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Essen in Schulen
Auf den Tisch kommt, was günstig ist

In vielen Schulmensen steht nur wenig Geld für die Mittagsmahlzeit zur Verfügung. Hauptsache satt scheint häufig das Motto zu sein - mit bedenklichen langfristigen Konsequenzen. Studien belegen, dass schlecht ernährte Kinder an Entwicklungsstörungen leiden und signifikant schlechtere Lernerfolge haben.

Von Thomas Wagner | 06.03.2015
    Professor Hans Konrad Biesalski ist Ernährungsexperte an der Universität Stuttgart-Hohenheim. Dort beschäftigt er sich mit dem Hunger in der Welt - und wie man ihn beseitigen könnte. Doch bereitet ihm auch das Sorgen, was sich vor seiner eigenen Haustür abspielt.
    "Meine beiden Enkel gingen an eine Grundschule, die sogar den deutschen Schulpreis bekommen hat. Nur das Essen war nicht so, wie es sein sollte. Und das haben die Kinder selber gemerkt, die in dieser Kochkurse machen und lernen, was gesunde Ernährung ist. Und dann haben die den Caterer mal gefragt, warum es so häufig Nudeln mit einer pampigen Soße gibt. Gut, das macht satt ....."
    Satt vielleicht schon - doch mit bedenklichen langfristigen Konsequenzen.
    "Also einmal die Gewichtszunahme, also Übergewicht. Dann fehlen ihnen wichtige Mikronährstoffe, weil das einfach mit so einer Ernährung nicht funktioniert."
    "Hidden Hunger" bezeichnen die Fachleute dieses Phänomen, "versteckter Hunger" - und der sei, sagt Hans Konrad Biesalski, gerade an vielen Schulen hierzulande weit verbreitet. Der Grund: In vielen Schulmensen steht nur wenig Geld für die Mittagsmahlzeit zur Verfügung.
    "Das heißt: Da werden drei Euro oder 3,10 Euro investiert. Und da sagen die Caterer: Da bleiben weniger als ein Euro für das Material übrig. Der Rest geht für die Maschinen, für die Logistik und so weiter drauf."
    Ergebnis: Auf den Tisch kommt häufig, was günstig ist.
    "Da sind vorwiegend Kohlenhydrate drin und Fett. Das macht satt. Das ist billig. Kohlenhydrate, Zucker und Fett sind einfach sehr viel billiger. Gemüse, auch einmal Fleisch, ist einfach teurer."
    Vorwiegend Kohlenhydrate und Fett
    Und noch ein Punkt fällt ihn auf: Für nachhaltig produzierte Lebensmittel ist in der Regel kein Platz in der Mensaküche einer Schule oder einer Kindertagesstätte.
    "Wir machen uns ständig Gedanken über artgerechte Haltung und Ähnliches. Für das bisschen Geld, das ein Caterer hat, kann er nicht danach schauen, wo das Puten- oder Schweinefleisch herkommt. Und das sollten wir nicht weiter unterstützen."
    Zumal die Folgen von "Hidden Hunger/verstecktem Hunger" immer drastischer zutage treten. Biesalski verweist auf Studien, die bei einseitig ernährten Kindern auf signifikant schlechtere Lernerfolge in der Schule hinweisen. Noch drastischer wirkt sich der "verborgene Hunger" bei Kleinkindern aus.
    "Das nennt man 'Stunting'. Das heißt: Die Kinder für ihre Alter zu klein. Das heißt: Sie sind auch körperlich schwach. Und bei der kognitiven Entwicklung fällt vor allem auf, dass sie in erster Linie beim Sprachverständnis- und Sprachentwicklung hinterher hinken."
    Entwicklungsstörungen und der Verlust an Produktivität
    Wie aber den "versteckten Hunger" in Deutschlands Schulen und Kindergärten bekämpfen? Klaus Krämer leitet in Basel die Denkfabrik "Sightandlife" für Ernährungsfragen in Schwellenländern. Vielleicht, fragt er sich, könnten ja hoch entwickelte Länder wie Deutschland ausnahmsweise mal von Entwicklungsländern etwas lernen in Sachen Schulmahlzeiten.
    "In einigen Programmen werden also Mikronährstoffe in Supplementen eingesetzt. Sie können als Tabletten oder Pulver verwendet werden. Und diese Pulver werden in Schulen der Nahrung der Kinder zugesetzt. Es wird insgesamt das Ernährungsprofil verbessert. Es ist ein sehr kosteneffizienter Ansatz. Das kostet pro Kind und Tag ein Eurocent."
    In hoch entwickelten europäischen Ländern stoßen solche Vitamin- und Mineralstoffpülverchen allerdings auf Akzeptanzprobleme.
    Der Hohenheimer Ernährungsexperte Biesalski dagegen plädiert für eine andere Lösung für das Schul- und Kindergarten-Essen. Und die heißt:
    "Kostenlos für alle, so wie es in Schweden und skandinavischen Ländern schon ist und in Ländern mit ähnlichen Modellen."
    Denn tatsächlich tun sich nach seinen Beobachtungen Eltern gerade aus dem Niedriglohn-Sektor schwer damit, mehr als drei Euro pro Tag für das Mittagessen ihrer Tochter oder ihres Sohnes abzuzweigen. Hier müsse stattdessen die öffentliche Hand in die Bresche springen.
    "Auf die Frage 'Wer soll das bezahlen?' Kann ich nur antworten: Kosten für die häufige Erkrankungen von schlecht ernährten Kindern, ihre Entwicklungsstörungen und der Verlust an Produktivität sind um ein Vielfaches höher als die Investition in eine gesunde Ernährung."