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Evangelischer Kirchentag
"Ich kann nicht verstehen, dass Christen die AfD wählen"

Sie würde nicht dazu aufrufen, eine Partei zu wählen oder nicht zu wählen, sagte die Theologin Margot Käßmann im DLF. Die Herabsetzung von Menschen und den Rassismus der AfD halte sie aber für Christen nicht für akzeptabel. Menschen muslimischen Glaubens hätten in Deutschland die gleichen Rechte und müssten mit Respekt und Würde behandelt werden.

Margot Käßmann im Gespräch mit Christoph Heinemann | 26.05.2017
    Die Theologin Margot Käßmann. Foto: dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte
    Die Theologin Margot Käßmann (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte)
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist die Theologin Margot Käßmann. 2017 arbeitet sie für den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland als Botschafterin für das Reformationsjubiläum. Guten Morgen!
    Margot Käßmann: Guten Morgen!
    Heinemann: Frau Käßmann, wie politisch sollte ein Kirchentag sein?
    Käßmann: Erst einmal ist ein Kirchentag fromm, weil er jeden Tag mit einer Bibelarbeit beginnt, aber die Bibel hat durchaus politische Implikationen. Da steht zum Beispiel, der Fremde, der unter euch wohnt, den sollt ihr schützen, selig sind, die Frieden stiften, und das setzt sich dann in politische Fragen um. Das halte ich bei einem Kirchentag aber für Protestanten insgesamt für sehr normal.
    Heinemann: Aber steht dann auch, dass die Kirchen Parteien bewerten sollten?
    Käßmann: Nein, die Kirchen sollten nicht Parteien bewerten. Ich würde deshalb auch nicht aufrufen, eine Partei zu wählen oder nicht zu wählen, aber ich habe immer klar gesagt, ich kann nicht verstehen, dass Christen die AfD wählen, weil die AfD andere Menschen herabsetzt. Wenn ich das Parteiprogramm lese – Menschen, die aus anderen Ländern kommen, werden als nicht sozusagen sinnvoll angesehen, hier Familien zu gründen –, und diese Herabsetzung, dieser Rassismus, der sich da äußert, das halte ich für Christen für nicht akzeptabel.
    Heinemann: Ist es unchristlich, wenn man der Meinung ist, dass zu viele und zu wenig kontrolliert Migranten in den vergangenen Jahren nach Deutschland gelangt sind?
    Käßmann: Das ist sicher nicht unchristlich, aber diese Menschen sind hier, sind auf der Flucht vielfach hergekommen, und diese Menschen haben ein Recht darauf, dass sie ein anständiges Asylverfahren bekommen, dass sie, wenn sie bleiben dürfen, sich hier beheimaten können und dass sie in der Zeit, in der sie geduldet sind, von uns mit Respekt und Würde behandelt werden, dass sie Deutschkurse machen können, und die, die hier sind, arbeiten dürfen und sich integrieren können.
    "Natürlich ist es spannungsvoll, mit verschiedenem Glauben zusammenzuleben"
    Heinemann: Ist es unchristlich, wer die Meinung vertritt, dass das Zusammenleben mit dem Islam in Teilen nicht spannungsfrei verläuft?
    Käßmann: Na, das hat gar nichts mit christlich oder unchristlich zu tun. Natürlich ist es spannungsvoll, mit verschiedenem Glauben zusammenzuleben, aber das Großartige ist ja dass wir das auch gerade beginnen zu lernen. Natürlich hat ein Islamismus, der Grundgesetz und Verfassung missachtet, der meint, er kann Menschen ermorden im Namen des Glaubens, der hat hier überhaupt nichts zu suchen. Aber die Muslime, mit denen ich zusammenlebe in dieser Stadt Berlin beispielsweise, von denen ist die große Mehrheit der Meinung, dass es wunderbar ist, in diesem Land mit diesem Grundgesetz und dieser Verfassung zu leben.
    Heinemann: Aber denen will doch die AfD auch nichts tun.
