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"Es geht ja nur um die Flexibilität"

Christian Lindner, Generalsekretär der FDP, ist der Meinung, dass Menschen selbst entscheiden müssten, wann sie in Rente gehen. Dabei müsse aber die Grundsicherung gewährleistet sei, so Lindner weiter. Die Rente mit 67 als Fixpunkt hält er aber dennoch für erforderlich.

Christian Lindner im Gespräch mit Silvia Engels | 17.11.2010
    Silvia Engels: Am Telefon begrüße ich Christian Lindner, den Generalsekretär der FDP. Guten Morgen, Herr Lindner!

    Christian Lindner: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Frau von der Leyen sieht glänzende Perspektiven für die Älteren am Arbeitsmarkt, so viel war schon vorab zu hören. Sehen Sie das auch so?

    Lindner: Na ja, das ist eine Frage des Zeitraums. Gegenwärtig ist es gewiss so, dass die Erwerbsbeteiligung älterer Menschen immer noch Anlass zur Sorge gibt. Da hat es eine Aufhellung gegeben, in den rentennahen Jahrgängen ist die Erwerbstätigkeit gestiegen. Aber selbstverständlich können uns die Arbeitsmarktchancen, die gegenwärtig bestehen, noch nicht befriedigen, da ist das System zu träge, sich auf die Potenziale, aber auch die Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer schon hinreichend einzustellen. Gleichwohl: In der sehr langfristigen Perspektive, auch aus dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit heraus, gibt es zu einer Verschiebung des Rentenalters nach hinten keine realistische Alternative.

    Engels: Das heißt, Sie halten an der Rente mit 67, so wie es im Gesetz steht, ab dem Jahr 2012 fest?

    Lindner: Ja! Im Jahr 2012 wird das Renteneintrittsalter ja nicht auf 67 für die dann neu in Rente gehenden Menschen angehoben werden, sondern wir bewegen uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf dann ein Renteneintrittsalter 67 zu. Es ist erforderlich, dass wir einen solchen Fixpunkt haben, damit sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch daran orientieren können.

    Ich will aber eine politische Forderung damit verbinden. Aus Sicht der FDP ist es notwendig, dass wir mehr Flexibilität beim Eintritt in den Ruhestand bekommen. Wir akzeptieren jetzt auch aufgrund der Entscheidungen von Vorgängerregierungen, dass es einen Fixpunkt 67 gibt, wünschen uns selbst aber mehr Flexibilität. Nach unserer Auffassung müssen Menschen selbst entscheiden können, wann sie in den Ruhestand gehen, sofern sie eine Altersversorgung aus der gesetzlichen, privaten und betrieblichen Altersvorsorge in der Summe haben, die oberhalb des Grundsicherungsniveaus ist. Wer also im Alter eigenverantwortlich, eigenständig mit seinen unterschiedlichen Versorgungsansprüchen über die Runden kommt, der muss auch selbst dann sein Renteneintrittsalter bestimmen können, selbst wenn es vor dem 67. Geburtstag ist.

    Engels: Herr Lindner, das klingt ja schön, auch vor dem 63. Geburtstag oder zum 63. Geburtstag in Rente zu gehen. Aber genau das ist ja das Problem: Die Abschläge würden dann natürlich für viele Menschen trotzdem enorm sein, auch wenn sie vielleicht noch über dem Grundsicherungsniveau lägen. Das ist doch nicht ganz fair gerechnet.

    Lindner: Nein, das ist sehr fair gerechnet. Es ist eine individuelle Entscheidung. Es ist ja dann nur möglich, aber nicht zwingend, vorher aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, dann kann jeder für sich überlegen, ob er vielleicht eine Rente beziehen will, dann etwas eher, und daneben noch zum Beispiel in geringfügiger Beschäftigung noch etwas dazuverdienen möchte. Das ist ja nur eine zusätzliche Option, die Flexibilität eröffnet und die es erlaubt, dass Menschen sich ganz konkret auf ihre persönliche Lebenssituation einstellen können. Wir haben verlangt, dass das auch mit jetzt in die Kabinettsvorlage kommt, dass also die Flexibilität des Rentensystems ein Prüfauftrag für die Koalition wird.

