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Europäische Weltraumagentur
Ein Dorf auf der Rückseite des Mondes

Der neue ESA-Chef ist ein Deutscher. Johann-Dietrich Wörner will die Arbeit der Weltraumagentur an die zunehmende Kommerzialisierung der Raumfahrt anpassen. Im Deutschlandfunk-Interview lobte er die Internationale Raumstation ISS als Friedensprojekt - und schlug als Nachfolge ein "Moon Village" vor.

Johann-Dietrich Wörner im Gespräch mit Ralf Krauter | 01.07.2015
    Johann-Dietrich Wörner bei einer Pressekonferenz hinter Flaggen Deutschlands, der USA und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.
    Johann-Dietrich Wörner, der neue Chef der Europäischen Weltraumagentur. (dpa / Christoph Schmidt)
    Ralf Krauter: Was wird sich ändern bei der ESA, wo Sie neuer Generaldirektor sind?
    Johann-Dietrich Wörner: Es ist nicht die Frage, was sich bei der ESA durch mich ändert, sondern Tatsache ist, dass die Raumfahrtagenturen der Welt sich ändern müssen, weil wir eine gänzlich veränderte Situation haben. Wir haben eine Kommerzialisierung der Raumfahrt, wir haben ein ganz anderes Verständnis in der Öffentlichkeit. Raumfahrt ist mittlerweile Infrastruktur, aber natürlich auch die Chance, neue Welten zu erkunden. Also ich glaube, es ist einfach eine andere Welt, die wir haben, und deshalb müssen sich auch die Raumfahrtagenturen und darunter natürlich die ESA entsprechend anpassen.
    Krauter: Die haben diesen großen Trend der letzten Jahre, der Privatisierung, angesprochen, also Versorgungsflüge zur ISS zum Beispiel werden an kommerzielle Anbieter ausgelagert, auch, wenn es dann manchmal Rückschläge gibt. Werden Sie das weiter forcieren? Vor allem stellt das ja dann auch die Frage, was bleibt für die Raumfahrtagenturen wie die ESA dann überhaupt noch zu tun?
    Wörner: Ich bin der Auffassung, dass tatsächlich die veränderte Landschaft, die wir beobachten, aber die wir jetzt auch mitgestalten, tatsächlich eine starke Verlagerung der Verantwortung hin zu den Unternehmen ist. Das ist nicht automatisch eine Privatisierung im klassischen Sinn, sondern es geht darum, dass man klare Verantwortlichkeiten definieren muss. In der Vergangenheit war es so, dass die Agenturen der Welt - und wie gesagt, die ESA genau so wie das DLR oder auch wie die NASA - im Detail auch Missionen geplant und auch im Detail die einzelnen Aspekte festgelegt haben. Das hat durchaus dazu geführt, dass häufig die Kosten dann nach oben liefen, weil einfach der Auftragnehmer gesagt hat, na ja, Ihr habt ja die Vorgaben geändert. Und ich glaube, an der Stelle, kann man etwas tun. Und insofern ist diese Privatisierung, die es jetzt gibt, oder besser die Kommerzialisierung, sicherlich ein Punkt, den man dabei beachten muss.
    Wörner will von der Musik für die Raumfahrt lernen
    Krauter: Das heißt aber auch eben vor allem besseres, klügeres Management von solchen Großprojekten wahrscheinlich, beim Aushandeln von Verträgen und ähnlichen Dingen?
    Wörner: Ja, wir haben die Situation, eine ganz merkwürdige Situation, die ich manchmal dadurch charakterisiere, dass ich sage, wenn sich Raumfahrtmissionen auf später verschieben, werden sie teurer. Verlangt man, dass sie schneller fertig werden, werden sie teurer. Und wenn sie genau da bleiben sollen, wo sie geplant werden, dann werden sie auch teurer. Das ist natürlich auf Dauer nicht akzeptabel.
    Krauter: Ich habe gelesen, Sie wollen bei der ESA unter anderem Jam Sessions einführen. Wer soll da mit wem improvisieren?