    Käßmann: Nun, sie fragt ja insgesamt, ob der Islam hier eine Rolle spielen darf in Deutschland, ob Menschen muslimischen Glaubens die gleichen Rechte haben, und das haben sie. Wir sind ein Land mit Religionsfreiheit. Jeder Mensch kann eine Religion, eine anderen oder ohne Religion leben, und ich denke, dass wir diese Religionsfreiheit hart erkämpft haben, aber das müssen wir ja sagen: Wir hatten Religionskriege in Deutschland im 17. Jahrhundert, dass ich sehr dankbar bin, in so einem Land zu leben, in dem jeder Mensch frei gläubig sein kann oder auch nicht gläubig.
    Heinemann: Wer legt fest, was christliche Politik bedeutet und was nicht?
    Käßmann: Nun, in der evangelischen Kirche gibt es da kein Dogma von oben herab, sondern wir sind im Gespräch mit Politikerinnen und Politikern verschiedener Parteien – ich will auch sagen, wir haben mehr als 2.500 Veranstaltungen beim Berliner Kirchentag, die politischen sind nur ein Teil davon –, aber wir ringen mit den Politikerinnen und Politikern, weil sie eben auch in der Welt Verantwortung tragen als Christen. Davor habe ich sehr hohen Respekt. Wir haben das eben im Beitrag gehört, sowohl Obama als auch Merkel machen es sich damit nicht leicht, aber dieses Gespräch, diese Auseinandersetzung, wo ist meine christliche Verantwortung in meinem Beruf – sei es als Politiker, sei es in einem anderen Beruf –, das ist Teil des notwendigen Gesprächs.
    Heinemann: Barack Obama und Angela Merkel werden hofiert oder wurden gestern zumindest hofiert dann eben auf der anderen Seite, wie gehört die Position der evangelischen Kirche zur AfD. Nun könnte man sagen, der Staat zieht für die Kirchen Steuern ein – bedanken sich die Kirchen bei den etablierten Parteien, indem sie sie für sie einen lästigen Konkurrenten verteufeln?
    Käßmann: Ich glaube, so einfach ist die Lage nicht. Erst mal bezahlen …
    Heinemann: So könnte es aber wirken.
    Käßmann: Nein, wir bezahlen den Staat ja auch dafür, dass er uns Steuern eintreibt, und wie gesagt, es gibt Christen offensichtlich, Menschen, die sich als Christen verstehen in der AfD, und wir haben nicht gesagt, wir reden mit diesen Menschen gar nicht, sondern wir sind miteinander im Gespräch. Und ganz offensichtlich hat ja die Vertreterin der AfD ihre Position auf dem Kirchentag auch sehr klar vorgetragen.
    "Mir tut es weh, wenn Menschen die Kirche verlassen"
    Heinemann: Was antworten Sie denn Christinnen oder Christen, die sagen, wenn die Kirchen sich so verhalten, dann bleibe ich Christ, allerdings außerhalb der Kirchen?
    Käßmann: Nun, wie gesagt, wir sind in einem Land der Religionsfreiheit. Mir tut es weh, wenn Menschen die Kirche verlassen, weil für mich die Kirche nicht ein Ort ist, an dem Menschen einer Meinung sein müssen, sondern als Protestantin gerade finde ich auch das Ringen um die Wahrheit, was ist jetzt heute als Christ, als Christin die richtige Position, das gehört dazu. Da muss man Differenzen auch aushalten. Es gibt auch andere Differenzen, die wir in der Kirche haben, die manchmal schwer auszuhalten sind, aber in diesen Spannungen zusammenzubleiben und in einer Kirche zusammenzubleiben, das, finde ich, ist auch Teil des Christseins, weil wir sind eine Religion, bei der Gemeinschaft von der Zeit Jesu an, miteinander unterwegs sein dazugehört.
    Heinemann: Aber die Frage ist ja immer wieder nach dem Maß, ob da nicht nach zweierlei Maß gemessen wird. Das Ergebnis von regierenden christlichen Parteien ist unter anderem Armut, Kinderarmut, extremer Reichtum, eine Benachteiligung von Familien, zum Teil heruntergekommene Schulen. Ist das nicht ähnlich menschenverachtend?
