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EU-Parlamentspräsidentschaft
Widerstand gegen weitere Amtszeit von Schulz

Martin Schulz (SPD) hat als EU-Parlamentspräsident den Stand des Abgeordnetenhauses verbessert. Nun fordern Parteifreunde, dass er eine weitere Amtszeit erhalten soll. Das wäre ein eindeutiger Bruch der Absprachen mit den Konservativen und der Parlamentssystematik - aber nicht nur deshalb regt sich starker Widerstand.

Von Annette Riedel | 29.12.2015
    EU-Parlamentspräsident Martin Schulz spricht beim Bundesparteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Berlin zu den Delegierten.
    EU-Parlamentspräsident Martin Schulz: Parteifreunde bringen ihn für eine erneute Amtszeit in Stellung. (picture alliance/dpa/Kay Nietfeld)
    "Welcome to the press point by the president of the European Parliament, Martin Schulz, and the president of the European Commission, Jean-Claude Juncker ..."
    Gemeinsame Pressebegegnung von EU-Kommissionspräsident Juncker und EU-Parlamentspräsident Schulz vor dem jüngsten EU-Gipfel. Junckers Sprecher erteilt Martin Schulz als Erstem das Wort. Was zu einem kleinen Geplänkel zwischen Juncker und Schulz führt.
    - Schulz: "Du bist der Hausherr. Na gut - vielen Dank für den freundlichen Vorrang. Aber es ist ja eigentlich auch verfassungsrechtlich so, dass das Parlament Vorrang vor der Exekutive hat."
    - Juncker: "Die Witze werden immer besser."
    - Schulz: "Danke schön, Herr Kommissionspräsident."
    Garanten einer funktionierenden Großen Koalition
    Dass der christdemokratische "Herr Kommissionspräsident" Juncker und der sozialdemokratische EU-Parlamentspräsident Schulz - wie wohl aus unterschiedlichen politischen Lagern stammend - persönlich ziemlich gute Freunde sind und politisch sehr gut zusammenarbeiten, ist bekannt. Als Spitzenkandidaten waren sie vor den Parlamentswahlen im Mai 2014 Rivalen.
    Inzwischen sind sie Garanten dafür, dass die informelle Große Koalition im Europäischen Parlament funktioniert, ohne die es fast unmöglich wäre, politische Mehrheiten zu organisieren, will man nicht mit den rechten EU-Skeptikern gemeinsam abstimmen. Schulz schätzt die Zusammenarbeit mit Juncker sehr.
    "Wir haben oft heftige Auseinandersetzungen um den richtigen Weg, aber ich glaube, dass wir in enger Kooperation an Lösungen arbeiten."
    Aber auch Juncker schätzt umgekehrt die Zusammenarbeit mit Schulz sehr.
    "Mir ist keine Phase europäischer inter-institutioneller Zusammenarbeit bekannt, wo die Zusammenarbeit so intensiv, so intensiv, so tätig angelegt gewesen wäre, wie das jetzt der Fall ist."
    Doch diese Zeiten der tätigen Zusammenarbeit gehen in einem Jahr zuende. Eigentlich. Denn eigentlich werden Führungspositionen im Europäischen Parlament immer nur für eine halbe Legislaturperiode vergeben. Martin Schulz wird diese Position dann ohnehin schon ungewöhnliche fünf Jahre innegehabt haben. Diese weiteren 2 1/2 Jahre waren eine Art politisches Trostpflaster für Schulz Silbermedaille, die er beim Rennen um das Amt des Kommissionspräsidenten nur erringen konnte.
    Sozialdemokraten wünschen sich weitere Amtszeit
    Und eigentlich existiert die Abmachung sogar schriftlich, dass 2017 das Amt an die Europäische Volkspartei gehen soll. Diese Abmachung trägt auch die Unterschrift von Martin Schulz selbst. Aber, sagt Schulz Parteifreund im EU-Parlament, Jo Leinen, ungewöhnliche Zeiten verlangen manchmal nach ungewöhnlichen Entscheidungen:
    "Man muss auch das politische Tableau in Brüssel sehen. Der Kommissionspräsident kommt von den Konservativen, genauso wie der Ratspräsident. Es wäre deshalb angemessen, wenn der Präsident der Bürgerkammer von der zweiten großen politischen Gruppe kommt – das sind die Sozialdemokraten."
    In der EVP-Fraktion, Junckers Fraktion gewissermaßen, sehen außer diesem selbst es die meisten aber ganz und gar nicht so. Der Chef der deutschen Gruppe innerhalb der Fraktion, Herbert Reul, glaubt, dass nicht nur niemand seiner deutschen Kollegen für weitere 2 1/2 Jahre Marin Schulz als EU-Parlamentspräsident stimmen würde. Auch Polen nicht, Spanier, Franzosen, Italiener nicht. Niemand eigentlich, sagt Reul.
    Konservative reiben sich auch an der Person Schulz
    Man reibt sich nicht nur am erneuten Bruch mit der Parlamentssystematik, die das bedeuten würde und an der Tatsache, dass man selbst auf ein wichtiges Amt verzichten müsste. Man reibt sich auch zunehmend an Martin Schulz' Amtsverständnis. Er würde nicht nur teilweise unabgestimmt im Namen des Parlaments sprechen. Er würde sich noch dazu gerade in den letzten Monaten unziemlich und alles andere als präsidial-neutral in deutsche Innenpolitik einmischen. Schulz mache Wahlkampf in eigener Sache, moniert Herbert Reul:
    "Schulz scheint auf dem Wege zu sein, sich eine neue Position zu organisieren – entweder weiter Präsident oder irgendwas Wichtiges in Deutschland. Deshalb schlägt er wie wild um sich und beschädigt unnötig auch Politiker anderer Parteien"
    Will sagen: Einen möglichen Nachfolger im Amt des Parlamentspräsidenten - den EVP-Abgeordneten und ehemaligen Industriekommissar, den Italiener Antonio Tajani, zum Beispiel. Es grassiert in Brüssel die Theorie: Schulz' Sozialdemokraten hätten jetzt die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses über mögliche Manipulationen von VW und anderer Autobauer vorangetrieben, weil der Verdacht, Tajani könnte in seiner Zeit als EU-Kommissar davon gewusst und nichts unternommen haben, diesem schadet. Und damit dessen Kandidatur.
    Andererseits hat sich von den Sozialdemokraten neben Martin Schulz niemand wirklich profilieren können. Da dieser andererseits – das wird jeder im EU-Parlament sofort zugeben – viel für das spürbar gewachsene Gewicht der Volksvertreter getan hat, sind die Fußstapfen, in die jedweder Nachfolger zu treten hätte, groß. Weshalb aus Sicht von Sozialdemokrat Leinen eben doch einiges für Martin Schulz zum Dritten spricht.
    "Es muss auch nicht sein, dass alle 2 1/2 Jahre ein neuer Präsident sich einarbeiten muss. Der Bundestagpräsident ist ja auch schon länger als 2 1/2 Jahre im Amt."
    Das Ringen um das inzwischen einflussreiche Amt des EU-Parlamentspräsidenten, das in einem Jahr neu vergeben wird, es hat also längst begonnen.
    Irgendwann wird sich auch Bundeskanzlerin Merkel äußern müssen. Es lässt sich getrost daran zweifeln, ob sie nach den jüngsten Angriffen von Martin Schulz auf prominente deutsche Unionspolitiker über die Maßen geneigt sein wird, sich engagiert für Schulz zum Dritten zu verwenden.