    Wörner: Mir geht es darum, wenn man ein richtig schönes Musikstück machen will, dann braucht man sicherlich am Anfang einen Komponisten, der eine Anfangsidee hat, und man braucht am Ende ein Orchester und einen Dirigenten, die das Stück zur Aufführung bringen. Aber dazwischen, hat sich eben im Jazz gezeigt, ist die Jam Session, die eben Kreativität von ganz verschiedenen Leuten zusammenführt. Und ich glaube, dass das ein Instrument ist, mit dem man auch in der Raumfahrt, aber auch in anderen Bereichen der Wissenschaft und der Gesellschaft arbeiten sollte. Eben wirklich die vielen verschiedenen klugen Köpfe zusammenbringen. Also das heißt in allererster Linie für mich jetzt mal, in Zukunft die 22 Mitgliedsstaaten der ESA und natürlich auch Kanada, aber das heißt für mich auch durchaus, in der breiten Öffentlichkeit, in der Wissenschaft entsprechende, ja, Sie können es kompliziert Dialogforen nennen, ich nenne es lieber Jam Session.
    Krauter: Sind wir gespannt, was dabei rauskommt. Kommen wir kurz auf die inhaltlichen Schwerpunkte Ihrer Arbeit zu sprechen, auf die möglichen. Zwei Dinge stehen auf jeden Fall auf Ihrer Liste, die Neuentwicklung der Ariane-Rakete, die Ariane 6 soll gebaut werden. Und Europas Navigationssatellitensystem Galileo soll endlich funktionsfähig werden. Sind das die Hauptprioritäten in den nächsten Jahren?
    Wörner: Das sind auf jeden Fall zwei wichtige Themen. Wir haben aber auch noch Kopernikus, das europäische Erdbeobachtungssystem. Wir haben noch ExoMars, eine ESA-Mission zum Mars. Und wir haben natürlich auch noch die Internationale Raumstation als großes Thema. Das sind schon allein die großen Themen, die jetzt alle unmittelbar laufen. Aber ich habe auch immer gesagt, man muss auch in die Zukunft denken. Die internationale Raumstation fliegt vielleicht noch zehn Jahre, aber wir müssen jetzt anfangen zu überlegen, was passiert danach? Wie können wir die Möglichkeiten der ISS, die wir in der Vergangenheit schon hatten, nutzen und vielleicht sogar noch ausweiten? Also, es gibt eine Reihe von großen Themen, und deshalb ist das auch sehr spannend, das im europäischen Umfeld zu realisieren.
    Ein Dorf für die Völkerverständigung
    Krauter: Was könnte denn kommen nach der Internationalen Raumstation ISS?
    Wörner: Die Internationale Raumstation hatte ja ein paar tolle Sachen, nämlich sie hatte die Möglichkeit, in der Schwerelosigkeit Experimente durchzuführen. Und sie hatte aber auch die Möglichkeit, und das ist auch eine ganz großartige Sache gewesen, verschiedene Länder zusammenzuführen, die auf der Erde nicht immer ganz locker miteinander umgehen, sprich Russland, USA, Japan, Kanada und Europa. Deshalb glaube ich, diesen Wert sollten wir auch für die Zukunft aufrechterhalten, das heißt, eine Mission, ein Projekt überlegen, was nachhaltig die internationale Kooperation sicherstellt. Und ich habe einfach mal als Idee in die Runde geworfen, eine permanente Station auf der Rückseite des Mondes. Ich habe das mit Moon Village bezeichnet. Das heißt nicht, dass es da Häuser und ein Bürgermeisteramt und eine Kirche geben soll, sondern Moon Village soll dafür stehen, dass verschiedene Beiträge von verschiedenen Staaten robotisch oder astronautisch gebracht werden können und dass man dort eben wirklich dann zusammenarbeitet auf internationaler Basis. Und ich glaube, dass so eine Idee einfach erforderlich ist. Vielleicht hat jemand anders noch eine bessere Idee, aber ich habe jetzt mal einfach diese Idee auf die Tagesordnung gesetzt.