    Engels: Aber dass dann diejenigen, die etwas früher in Rente gehen wollen, nicht diese enormen Abschläge zahlen müssen oder in kauf nehmen müssen, das wollen Sie nicht so konkret verankern?

    Lindner: Nein! Das wäre ja auch nicht fair. Die Rente ist eine Altersversorgung, die auf Lebensarbeitszeit, auf die Art der Rente, also auf eine konkrete rechnerische Formel ausgerichtet ist, und wer eher dann aus dem System ausscheiden will, eher von der Seite der Einzahler auf die Seite der Empfänger wechseln will, der muss natürlich dann auch mit einem anderen Niveau klarkommen. Es geht ja – und das sage ich noch mal – nur um die Flexibilität. Wer aus der betrieblichen, aus der privaten Vorsorge und der gesetzlichen in Summe so viel hat, dass er sagt, damit komme ich über die Runden, vielleicht mit einem 400-Euro-Job noch, der soll früher ausscheiden dürfen, sodass Flexibilisierung der Rente mit 67 dies erlaubt, dass Arbeitnehmer sich auf ihre ganz konkrete Lebenssituation, ihre Bedürfnisse einstellen können, wenn sie wollen.

    Engels: Herr Lindner, wir schauen noch auf ein anderes Thema. Gestern ging ja der Parteitag der CDU zu Ende. Viele Beobachter sagen, das war ein Entgegenkommen gegenüber dem konservativen Flügel, es wurden konservative Werte etwas stärker in den Vordergrund gestellt, und mit knapper Mehrheit sprachen sich die Delegierten auch für die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik eben nicht aus, sondern sie blieben bei dem Verbot. Wird das Regieren mit der CDU jetzt schwieriger?

    Lindner: Nein! Ich interpretiere es genau anders herum. Es wird einfacher, weil die Bundeskanzlerin sich ja auch klar zu dieser Koalition mit der FDP bekannt hat. Die Bundeskanzlerin hat sich auch hinter zentrale Vorhaben der Koalition gestellt und zu einer ganzen Reihe von Punkten hat die Union sich eben auf die FDP zubewegt. Ich nenne nur mal die Beschlüsse zur Freiwilligenarmee, seit zehn Jahren eine Forderung der Liberalen, jetzt auch von der CDU beschlossen. Sie schwenkt auf unsere Linie ein. Wir hatten aus sicherheitspolitischen Gründen uns immer gegen die Wehrpflicht ausgesprochen, die brauchen wir nicht mehr; die CDU hat jetzt eher aus einer haushaltspolitischen Motivation heraus ihre Haltung korrigiert. Aber sei es drum, eine Bewegung in Richtung FDP.

    Im Steuerrecht hat die Bundeskanzlerin unsere Kritik an der bisherigen Vorbereitung der Steuervereinfachung ja bestärkt. Uns reicht das nicht, was vorgelegt worden ist zur Vereinfachung des Steuerrechts, wir wollen ein einfaches Steuerrecht für die Steuerbürger, für die Steuerzahler, und eben nicht nur für die Steuerbeamten, die Steuerverwaltung. Sie hat gesagt, das sieht sie genauso, wir sind meilenweit von einer Vereinfachung entfernt, da muss nachgearbeitet werden, unsere Meinung. Und zuletzt bei der Präimplantationsdiagnostik für mich beachtenswert, dass es eben nur eine knappe Mehrheit dagegen gegeben hat. Das ist wichtig, weil im Deutschen Bundestag ja jenseits von Koalition und Fraktion in Gruppenanträgen das Thema bearbeitet werden wird, als Gewissensentscheidung, und da zeigt sich: In der Union gibt es auch eine große Gruppe, die unsere Haltung teilt, dass mit der Präimplantationsdiagnostik große Chancen für Eltern verbunden sind, die eine genetische Belastung haben, auch sich den Kinderwunsch zu erfüllen. Also aus unserer Sicht ein guter Parteitag für die Koalition.

    Engels: Herr Lindner, jetzt sehen Sie aber die Steuerreform, die Sie ja immer noch fordern, etwas zu optimistisch, denn der CDU-Parteitag ist da ja sehr wage geblieben. Erst Haushaltskonsolidierung, Steuervereinfachung im kommenden Jahr, Steuersenkung zum unbestimmten Zeitpunkt. Wie passt das denn mit Ihren Forderungen zusammen, dass Sie eigentlich morgen beim Koalitionsausschuss schon ein couragiertes Paket auf dem Tisch haben wollen?

