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Esther Bejarano und die Microphone Mafia
Mehr als billige Battles

Dass Holocaust-Überlebende als Zeitzeugen in Schulen gehen, ist normal. Aber dass sie sich mit einer Hip-Hop-Band auf die Bühne stellen und von ihrer Biografie erzählen, ist eher ungewöhnlich. Esther Bejarano will mit der Band Microphone Mafia über das berichten, was ihr in Auschwitz widerfahren ist.

Von Blanka Weber | 05.09.2016
    Die jüdische Musikerin Esther Bejarano mit Mikrofon in der Hand bei einer Diskussion in Frankfurt
    Die jüdische Musikerin und Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano (imago/Hoffmann)
    "So lange es geht, muss man als Zeitzeuge fungieren, anders geht es nicht.", sagt Esther Bejarano. Ein lauschiger Sommerabend in Erfurt. Bejarano sitzt auf einer schlichten Gartenbank hinter einer alten Fabrikhalle. Im Rahmen des Festivals "Achava" - was im Hebräischen "Brüderlichkeit" heißt, wird sie gleich auftreten und vorher einen Preis in Empfang nehmen.
    Etwa 200 Mal pro Jahr steht sie auf der Bühne, erzählt von ihrem Schicksal und Überleben in Auschwitz. Die Öfen für das Arbeits- und Vernichtungslager kamen aus Erfurt von den Ingenieuren der Firma "Topf & Söhne". Nun also ein Preis für Ihr Engagement als Zeitzeugin und das ungewöhnliche Intermezzo mit den Hip-Hoppern. "Warum?", wird sie gefragt. "Es ist nicht das einzige Mittel, aber es ist ein Mittel. Aber ich sage, erstmal mit Musik kann man sehr viel machen. Man kann sehr viel, auch Menschen kann man überzeugen. Und da ist Musik ein sehr gutes Mittel", meint Bejarano.
    Musik als Lebensretter
    Musik hat ihr einst das Leben gerettet. Als Jüdin kam sie nach Auschwitz, eingeteilt zum Steine schleppen. Im Mädchenorchester wurde eine Akkordeonistin gesucht. Esther Bejarano hatte bis dahin noch nie ein Akkordeon in der Hand. Sie kannte nur das Klavierspielen. Und genau das wurde zu ihrer Chance: "Aber ich habe so meine Kräfte zusammen genommen und habe gesagt, es muss mir gelingen. Das war dieser starke Wille zum überleben".
    Sie wollte schon immer Sängerin werden und hat früher viel von ihrem Vater gelernt, einem jüdischen Kantor. Er wurde im Holocaust ermordet. Das Singen liebt die zarte, zierliche, weißhaarige Frau bis heute. Ihre Stimme ist klar und kraftvoll. Ihre Botschaft ist eindeutig: "Ich möchte nicht, dass nochmal so was geschieht, was geschehen ist. Und diese Situation, die wir haben momentan, mit AfD und Pegida und dem ganzen Kram, das ist eine Katastrophe für uns."
    Drei Religionen, drei Kulturen und drei Generationen
    An ihrer Seite ist die Microphone Mafia, ein Musikprojekt, an dem nun auch ihr Sohn Yoram teilnimmt, ebenso ein Italiener und Kutlu - geboren in Köln als Sohn türkischer Einwanderer. Drei Religionen, drei Kulturen und drei Generationen, erklärt der 43-jährige Rapper. "Für uns war das damals interessant, wie sie noch weiter Musik machen kann, nach dem ganzen Erlebten. Und dann hat sie zu uns gesagt: 'Hätte ich mit der Musik aufgehört, dann hätten sie mich getötet'", sagt Kutlu. Und so stehen sie gemeinsam auf der Bühne. Kutlu rappt und Esther Bejarano singt deutsche, englische, französische und jiddische Texte. "Es ist auch nicht nur meine Sprache. Es ist die Jugendkultur, die Jugendsprache überhaupt. In jedem kleinen Dorf auf dieser Welt, gibt es einen Rapper oder eine Rapperin. Das gibt es einfach.", sagt Kutlu.
    Manch ein Hip-Hop-Kollege mag die Stirn runzeln. Denn ungewöhnlich ist das Ganze schon, doch es geht auch um mehr als billige Battles - es geht um Biografien und Menschen, die genau davon erzählen. Auch wenn sie nicht mehr der Youtube-Generation angehören. "Und das ist das Wichtige. Außerdem - wo gibt es schon eine Band, eine Rap-Band, mit einer Frau, die 92 Jahre alt wird und die Lust hat, mit den ganzen Jungs aufzutreten.", sagt Bejarano.