungsrate ausgleichen, und sie müssen auch den Beschäftigten einen Anteil an der gestiegenen Arbeitsproduktivität einräumen. "

    Auch Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft sieht durchaus Spielraum in der Lohnpolitik. Er ist aber gegen einen allgemeinen Anstieg der Tarife:

    "Eine Alternative wäre, um eben den Verteilungskonflikt zu entschärfen, dass man in den Tarifverträgen vermehrt auf Gewinnbeteiligung setzt, dann hätten nämlich die Arbeitnehmer schon im letzten Jahr in den Unternehmen und in den Branchen, wo die Gewinne wirklich gesprudelt sind, schon angemessen partizipiert. Da liegt eigentlich die Zukunft drin, um den Verteilungskonflikt ein Stück weit zu entschärfen. "

    Bislang allerdings beteiligen nur zehn Prozent der Unternehmen ihre Beschäftigten am Unternehmenserfolg. Ein Grund, so Lesch: Vor allem Mittelständische Unternehmen möchten sich nur ungern in die Bücher schauen lassen.

    Ohnehin würden davon nur jene profitieren, die auch in der Vergangenheit schon gut abgeschnitten haben. Die Ungleichheiten würden sich weiter verstärken, sagt Reinhard Bispinck:

    " Die Branchen, die gut wirtschaftlich laufen, wo die Gewerkschaften noch stark sind, haben halbwegs angemessene Einkommensentwicklung und die Branchen, wo dies nicht der Fall ist, die in der Krise stecken, wo ohnehin niedrige Einkommen gezahlt werden und auch die Gewerkschaften schwach organisiert sind, bleiben weiter zurück, das driftet auseinander, wir haben eine Spreizung der Einkommen mit problematischen Wirkungen irgendwann dann auch für die Mittleren- und Gutverdienenden. "

    In der Metall- und Chemieindustrie etwa sind die Tariflöhne in den vergangenen sieben Jahren um 20 Prozent gestiegen. Hier treffen für die Beschäftigten zwei Erfolgsfaktoren zusammen: Eine starke Gewerkschaft und wettbewerbsfähige Unternehmen, die selbst die Krisenzeiten vergleichsweise gut überstanden haben.

    In anderen Branchen ist es genau umgekehrt. Dort paaren sich wirtschaftlicher Abwärtssog mit gewerkschaftlichem Machtverlust - was eine weitgehende Erosion des Tarifsystems zur Folge hat.

    In vielen Dienstleistungsbranchen und im Einzelhandel etwa haben die Gewerkschaften nur noch wenig zu melden. Die Mitgliederzahlen sind dramatisch gesunken, immer mehr Unternehmen entziehen sich dem Tarifsystem. Die Folge: Das Lohnniveau rutscht immer weiter ab. In vielen Branchen werden Löhne gezahlt, die kaum noch zum Leben reichen. 1,3 Millionen Erwerbstätige verdienen so wenig, dass der Staat mit zusätzlichen Hilfen einspringen muss.

    Um eine weitere Erosion des Tarifgefüges zu verhindern, schlägt Reinhard Bispinck von der Hans-Böckler-Stiftung eine Doppelstrategie vor: die Tarifparteien müssten für die jeweilige Branche verbindliche Mindestlöhne festsetzen. Und dort, wo das nicht möglich sei, müsse der Gesetzgeber eine allgemeine Lohnuntergrenze fixieren.

    " "Er wird nicht die Einkommensentwicklung insgesamt umkehren können, aber wenn wir durch ein effektives Instrument, wie es ein Mindestlohn sein kann, verhindern, dass es ein noch weiteres Absinken am unteren Ende gibt. Dann haben wir ja eine doppelte Stabilisierung: erstens positive Einkommenswirkung für die unmittelbar davon Betroffenen, aber auch eine Stabilisierungs- und positive Wirkung für die Einkommensschichten, die darüber liegen, weil dieses immer weiter Absinken, dieses kaskadenartige Herabfallen in der Einkommenspyramide damit gestoppt wird"

    Freilich sehen auch Gewerkschafter die Nachteile eines Mindestlohns. In der IG Metall regt sich deshalb Widerstand gegen diese Forderung, vor allem bei ihrem jungen Bezirksvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen, Oliver Burkhard. Sein Argument: Unternehmen könnten sich veranlasst sehen, die Tarifbindung guten Gewissens zu verlassen, weil sie ja den Mindestlohn zahlen. Das aber mache es schwieriger, höhere Tariflöhne durchzusetzen.

