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EuGH-Kopftuch-Urteil
"Potenzielle Einschränkung der Religionsfreiheit"

Es sei positiv, dass der Europäische Gerichtshof kein pauschales Kopftuchverbot ausgesprochen habe, sagte die Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler im DLF. Aber unter bestimmten Bedingungen könne das Kopftuchtragen doch verboten werden. Das mache es für muslimische Frauen nicht leichter auf dem Arbeitsmarkt.

Barbara Lochbihler im Gespräch mit Daniel Heinrich | 14.03.2017
    Die Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler
    Die Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler (AFP / John Thys)
    Daniel Heinrich: Über das Urteil des EuGH möchte ich nun sprechen mit Barbara Lochbihler. Sie ist unter anderem menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament. Frau Lochbihler, solange im Unternehmen auch das Zeigen, das Tragen aller anderer weltanschaulicher Symbole verboten ist, darf auch das Kopftuch verboten werden. So heißt es im Urteil. Das klingt doch erst mal nach Common Sense.
    Barbara Lochbihler: Ja, es ist erst mal gut, dass der Europäische Gerichtshof gesagt hat, man darf kein pauschales Kopftuchverbot aussprechen und es darf keine pauschale Diskriminierung von Kopftuch tragenden Muslima geben. Das ist positiv, denn wenn die Arbeitgeber in ihrem Unternehmen religiöse Symbole verbieten wollen, dann muss das immer für alle Mitarbeiter gleich gelten und es muss auch verhältnismäßig sein. Es gab da einen Fall, wo der Kunde gewünscht hat, er möchte nicht mehr bedient werden von einer Frau mit einem Kopftuch. In so einem Fall hat der Gerichtshof gesagt, das würde nicht gelten. Das ist das Positive. Gleichzeitig bedeutet das Urteil aber natürlich auch, dass es eine potenzielle Einschränkung der Religionsfreiheit gibt, denn ein Arbeitgeber, ein privater, darf jetzt einer Muslima unter bestimmten Bedingungen das Kopftuchtragen verbieten.
    Heinrich: Sie sprechen die Muslima an, Frau Lochbihler. Da würde ich gerne einhaken. Das EuGH legt ja auch Wert darauf, alle müssen gleichbehandelt werden. Sagen wir mal, ein Mann christlichen Glaubens, der eine Kette mit einem Kreuz als christlichem Symbol tragen möchte, würde bei einem Unternehmen arbeiten. Das Unternehmen dürfte diesem Mann doch auch kündigen. Warum ist das Urteil dann gegenüber Muslimen ausschließlich diskriminierend?
    "Es wird für Muslima nicht leichter werden, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten"
    Lochbihler: Nein, es ist nicht ausschließlich nur gegen ein muslimisches religiöses Zeichen. Es würde auch für andere gelten. Auch für den Mann mit dem Kreuz. Dem dürfte jetzt nicht das Tragen verboten werden, wenn der Arbeitgeber vorher nicht gut begründet, eine eigene Ordnung für diesen Betrieb aufstellt, dass man aus bestimmten Gründen hier keine religiösen Symbole zeigen soll.
    Heinrich: Aber, Frau Lochbihler, die Richter, die stellen unternehmerische Freiheit über Religionsausübung. Das müsste in einer freien Marktwirtschaft doch möglich sein, oder?
    Lochbihler: Ja, das muss möglich sein. Sie sollten das aber natürlich jetzt nicht einfach so machen, weil sie jetzt endlich mal solche Anordnungen treffen wollen, sondern sie sollten ganz genau prüfen, ob das wirklich notwendig ist, weil es wird sicher für die Personen, die ein Kopftuch tragen, für die Muslima nicht leichter werden, sich dann hier auf dem europäischen Arbeitsmarkt zu behaupten.
    Heinrich: Sie gehen wieder spezifisch auf die Muslima ab. Das heißt, Sie sehen darin eine Diskriminierung von Muslima, obwohl das EuGH das nicht so gemeint hat?
    Lochbihler: Na ja, die zwei Beispiele, über die sie da entschieden haben, die beziehen sich auf Muslima.
    Heinrich: Richtig. Das war deswegen, weil Muslima geklagt haben. Wenn jetzt zwei Christen klagen würden, dann hätten wir eine andere Situation, oder?
    Lochbihler: Ja, da gilt dann das gleiche.
    Heinrich: Frau Lochbihler, ich möchte zum Abschluss noch mal ganz kurz auf einen Satz zurückkommen, den Sie vorhin angeschnitten hatten. Sie haben gesagt, dass Sie auf die Verantwortung der Wirtschaft hoffen. Jetzt kommen Töne aus der Wirtschaft, die sagen, na ja, wir werden mit dem Urteil verantwortungsbewusst umgehen. Also gibt es doch eigentlich keine Gefahr, die von diesem Urteil ausgeht?
    "Unternehmen sollten weltanschauliche Pluralität positiv sehen"
    Lochbihler: Ja. Das ist erst mal gut, dass es die Ankündigung gibt. Aber in der Praxis ist es ja meistens dann nicht so. Deshalb muss man wirklich schauen, was die einzelnen Arbeitgeber da für Arbeitsordnungen erlassen werden. Die dürfen nicht leichtfertig getroffen werden und ich denke, da wird es sicher auch wieder Klagen geben oder Beschwerden, und da muss man dann im Einzelnen wirklich auch schauen und private Unternehmen anhalten, sie geradezu ermutigen, dass sie auch religiöse und weltanschauliche Pluralität in ihrer Belegschaft durchaus auch positiv sehen sollen, das auch zu pflegen und zu stärken.
    Heinrich: Ihr Kollege im Europaparlament, der Chef der EVP, Manfred Weber sagt, das Urteil stütze europäische Werte. Stimmen Sie da zu?
    Lochbihler: Hat der Herr Weber auch gesagt, was europäische Werte sind, weil auch im Europäischen Parlament und in Europa halten wir uns an menschenrechtliche Vorgaben. Und dieses Urteil hat natürlich auch Auswirkungen jetzt in Deutschland. Bei uns ist ja bei privaten Unternehmen das Tragen von Kopftüchern am Arbeitsplatz im Prinzip erlaubt. Wenn da geklagt wird dagegen, dann müssen natürlich jetzt die deutschen Gerichte auch sich an diesem EuGH-Urteil orientieren. Das wird eine Veränderung geben. Aber ich würde jetzt nicht sagen, dass das die europäischen Werte sind.
    Heinrich: Das sagt Barbara Lochbihler. Sie ist unter anderem menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament. Frau Lochbihler, vielen Dank für das Gespräch.
    Lochbihler: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.