    Lindner: Das passt genau damit zusammen, denn die Prioritätenfolge, raus aus den Schulden, Steuern vereinfachen und dann in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode Entlastung von kleineren und mittleren Einkommen, ist genau auch unsere Linie. Couragiertes Paket bei Steuervereinfachung ist ja unsere Forderung. Das hat die Bundeskanzlerin bekräftigt und das muss auch jetzt im Koalitionsausschuss am Donnerstagabend konkretisiert werden, wie ist der Fahrplan. Vielleicht gibt es auch einzelne Instrumente, die man schon benennen kann, damit die Bürger von Bürokratie und Ärger bei der Abgabe der Steuererklärung entlastet werden. Reduzierung der Steuertarife, Bekämpfung der Kalten Progression, des Mittelstandsbauchs, ist weiter ein Thema der Koalition und ein Anliegen der FDP, aber wir müssen erst raus aus den Schulden und müssen dann auch im Zuge der weiteren konjunkturellen Entwicklung in der zweiten Hälfte der Periode schauen, wann was möglich ist, im Einzelnen.

    Engels: Aber der Bundesrechnungshof hat gerade noch einmal Finanzminister Schäuble in seiner Position gestärkt, Steuersenkungen seien und blieben zu teuer. Das war der Beigeschmack zum gestern vorgestellten Jahresbericht. Will die FDP nicht da einfach auch mal etwas stärker einlenken?

    Lindner: Ja! Aber was anderes als das, was ich jetzt gerade gesagt habe, wollen Sie hören? Wir sagen, wir gehen erst raus aus den Schulden und im Zuge der Konsolidierungserfolge, die wir haben, wollen wir uns Spielräume für eine Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen erarbeiten. Das ist eine sehr abgewogene Position, im Übrigen auch mit Blick auf die Konjunktur zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise sinnvoll. Jetzt in 2010, 2011 brauchen wir zur Belebung der Binnennachfrage und zur Stärkung der Konjunktur keine Steuerentlastung. Zu einem späteren Zeitpunkt kann das aber als Impuls im Konjunkturverlauf sinnvoll sein. Also wir sind da auf einer klaren Linie, raus aus den Schulden, Steuern vereinfachen und dann zu einem späteren Zeitpunkt eine Steuerentlastung. Nur dass wir am Ziel festhalten, das ist erforderlich, das ist auch das gemeinsame Handeln der Koalition. Manchen in der Union müssen wir gelegentlich daran erinnern, das ist so. Trotzdem muss es unser Ziel bleiben, dass gerade die kleinen und mittleren Einkommen, die auch über die Abgaben, Sozialabgaben wesentlich zur Finanzierung des Sozialstaates und des Staates insgesamt beitragen, dass die eben nicht auch überlastet werden wie durch automatische Steuererhöhungen.

    Engels: Herr Lindner, Stichwort Ausgaben. Da meldet die "Süddeutsche Zeitung" aber heute, dass möglicherweise auch die Höhe der Unterstützung für Asylbewerber in Deutschland neu berechnet werden muss, weil das vom Bundesverfassungsgericht möglicherweise ähnlich gesehen wird wie die Neuberechnung der Hartz-IV-Leistung. Kommt das was Neues auf Sie zu?

    Lindner: Das muss man im Einzelnen prüfen. Tatsächlich haben wir ja bei den Hartz-IV-Sätzen ein neues Verfahren angewandt, nicht mehr nur über den Daumen gepeilt, sondern auf der Basis einer Verbrauchsstichprobe, was tatsächlich verbraucht wird bei den Beziehern von kleinen Einkommen, und daran haben sich jetzt die neuen Regelsätze orientiert. Es kann sein, dass man analog auch bei den Leistungen für Asylbewerber schauen muss. Das wird aber jetzt im Einzelnen fachlich geprüft werden, dessen bin ich mir sicher.

    Engels: Christian Lindner, Generalsekretär der FDP, über den Parteitag der CDU und die Konzepte, die heute zum Arbeitsmarkt und der Rente mit 67 vorgelegt werden. Vielen Dank für das Gespräch.

    Lindner: Danke, Frau Engels! Tschüß!