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Europawahl
"FDP braucht Konzepte statt Klamauk"

Das enttäuschende Ergebnis der deutschen Liberalen bei der Europawahl mit 3,4 Prozent führt ihr Spitzenkandidat Alexander Graf Lambsdorff auf die verloren gegangene Glaubwürdigkeit der FDP zurück. Seine Partei müsse sich daher von Innen erneuen, sagte er im Deutschlandfunk.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Dirk Müller | 26.05.2014
    Der FDP-Spitzenkandidat für die Europawahl, Alexander Graf Lambsdorff
    Der FDP-Spitzenkandidat für die Europawahl, Alexander Graf Lambsdorff, zeigt sich enttäuscht über die 3,4 Prozent bei der Europawahl. (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Kurz nach der verlorenen Bundestagswahl sei es seiner Partei nicht gelungen, das verlorene Vertrauen wieder aufzubauen. "Der Trend läuft nicht in unsere Richtung", ergänzte Lambdorff. Die FDP müsse sich "rundum erneuern, von Innen heraus." Er forderte Konzepte statt Klamauk. Die FDP bräuchte belastbare Antworten aus liberaler Perspektive.
    Lambsdorff betonte zudem, dass seine Partei mit einem "extrem schmalen Budget" in den Wahlkampf gezogen sei. Die Finanzlage nannte er "einen Teil der Erklärung für das schlechte Ergebnis". Es sei eindeutig, dass die Alternative für Deutschland (AfD), die in Deutschland sieben Prozent der Stimmen erhalten habe, über ein höheres Budget verfügt habe.
    Die Liberalen hätten zwar "die Wahl verloren, aber nicht unsere Seele", sagte er weiter. Die CSU sei der AfD hintergelaufen und hätte daher Stimmen verloren. Seine Partei, so Lambsdorff, sei den liberalen Ideen treu geblieben. Daran richte sich auch die künftige Arbeit im EU-Parlament aus. Seine Partei werde für die Stabilisierung des Euro eintreten und sich gegen die Vorratsdatenspeicherung aussprechen.
    Daran knüpfte er auch die Unterstützung für die Wahl des EU-Kommissionspräsidenten. Auch wenn die EVP mit ihrem Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker als stärkste Kraft hervorgegangen sei, würden die Liberalen auch mit Martin Schulz, dem Kandidaten der Sozialisten sprechen.

    Das Interview mit Alexander Graf Lambsdorff in voller Länge:
    Dirk Müller: Die Union als stärkste Kraft hier in Deutschland, eine CSU aber, die dabei deutlich verliert, eine SPD, die deutlich gewinnt, und eine FDP, die unter ferner liefen bleibt. Die Grünen stabilisieren sich, Die Linke auch, und die Alternative für Deutschland startet als Neuling mit sieben Prozent.
    Eine Katastrophe war das für die FDP, erneut, nicht nur bei den Europawahlen, sondern auch bei den Kommunalwahlen, die ja gestern auch stattgefunden haben, hohe Verluste auch in Nordrhein-Westfalen und auch im Stammland der Liberalen, in Baden-Württemberg. Am Telefon ist nun Alexander Graf Lambsdorff, Spitzenkandidat der deutschen Liberalen für das Europäische Parlament. Guten Morgen nach Berlin.
    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Graf Lambsdorff, jetzt haben Sie ein bisschen geschlafen. Sie haben mir gerade verraten, ganze drei Stunden, wenn überhaupt geschlafen. Wie groß ist die Frustration?
    "Wir wussten, dass das keine leichte Wahl wird"
    Graf Lambsdorff: Ja, die Enttäuschung ist schon groß. Das ist überhaupt keine Frage. Dreieinhalb Prozent ist natürlich deutlich unterhalb dessen, was wir uns erhofft hatten. Auf der anderen Seite müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass diese Europawahl relativ nah oder relativ kurz nach der Bundestagswahl stattgefunden hat. Es ist uns in der kurzen Zeit seither einfach nicht gelungen, das verlorene Vertrauen, was wir durch die vielen Jahre zuvor, durch die Zeit in der Regierung hier in Berlin verloren haben, wieder aufzubauen. Insofern: Wir haben uns keine Illusionen gemacht. Wir wussten, dass das keine leichte Wahl wird. Aber ein bisschen mehr hatten wir uns schon erhofft.
    Müller: Also war das damals bei der Bundestagswahl kein Unglücksfall, sondern ein strukturelles Problem?
