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Etwas blass und blutleer

Eine junge Frau, zerrissen zwischen zwei Welten. Sie entstammt der Sphäre der Geister. Als weiße Gazelle wurde sie vom Kaiser bei der Jagd erlegt und aufs Schloss gebracht. Ein Jahr hat die Kaiserin Zeit, schwanger zu werden, einen "Schatten" zu werfen, wie das in der märchenhaften Verkleidung von Hugo von Hofmannsthal heißt.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Und nun ist die Frist fast um. Die mephistophelische Amme rät, einer einfachen Färbersfrau, die selber noch kinderlos ist, weil sie sich ihrem Mann verweigert, die Gebärfähigkeit abzukaufen, sprich: von ihrem nach Liebe dürstenden, gutherzigen Mann sich schwängern zu lassen.
    Aber die Skrupel der Kaiserin wachsen. Sie neigt zum Verzicht. So will sie ihre "Menschwerdung" nicht eintauschen.

    Die Entstehungsgeschichte dieser zwischen 1911 und '19 erarbeiteten "Frau ohne Schatten" war quälend langwierig. Während draußen die Welt am Krachen ist, das soziale Gefüge brüchig wird und im Ersten Weltkrieg birst, beschäftigen sich Richard Strauss und sein Textdichter Hugo von Hofmannsthal mit der Gestaltung eines Opernmärchens aus der Fabelwelt.

    Und leicht zu verstehen ist es nicht. Kirsten Harms projiziert diese Läuterungsgeschichte à la "Zauberflöte" zurück in die Zeit der Entstehung. Die Regisseurin und Intendantin der Deutschen Oper Berlin zeigt dies Hohelied der Gattenliebe als Parabel auf die Häutungen der Menschheit nach der Katastrophe eines industriell organisierten Vernichtungskriegs.

    Die hermetische Welt des Kaisers, in die die Kaiserin gerät, siedeln Harms und ihr Ausstatter Bernd Damovsky an in einem schwarz-marmornen Jugendstil-Ambiente mit mächtigen Falken wie Sphinxen als Wächter an den bühnenhohen Toren. Die "stinkende" Welt der Menschen mit dem gutmütigen Färber Barak und seiner zänkischen Frau ist situiert in einer Clochard-Absteige unter einer Eisenbrücke, wo immer wieder auch Mit-Esser sich einfinden.

    Den letzten Akt der Prüfungen verlegen Harms und Damovsky in eine lavaschwarze Vulkanlandschaft mit blubbernden, dampfenden Erd-Löchern. Die Kaiserin findet nun die Kraft zum Verzicht – und gewinnt alles: den Schatten und damit die Fähigkeit der Liebe und Mutterschaft. So rettet sie ihren Mann vor dem Tod des "Versteinerns"; hier ist es ein Erschießungs-Kommando, das schon Posten bezogen hat.

    Und auch das Färberpaar findet endlich zusammen, wenn auch auf Umwegen.
    Unter der Leitung von Ulf Schirmer am Pult des Orchesters der Deutschen Oper entfaltet sich die gleißende Farbigkeit der Strauss-Partitur mit wachsender Strahlkraft. In nur wenigen kammermusikalischen Zwischenspielen fand auch der Komponist Strauss zu dem, was ihm eigentlich vorschwebte mit dieser parallel zur "Ariadne auf Naxos" entstandenen Partitur: den Klang vom Wagner'schen Blech-"Panzer" zu befreien.

    Schirmer kann mit seinem Dirigat beim Publikum den meisten Beifall einheimsen. Von den Sängern punkten besonders Doris Soffel als die das Spiel lenkende Amme und Johan Reuter als der genügsam-warmherzige, kinderliebende Färber. Nicht ganz überzeugen Eva Johansson als Färberin und Manuela Uhl als Kaiserin. Allzu wacklig die Stimme des Kaisers von Robert Brubaker.

    Kirsten Harms und ihr Team wurden am Ende mit einer Mischung aus Buhs und Bravos empfangen. Über weite Strecken blieb die Inszenierung trotz der plausiblen Erdung in der Zeitgeschichte etwas blass und blutleer. Von den Politikern sah man bei dieser Premiere niemanden. Die hatten an diesem Abend denn doch Spannenderes zu beobachten.