    Käßmann: Das ist es auf jeden Fall, gerade die Frage der Kinderarmut ist auf diesem Kirchentag ein großes Thema, und wie wir dazu beitragen können, dass gerade Alleinerziehende ein Auskommen haben, dass Menschen in prekäre Notsituationen kommen und das ganze Motto des Kirchentages "Du sieht nicht" ist gerade auf die Menschen am Rande dieser Gesellschaft ausgerichtet …
    Heinemann: Frau Käßmann, müsste dann die Kirche, die evangelische Kirche nicht auch sagen, also diese Parteien, die Union und die SPD, die gerade regieren, die dieses Ergebnis gebracht haben, kann man nicht wählen, ich verstehe es nicht, wie man diesen, wie Sie eben gesagt haben … ich verstehe nicht, wie ein Christ solche Parteien wählen kann.
    Käßmann: Doch, ich verstehe es, weil ich in diesen politischen Parteien und ihren Parteiprogrammen gerade dieses Thema Gerechtigkeit – jetzt nehmen wir mal eine Partei, die nicht genannt wurde bisher, die SPD –, das Thema soziale Gerechtigkeit zu ihrem Thema macht. Und das will ich auch sagen, jetzt zu sagen, die Protestanten seien so in CDU-Nähe, das finde ich fast schon lustig, weil ich aus früheren Zeiten erinnere, dass Angela Merkel einmal ausgebuht wurde als Bundesumweltministerin auf einem Kirchentag, und da hieß es, die evangelische Kirche sei viel zu SPD-nah.
    Heinemann: Ist sie es nicht?
    Käßmann: Nein, die evangelische Kirche ist nicht eine Kirche der Parteien, sondern es ist eine Kirche, die Parteiprogramme anschaut und darauf prüft und in eine Diskussion geht, ob sie, wie Sie das eben gesagt haben, den schwachen Menschen im Lande gerecht wird. Und bei der AfD kritisieren wir, dass es schwache Menschen im Lande gibt, die eingewandert sind, die auf der Flucht hierher kommen, die in diesem Parteiprogramm degradiert werden. Und das würde ich auch bei jeder anderen Partei tun.
    Käßmann: Hat manchen Menschen direkt wehgetan zu erkennen, dass Luther in der Tat ein Antijudaist war
    Heinemann: Nun noch einmal: Die AfD hat bisher nicht regiert, hat das also noch nicht umsetzen können, die Missstände, die ich eben aufgezählt habe, sind das Ergebnis von Regierungspolitik von Unionsparteien und von der SPD.
    Käßmann: Ja, und wir sind im kritischen Gespräch mit diesen Parteien. Es gibt regelmäßige Gespräche zwischen Kirche und Politik, und gerade die Frage der Armut, der sozialen Ungerechtigkeit, die Frage der Bildungsbenachteiligung von Kindern aus sozial schwacher Herkunft, die ist immer wieder Thema in den Gesprächen mit den Parteien. Und wir sind durchaus kritisch, wir sind kleine Claqueure von Parteien.
    Heinemann: Die evangelische Kirche feiert in diesem Jahr einen Martin Luther, der 1543 eine Schrift unter dem Titel "Von den Juden und ihren Lügen" veröffentlicht hat – Sie kennen das. Der Ton dieser Schrift erinnert an die allerschlimmsten Nazis. Wie passt das zusammen – er wird gefeiert und auf der anderen Seite die AfD scharf kritisiert, fast verteufelt.
    Käßmann: Nun müssen wir sagen, dass wir in den letzten Jahren Martin Luther wirklich von dem Heldensockel heruntergeholt haben, auf dem er im 19. und 20. Jahrhundert war, und dass wir das Thema von Luthers Antijudaismus jetzt in den letzten Jahren heftig thematisiert haben. Das hat manchen Menschen direkt wehgetan zu erkennen, dass Luther in der Tat ein Antijudaist war. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich im November 2015 glasklar von diesen Judenschriften distanziert und hat 2016 erklärt, es gibt keine Mission der Evangelischen Kirche in Deutschland gegenüber Juden, sondern wir sind Geschwister im Glauben. Das war ein großer Schritt, ein notwendiger Lernprozess, und ich gebe Ihnen recht, es ist erschütternd, dass die Nazis diese Judenschriften Luthers tatsächlich benutzt haben.
    Heinemann: Margot Käßmann, Botschafterin für das Reformationsjubiläum, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Käßmann: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.