    Graf Lambsdorff: Na ja, Herr Müller. Das ist ja eine Analyse, die jedenfalls von mir immer gesagt worden ist. Wir haben nicht die Bundestagswahl verloren, sind nicht aus dem Bundestag ausgeschieden wegen einer verpatzten letzten Wahlkampfwoche, sondern wegen tiefer liegender Gründe. Das hat was damit zu tun, dass wir Vertrauen verloren haben, dass wir Glaubwürdigkeit verloren haben, und so etwas wieder aufzubauen, das dauert, und das wissen wir auch. Der Parteivorsitzende Christian Lindner sagt immer, wir sind auf einem Marathonlauf bis 2017, und die Europawahl kam bei diesem Marathonlauf ungefähr bei Kilometer fünf, mit anderen Worten sehr, sehr früh. Von daher wie gesagt: Wir sind enttäuscht. Aber auf der anderen Seite war uns auch klar, es wird eine ausgesprochen schwierige Wahl. Wir hatten ein sehr, sehr kleines Wahlkampfbudget nur und wussten auch, dass der Trend im Moment einfach nicht in unsere Richtung läuft.
    Müller: Das kam alles zu früh, sagen Sie, Graf Lambsdorff. Was könnte denn noch verantwortlich gewesen sein für das schlechte Abschneiden?
    Graf Lambsdorff: FDP muss sich runderneuern
    Graf Lambsdorff: Na ja, ich glaube, dass die Partei insgesamt als FDP sich runderneuern muss, und zwar von innen heraus. Wir brauchen jetzt Konzepte statt Klamauk, was wir in der Vergangenheit zu oft gesehen haben. Wir brauchen gute Antworten, belastbare Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit aus liberaler Perspektive. All das dauert, bis man das entwickelt. Von daher: Ich glaube, diese dreieinhalb Prozent, die uns jetzt gewählt haben, das sind diejenigen, die wirklich uns die Treue gehalten haben auch in schwieriger Zeit, auch in einer Zeit, in der dieser Erneuerungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Von daher gilt diesen Menschen, diesen Wählerinnen und Wählern unser Dank. Wir nehmen das als Auftrag. Wir werden ja mit Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten sein. Wir werden dort Teil der drittstärksten Fraktion sein.
    Wir nehmen das als Auftrag, für liberale Politik aus Deutschland in Europa zu arbeiten, aber das Ganze auch einzubringen in einen Erneuerungsprozess der Freien Demokraten.
    Müller: Jetzt reden wir noch mal über Sie und über die FDP. Sie sind ja der Spitzenkandidat gewesen. Sie sind für die Liberalen angetreten. Sie haben einen bekannten Namen, sind seit vielen, vielen Jahren in Europa engagiert, in den Medien präsent. Sie haben einen hohen Bekanntheitsgrat für die Liberalen. Warum hat das mit Ihnen nicht besser geklappt?
    Graf Lambsdorff: Wir sind der liberalen Idee treu geblieben
    Graf Lambsdorff: Das müssen wir in Analysen nachschauen. Das Echo, das ich auf unseren Wahlkampf bekommen habe, ist zweierlei. Zum einen: Es hat am Spitzenkandidaten nicht gelegen, aber das ist an anderen, das zu beurteilen. Das war die eine Reaktion und das Andere war, wenn ich den Wahlkampf anschaue: Es war ein Wahlkampf mit einem extrem schmalen Budget. Wir haben einen sehr klar proeuropäischen Wahlkampf gemacht. Wir haben als Partei einige Jahre hinter uns, in denen das Thema Europa eines war, bei dem die Partei ja zum Teil auch heftige Auseinandersetzungen geführt hat, und ich glaube, dass unser klar proeuropäischer Kurs eines schon gezeigt hat, nämlich Charakter und Haltung. Wir haben eine Wahl verloren, aber wir haben nicht unsere Seele verloren.
    Wir haben nicht Positionen bezogen, um hinter der AfD herzulaufen. Das hat die CSU gemacht, auch die musste ja nun Federn lassen. Ich glaube, dass wir insofern auch mit einer gewissen, wie soll ich das sagen, Zufriedenheit, das wäre mit Sicherheit der falsche Begriff, aber wir können schon sagen, wir sind der liberalen Idee treu geblieben. Moderner Liberalismus kann nicht mehr rein national gedacht werden. Man muss ihn international, man muss ihn europäisch denken. Wir müssen jetzt die Chance nutzen, die wir haben mit unseren Abgeordneten im Europäischen Parlament, das deutlich zu machen und auch dazu beizutragen, dass wir im Bund wieder auf die Beine kommen.
    Müller: Andere Länder haben ja die liberale Idee weiter getragen und zum Teil ja eine hohe Stimmenzahl auf die liberalen Parteien abgegeben, haben Sie gestern Abend auch gesagt, Niederlande als Beispiel. In Deutschland ist das irgendwie anders. Eben haben Sie gesagt, das Budget hat nicht ausgereicht, zweimal von Ihnen genannt. Von der AfD war das auch nicht höher!
