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Erwartungen an Mozart

Der Schwall der Veranstaltungen zum großen Mozartschen Jubeljahr ist unübersehbar. Mancher Musikfreund wird sich am liebsten abwenden wollen vor der hemmungslosen Vermarktung des Salzburger Musensohnes. Andererseits aber, wie viele Menschen erliegen nicht doch der oft euphorischen Wirkung der Mozartschen Musik. Und es gibt sogar in der großen Mozartschen Klangflut ein paar durchaus innovative Akzente, die es zu beachten gilt.

Von Ullrich Bohn | 28.12.2005
    Irgendwann hört man auf zu zählen, verliert man doch den Überblick bei den unzähligen Mozartschen Opernaufführungen, den diversen und immer besonderen Konzert-Zyklen mit den Werken des Salzburger Meisters. Dazu kommen noch Bücher, CDs, DVDs usw. - Jeder will halt gratulieren, jeder auf seine Weise. Vor allem an Mozarts 250. Geburtstag selbst, am 27. Januar, werden wir allesamt auf eine äußerst harte Probe gestellt: An die zwanzig Opernpremieren mit Werken Mozarts werden da angekündigt. Mozart-Nächte und Geburtstags-Partys kommen hinzu, ein 24Stunden Mozart-Event im Fernsehen und unzählige Konzerte. Wer soll das alles nur verdauen? Dagegen ist eine Tüte Mozartkugeln zu vernaschen, ja das reinste Kinderspiel.

    Und dennoch finden sich, allerdings nur bei wirklich genauerem Hinsehen, Veranstaltungen und Programmideen, die neugierig machen, interessant klingen, ohne gleich die Garantie zu bieten, auch wirklich innovativ zu sein. Aber das lässt sich in der Regel sowieso erst im Nachhinein beurteilen. Allein schon der Griff zu Mozarts Opernraritäten, denn wann gab es schon mal so viele Aufführungen von "La clemenza di Tito", von "Zaide" oder "Lucio Silla", ist erwähnenswert. Und somit auch der Mozart-Marathon bei den Salzburger Festspielen, wo alle 22 Bühnenwerke zu sehen sein werden, durchaus eine Spur Innovatives in sich trägt.

    Einige neuartige Mozart-Akzente sind aber schon im Dezember gereicht worden, als Aperitif sozusagen. Der große Bühnenästhetiker Robert Wilson etwa verwandelte die alte Vitrinenschau in den ehemaligen Wohnräumen in Mozarts Geburtshaus in der Salzburger Getreidegasse mittels kreativer Installationen, mit Tönen, Licht und Farben, sowie einigen szenischen Überraschungen in kleine Erlebniswelten. Und eine Gruppe zeitgenössischer österreichischer Komponisten schuf vorab schon mal eine so genannte "viva-mozart"-Suite. Wie überhaupt etliche zeitgenössische Künstler, in erster Linie natürlich Komponisten und Musiker mit dem Werk Mozarts in einen Dialog treten. Wolfgang Rihm etwa wählte für sein neues Werk "Fremdes Licht", eine Auftragskomposition der Mozartstadt Augsburg, die in Mozarts Schaffen maßgeblichen Instrumente und jene Gesangslage, die in seiner inneren Biographie prägende Spuren hinterließen: Violine, Klarinette und Sopran. Jörg Widmann, Klarinettist und Komponist, wollte Mozart zunächst eigentlich nur spielen, weil er ihn so liebe:

    " Zwei Dinge aber, die mir sehr wichtig sind, habe ich zugesagt. Das eine ist ein kleines Bändchen von Reclam, die Texte über Mozart herausgeben, dazu habe ich einen Text geschrieben, was ich sehr selten mache, und habe dort als Interpret und Musiker über meinen Zugang zu Mozart geschrieben. Und für das NDR-Sinfonieorchester werde ich ein Stück schreiben, das nicht denkbar ist ohne das Klarinettenkonzert von Mozart."