    Doch die SPD bleibt bei ihrem Wahlkampf-Thema Mindestlohn, und damit nicht genug. Führende Politiker der Partei ermuntern die Gewerkschaften zu kräftigen Lohnforderungen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier etwa, der noch nicht lange stellvertretender Parteivorsitzender ist, meinte Ende vorigen Jahres, die Arbeitnehmer, auch die im öffentlichen Dienst, müssten "mit deutlichen Lohnerhöhungen ihren fairen Anteil am Aufschwung erhalten".

    Martin Kannegießer, der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, empfindet die Lohndebatte als unangemessene Einflussnahme:

    "Dass Politik grundsätzliche Stellungnahmen abgibt über die wirtschaftliche Situation und auch über grundsätzliche Fragen der Verteilung, das ist zu akzeptieren. Dass sie aber in dieser massiven Form undifferenziert Position bezieht vor Beginn von Tarifrunden, schadet der Sache. Es wird das Finden von Lösungen nicht erleichtern und kann auch Tarifautonomie beschädigen."

    Aber es ist klar: Die Volkswirtschaft kann höhere Löhne verkraften, vielleicht sogar gebrauchen. Denn die Auftragslage der Unternehmen ist sehr gut. Erst gestern berichtete das Wirtschaftsministerium, auch im November 2007 hätten die deutschen Unternehmen viele Aufträge bekommen. Analysten hatten eigentlich mit sinkenden Zahlen gerechnet und deshalb die neueste Entwicklung als "sensationell gut" bezeichnet. Insgesamt lässt sich sagen: Das vergangene Jahr war ein gutes für die deutsche Wirtschaft: Die Gewinne der Unternehmen sind gestiegen, das Aktienjahr hat mit einem Plus von 22 Prozent geschlossen - und ist damit das fünfte Jahr in Folge mit steigenden Kursen.

    Das liegt an der Qualität und Wettbewerbsfähigkeit der hierzulande produzierten Waren und wesentlich auch an den Lohnstückkosten. Sie sind in Deutschland auf dem Niveau des Jahres 2000 stehen geblieben, während sie in den Nachbarländern gestiegen sind. In Spanien etwa um 40 Prozent, in Frankreich um 20 Prozent, in den Niederlanden um 15 Prozent. Das hat die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Anbieter deutlich verbessert. Klaus Holschuh, Chefvolkswirt der DZ Bank:

    "Unsere Wirtschaft läuft ja im Moment sehr, sehr stark über den Außenhandel und vor allem über den Außenhandel innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Rund 80% unserer Exporte gehen in die Europäische Gemeinschaft und wir sehen die Steigerungsraten, die ja durchaus zweistellig sind, dass diese Zuwachsraten vor allem dadurch zustande kommen, dass wir heute günstiger und billiger produzieren, als unsere Wettbewerber in den Nachbarländern. "

    Die Volkswirte sind nahezu einheitlich der Meinung, die aktuelle Lohnrunde dürfe durchaus kräftiger als bisher ausfallen. Denn der private Verbrauch ist bisher der Schwachpunkt der Konjunktur. 2006 schossen die deutschen Exporte um mehr als zwölf Prozent nach oben, die privaten Konsumausgaben aber stiegen nur um ein Prozent. Voriges Jahr wuchsen die Ausfuhren um mehr als acht Prozent, der private Konsum ging gar um 0,2 Prozent zurück.



    Dazu beigetragen hat auch der Staat, dessen Repräsentanten derzeit die Gewerkschaften ermuntern, mehr für ihre Mitglieder zu fordern, die aber den Menschen voriges Jahr viel Geld aus der Tasche gezogen haben. DZ-Bank-Volkswirt Klaus Holschuh:

    " "Wir haben im letzten Jahr ja eine ganze Reihe von Steuererhöhungen gehabt: Mehrwertsteuererhöhung, Kürzung der Pendler-Pauschale, Kürzung des Sparer-Freibetrags, Erhöhung der Versicherungssteuer. Wenn man das alles zusammen nimmt, dann war ein Durchschnittshaushalt in Deutschland mit rund 800 Euro belastet im letzten Jahr aber auch in diesem Jahr von dieser Maßnahme, und das sind rund zwei Prozent des verfügbaren Einkommens; das hat also gefehlt für den privaten Konsum."