    Graf Lambsdorff: Doch, erheblich höher. Wenn Sie sich alleine den Beitrag von Hans-Olaf Henkel an seine Partei anschauen, der hatte vom Volumen alleine ungefähr die Höhe unseres gesamten Wahlkampfbudgets. Und glauben Sie mir, ich bin ein erfahrener Wahlkämpfer. Eine Fahrt durch die Straßen in der brandenburgischen Provinz, oder eine Fahrt in Ostholstein über Land, oder eine Fahrt im Rheinland, eine Fahrt in Schwaben oder in Bayern, das habe ich ja alles gemacht, die plakative Präsenz der AfD war eindeutig ein Zeichen dafür, dass das Budget höher sein musste. Das Gleiche gilt für die Anzeigen.
    Nun will ich das nicht beklagen. Jede Partei widmet die Mittel, die sie frei machen kann, einem solchen Wahlkampf. Bei uns hat das Bundestagswahlergebnis vom September natürlich auch finanziell Spuren hinterlassen. Insofern mussten wir auch verantwortlich umgehen mit dem Geld, das wir haben. Da war nicht mehr drin und insofern ist das wie es ist. Wir hatten ein schmaleres Budget. Ich glaube, dass das Teil der Erklärung war. Nur wie gesagt: Die tiefer liegende Erklärung, die grundlegende Erklärung ist, wir haben noch nicht wieder die Glaubwürdigkeit bei den Menschen aufgebaut, die wir verloren haben in den Jahren der Regierungsbeteiligung und auch in den Jahren zuvor.
    Müller: Jetzt sind Sie ja trotzdem im Parlament vertreten, drei Prozent der FDP und insgesamt mit viel, viel mehr. Die Europäische Liberale – ich schaue da noch mal auf meinen Zettel, habe ein bisschen Schwierigkeiten, alles auf Anhieb hier heute Morgen zu finden – werden mit rund neun Prozent in das Europäische Parlament europaweit zumindest einziehen. Wen werden Sie unterstützen, Juncker oder Schulz?
    Graf Lambsdorff: Für uns sind Inhalte ausschlaggebend
    Graf Lambsdorff: Das wird sehr darauf ankommen, wie jetzt die Gespräche laufen. Eines ist klar: Für uns sind Inhalte ausschlaggebend. Wir wollen die Stabilisierung des Euro nach marktwirtschaftlichen Kriterien. Wir wollen nicht ein Ende der Reformen in den Krisenländern. Das wird eines der Themen sein, über das wir zu reden haben. Wir wollen auf der anderen Seite keinen neuen Anlauf beim Thema Vorratsdatenspeicherung, die ja vom Gerichtshof für grundrechtswidrig erklärt worden ist. Das sind so Themen, mit denen wir reden werden, und zwar mit beiden Bewerbern. Relativ klar abgezeichnet hat sich ja jetzt, dass die EVP, also die Konservativen, stärker sind als die Sozialdemokraten. So froh Martin Schulz gestern in Berlin ja hier noch geguckt hat, so unglücklich schaute er dann, als er in Brüssel war. Das ist doch ein nicht ganz unerheblicher Abstand, den es da gegeben hat. Dennoch, es gilt: Auch die CDU/CSU, auch die EVP, die haben im Europäischen Parlament keine Mehrheit, die sind auf Zusammenarbeit angewiesen. Wir werden deswegen als drittstärkste Kraft auch mit allen reden. Aber wie gesagt: Da werden unsere Inhalte dann auch eine Rolle spielen.
    Müller: Jetzt haben wir ganz wenig Zeit noch, aber ich möchte das abschließend auch für unsere Nachrichten dann noch einmal klar haben. Das heißt, die Liberalen werden mit großer Wahrscheinlichkeit die Konservativen unterstützen?
    Graf Lambsdorff: Nein! Das möchte ich nicht, dass Sie das sozusagen hieraus schließen. Aber die Dynamik zwischen den beiden Spitzenkandidaten von EVP und SPD ist, dass beide immer darauf verwiesen haben, die größte Fraktion sei ausschlaggebend. Ich halte es immer damit, dass eine Mehrheit in Parlament und Rat ausschlaggebend ist. Wo die Mehrheit herkommt, das wissen wir heute noch nicht, das ist noch zu früh. Die Ergebnisse laufen ja sogar zum Teil noch ein.
    Müller: Bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk Alexander Graf Lambsdorff, Spitzenkandidat der Liberalen für das Europäische Parlament. Danke für das Gespräch!
    Graf Lambsdorff: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.