    Und die Bratscherin Tabea Zimmermann schließlich versucht den eher umgekehrten Weg, und möchte gern das Klarinettenkonzert auf ihrer Bratsche spielen:

    " Es gibt noch aus Mozarts Lebzeiten oder kurz danach verschiedene Fassungen des Klarinettenkonzertes. Für Flöte und auch für Bratsche. Aber da wurde ziemlich daran herumgedoktert. So dass dann ein bisschen wenig Mozart übrig geblieben ist. Und ich möchte nicht eine dieser Fassungen spielen, sondern schon gern das Original. Denn sein Genie merkt man erst im Detail. Und man merkt sofort, wenn irgend jemand Hand angelegt hat, um es für irgendein Instrument anzupassen. Das werde ich im nächsten Jahr einige Male spielen und ist auch eine ziemliche Herausforderung, denn es liegt gar nicht so gut auf der Bratsche, aber es ist einfach traumhaft schöne Musik."

    Und sogar in den beiden Mozartschen Jubel-Hochburgen, in Wien und in Salzburg, kommen ein paar verfolgenswerte Projekte zum Vorschein. So wird im Theater an der Wien eine neue Ära eingeläutet. Es wird künftig als ganzjährig bespieltes modernes "Stagione"-Opernhaus die Wiener Musikszene bereichern und sich sogleich mit internationalen Koproduktionen als erstklassiges Mozart-Podium zu präsentieren versuchen. Und im November und Dezember, und da ist dann wahrscheinlich wirklich Innovatives zu erwarten, wird Peter Sellars mit Künstlern aus den Bereichen Musik und Oper, Architektur, bildende Kunst und Film ein ganz besonderes Festival gestalten, das sich an den drei großen Werken aus Mozarts letztem Lebensjahr orientiert: an der "Zauberflöte", an "La clemenza di Tito" und am "Requiem".

    Mal abgesehen von Augsburg, der Geburtstadt von Vater Leopold Mozart, springen hierzulande längst nicht alle Opern- und Konzerthäuser so vorbehaltlos aufs mozartsche Event-Karussell wie in Österreich. Eher vereinzelt findet man ein paar programmatische Perlen. Im südlichen Niedersachsen etwa, wo das Göttinger Symphonieorchester, wie Chefdirigent Christoph Mueller erzählt, in einem besonderen Konzertzyklus Fragmentarisches von Mozart zu Gehör bringen wird:

    " Mozart war ja ein Vielschreiber, hat viele Stücke begonnen, dann aber nicht fertig geschrieben. Andere haben es vervollständigt, und da gibt es dann verschiedene Möglichkeiten. Etwa einzelne fertige Sätze aus einem eigentlich größer angelegten Werk zu spielen oder auch ein ganzes, aber dann nicht von Mozart komplett komponiertes Stück. Und wir zudem einen Kontext her zu Michael Haydn, der seinen 200. Todestag begeht und auch in Salzburg gelebt hat."

    Das Leipziger Gewandhaus versucht sich mit der Rekonstruktion eines Konzertes zu profilieren, das Mozart im Mai 1789 zusammen mit dem Gewandhausorchester gegeben hat. Die Schwetzinger Festspiele dagegen bieten eine Alternative zu Mozart: Werke von Joseph Martin Kraus, den man mit seinem fast identischen Lebensdaten auch gern den "Odenwälder Mozart" nennt. Simone Young schließlich, Hamburgs GMDin, wird als eine der ersten Mozarts c-moll-Messe in der vollendeten Fassung von Robert D. Levin dirigieren, und hegt zudem noch einen besonderen Wunsch:

    " Ich würde mir wünschen, ihn zum Abendessen einladen zu können, und ihn dann einfach plaudern lassen, wie er all diese Musik gefunden hat, die uns heute noch so bewegen kann."

    In gut einem Jahr werden wir also Bilanz ziehen und die Frage stellen, was es denn gebracht hat, das Mozartsche Jubiläumsjahr, wo und in welcher Form wir etwas Neues für die Rezeptionsgeschichte seiner Werke gefunden haben oder ob der ganze Mozart-Trubel, was ja viele heute schon zu wissen glauben, seinen Werken und seiner Musik nur geschadet hat. Nikolaus Harnoncourt hat dazu neulich in einem Interview einen ganz vortrefflichen Satz gesagt: "Der übersteht das mit Leichtigkeit, am Komponisten Mozart rutscht das runter".