    Krauter: Also ein Dorf auf dem Mond, um die Völkerverständigung sozusagen zu fördern. Ist denn da auch wissenschaftlich genug Output dann zu erwarten, dass sich das wirklich rechnen würde?
    Wörner: Ja. Der Mond ist wissenschaftlich hoch spannend. Wir wissen immer noch nicht genau, wie er entstanden ist. Ob er aus einer Kollision mit einem anderen Himmelskörper mit der Erde entstanden ist oder wie er genau entstanden ist. Das ist ein Thema. Das zweite ist natürlich, auf dem Mond kann man auch Technologien ausprobieren. Der Mensch wird es sich nicht nehmen lassen, irgendwann mal weiter, zum Beispiel auch zum Mars zu fliegen, und er tut gut daran, wenn er die Technologien schon erdnah entwickelt. Also zum Beispiel die Frage, wie kann ich dann Strukturen auf dem Mars auch bauen und nicht alles nur hinbringen? Und dann gibt es noch ganz konkret auch den Ansatz, auf der Mondrückseite ein Teleskop zu errichten. Das ist schon immer der Traum der Astronomen, im Mondschatten tief ins Weltall zu schauen. Und man könnte dieses Teleskop eben aus Mondmaterialien bauen. Das wäre so eine Vorstellung. Also Wissenschaft ist da allemal gefragt, aber es gibt auch diesen internationalen Charakter, den ich für sehr wichtig halte.
    "Immer erst auf dem zweiten Satz"
    Krauter: Noch eine persönliche Frage zum Ende: Staunen Sie manchmal selbst, wie weit Sie, der Sie vom Werdegang her ja Bauingenieur sind, gekommen sind jetzt zum obersten europäischen Chef für Rocket Science geworden zu sein?
    Wörner: Ich habe in meinem ganzen Leben wirklich unglaubliches Glück gehabt. Auch schon als Bauingenieur durfte ich Sachen machen. Mein damaliger Chef, Professor König, hat mir Sachen zugetraut, das war irre. Ich habe angefangen in dem Büro, und als Erstes durfte ich eine komplett neue Bauweise, sogenannte Verbundbauweise tatsächlich realisieren am Frankfurter Flughafen. Dann Anprallversuche durchführen mit Schleppern auf dem Flughafen. Ich hatte immer das Glück, tolle Projekte machen zu dürfen, und das hat sich irgendwie durchgezogen, und dafür kann man einfach nur dankbar sein. Und dass ich jetzt ESA-Generaldirektor bin, ist natürlich auch wieder eine neue Herausforderung, die mit Dankbarkeit verbunden ist.
    Krauter: Sie haben offenbar auch ein gutes Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Man munkelt, dass Sie schon vor fünf Jahren ermutigt worden sind, als ESA-Generaldirektor zu kandidieren. Damals haben Sie abgelehnt. Warum jetzt dieses Mal zugesagt?
    Wörner: Ja, irgendwie habe ich jetzt im Nachhinein festgestellt, dass sich das bei mir im Leben durchzieht. Als ich Uni-Präsident wurde, habe ich erst mal abgesagt, weil ich noch nicht dachte, dass es der richtige Zeitpunkt war, dann zugesagt. Als ich dann DLR-Chef werden wollte, sollte, habe ich erst mal abgesagt und habe es vier Jahre später gemacht, weil ich erst mal gesagt habe, ich habe noch ein paar Aufgaben, die ich noch zu erledigen habe. Und jetzt ist es wieder so gewesen. Vor viereinhalb Jahren habe ich gesagt Nein, weil ich dachte, im DLR habe ich noch nicht das erreicht, was ich erreichen wollte. Jetzt bin ich erneut gefragt worden, und jetzt mache ich es. Also es zieht sich irgendwie durch bei mir, immer erst auf dem zweiten Satz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.