    Ohne die Inflation anzuheizen und die Wettbewerbsposition zu beschädigen, lassen sich im Schnitt 1,2 Prozent Effizienzgewinn und wohl auch ein Inflationsausgleich von rund zwei Prozent verteilen. In der Metall- und Elektroindustrie, wo die Produktivitätsfortschritte größer sind, dürfen Forderungen und Abschlüsse auch höher liegen. Der Binnenkonjunktur könnte es bekommen, sagt Holger Bahr, Leiter Volkswirtschaft bei der Deka Bank, zumindest in Maßen:

    "Wenn man eine sehr, sehr starke Lohnrunde hat und dann auch in den Lohntüten der einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr Geld da ist, dann haben sie es zunächst einmal in der Tasche und es steht zur Verfügung. So dies dann auch verausgabt wird, könnte man von einem konjunkturellen Impuls sprechen in diesem Jahr. Nur die Folge ist tatsächlich dann für das Einstellungsverhalten der Unternehmen durchaus negativ zu berücksichtigen, denn wenn diese Lohnkostenfaktoren etwas aus dem Ruder laufen, dann könnten die Unternehmen in der Tat wieder auf die Idee kommen und sagen: Nun gut, diese Belastung, das ist mir zuviel, dann versuche ich, über die Menge der Beschäftigten meine Lohnkosten in den Griff zu bekommen, und das hätte zumindest mittelfristig negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, der gerade erst seit zwei Jahren so richtig schön ans Laufen gekommen ist - mit sinkenden Arbeitslosenquoten."

    5,2 Millionen Arbeitslose gab es im Februar 2005, Ende Dezember vorigen Jahres waren es 1,8 Millionen weniger. Aber diese Rechnung ergibt auch, dass es eben noch 3,4 Millionen Arbeitslose gibt. Der Wirtschaftsethiker Professor Hartmut Kliemt hat den Eindruck, dass in der kommenden Lohnrunde an diese Menschen nicht gedacht wird:

    "Auf jeden Fall ist es so, dass im Moment immer alles zugunsten der Arbeitsbesitzenden und nicht der Arbeitslosen läuft, und Gewerkschaften - obwohl sie das nicht offen sagen - sind natürlich auch Interessenvertreter in erster Linie der Arbeitsbesitzenden und der gut organisierten Mitglieder unserer Gesellschaft. Man muss sich also Sorgen darum machen, ob nicht Leute dauerhaft aus der Gesellschaft und aus der Möglichkeit, am Produktionsprozess teilzunehmen, ausgegrenzt werden."

    Bei den Gewerkschaften werden diese Einwände nicht verfangen. Ihre Verhandlungsposition ist günstig, vor allem in den florierenden Branchen. Mehr noch als hohe Lohnabschlüsse, meint Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft, fürchten die Unternehmen dort einen langwierigen Arbeitskampf:

    "Gerade in der Industrie ist das Potential der Gewerkschaften, die Arbeitgeber durch einen Streik wirklich unter Druck zu setzen, zu erpressen, sehr, sehr groß; in der Stahlindustrie - unvorstellbar, dass da gestreikt wird länger. Insofern kann ich mir schon vorstellen, dass die Gewerkschaften - wie auch im Vorjahr - ein ordentliches Plus erzielen. Die Frage ist halt, ob es letztlich noch tragbar ist."

    Anders sieht das in jenen Branchen aus, in denen weniger zu Verteilen ist. Etwa im öffentlichen Dienst. Hier können die Gewerkschaften mit weniger Entgegenkommen rechnen, hier prallen die Gegensätze weit unversöhnlicher aufeinander. Wo das enden kann, zeigt jener Konflikt, der schon im alten Jahr die Republik in Atem hielt: Der Kampf der Lokführer um mehr Geld und Rechte. Angeblich steht eine Einigung unmittelbar bevor. Aber sicher kann man sich da nicht sein.