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EVG zu Bahnstreik
"GDL will Belegschaft spalten"

Bei dem Bahnstreik gehe es der GDL nicht primär um mehr Geld, sondern darum, einen Machtkampf zu gewinnen, kritisierte Alexander Kirchner von der Eisenbahner- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) im DLF. Eine Tarifgemeinschaft lehne die GDL ab, um die Belegschaft zu spalten und so ihren Einfluss bei der Bahn zu erhöhen.

Alexander Kirchner im Gespräch mit Gerd Breker | 05.05.2015
    Alexander Kirchner von der EVG
    "Wenn es um bessere Bezahlung geht, wäre es auch viel einfacher, miteinander gemeinsam die Verhandlungen zu gestalten", sagte der Vorsitzende der EVG, Alexander Kirchner, im Interview mit dem Deutschlandfunk. (dpa / picture-alliance / Maurizio Gambarini)
    Gerd Breker: Nach dem Güterverkehr nun der Personenverkehr. Die Gewerkschaft der Lokomotivführer steckt im längsten Streik der Bahngeschichte und ein Ende ist einfach nicht in Sicht. Eine Säule des Nah- und Fernverkehrs fällt weitgehend aus, zulasten der Kunden. Populär geht anders und die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, sie drängt sich auf. Mit sogenannten Ersatzfahrplänen versucht die Bahn, ein Mindestmaß an Dienstleistung aufrecht zu halten, doch was hilft's.
    Der Streik und seine Auswirkungen auf die Kunden: Am Telefon sind wir nun verbunden mit der Konkurrenzgewerkschaft der GDL: mit der Eisenbahner- und Verkehrsgewerkschaft. Der Vorsitzende der EVG, Alexander Kirchner, ist am Telefon. Guten Tag, Herr Kirchner.
    Alexander Kirchner: Guten Tag.
    Breker: Herr Kirchner, Ihr Verständnis für diesen GDL-Streik, das hält sich in Grenzen. Oder liege ich da falsch?
    Kirchner: Nein, das hält sich in Grenzen, weil der Streik und die Auseinandersetzung nicht primär um mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen geht, sondern um einen Machtkampf, den die GDL dort versucht, über den Streik auch für sich zu entscheiden, der darauf abzielt, die Belegschaft zu spalten, und da sind wir natürlich alles andere als erfreut drüber.
    Breker: Es geht aus Ihrer Sicht weniger um mehr Geld und bessere Bezahlung; es geht um einen Konkurrenzkampf mit Ihnen?
    Kirchner: Ja. Wenn es um mehr Geld und bessere Bezahlung geht, wäre es auch vielleicht viel einfacher, miteinander gemeinsam die Verhandlungen zu gestalten, denn unsere Forderungen liegen erstens nicht weit auseinander und zweitens haben wir in den letzten Jahren auch bewiesen, dass wir mindestens, wenn nicht sogar noch besser durchsetzungsfähig sind bei der Bahn, als das die GDL ist.
    In den acht Jahren, wo die GDL für die Tarife der Lokführer eigenständig und nur sie verhandelt hat, hat sie weniger für die Beschäftigten herausgeholt an linearer Erhöhung, an sozialer Absicherung, an auch Kündigungsschutz, als wir für die restlichen Beschäftigten bei der Bahn.
    "Unsere Forderungen liegen nicht weit auseinander"
    Breker: Herr Kirchner, man fragt sich ja, warum es eigentlich keine Tarifgemeinschaft zwischen Ihnen, zwischen der EVG und der GDL gibt. Weigern Sie sich, oder weigert sich die GDL, oder können Sie einfach nicht miteinander reden?
    Kirchner: Wir haben über Jahre in vielen auch schwierigen Zeiten sehr wohl auch schon mit der GDL (und damals gab es sogar noch drei Gewerkschaften bei der Bahn) zusammen in einer Tarifgemeinschaft oder Tarifkooperation gearbeitet, auch erfolgreich. Das wurde dann durch die GDL 2002 aufgekündigt und seitdem versucht sie, in Abgrenzungen und Konflikten sich innerhalb der Bahn zu behaupten.
    Wir haben im letzten Jahr nochmals versucht, zu einer vernünftigen und fairen Kooperation zu kommen, bei der die GDL sehr wohl für die Berufsgruppe Lokführer, wo sie die Mehrheit hat, auch das Sagen haben soll und wir ihr eingeräumt haben, auch für die anderen Berufsgruppen, wo sie nicht die Mehrheit hat, dennoch mitgestalten zu können. Das lehnt die GDL ab, weil sie letztendlich über die Abtrennung und die Aufspaltung der Belegschaften ihren Einfluss bei der Bahn erhöhen möchte.
    "Streik geht um Organisations- und Machtfragen"
    Breker: Kann man dann sagen, Herr Kirchner, dass es eher ein politischer Streik ist, der in weiterer Ferne auch gegen das anstehende Tarifeinheitsgesetz geht?
    Kirchner: Ich will das nicht als politischen Streik werten wollen. Es ist ein Streik, der im Kern um Organisations- und Machtfragen geht. Das ist richtig. Das Tarifeinheitsgesetz steht natürlich ein Stück weit im Hintergrund. Auch deshalb eskaliert der Streik ziemlich. Ich persönlich bin der Meinung, dass unabhängig von dem Tarifeinheitsgesetz - und selbst wenn es kommt - es sinnvoll ist, dass Gewerkschaften nicht gegeneinander und Beschäftigte gegeneinander in den Betrieben agieren, sondern dass es möglich sein muss, wie es im Übrigen beim Beamtenbund und auch in fast allen anderen Bereichen ist, dass Gewerkschaften versuchen, gemeinsam das Beste für alle Beschäftigten herauszuholen.
    Breker: Herr Kirchner, wenn Sie auf die Tarifauseinandersetzung GDL mit der Bahn schauen. Die GDL suggeriert ja, dass die Bahn, der Arbeitgeber auf Zeit spielt, eben mit Blick auf dieses Tarifeinheitsgesetz. Halten Sie das für wahrscheinlich?
    Kirchner: Ja gut. Richtig ist, dass dieser Tarifkonflikt jetzt mittlerweile zehn Monate andauert und nicht nur die Reisenden, sondern auch die Eisenbahner genervt sind und endlich ein Ergebnis auch sehen wollen. Wer da auf Zeit spielt, da schiebt die Bahn und die GDL sich gegenseitig die Verantwortung in die Schuhe. Fakt ist nur, dass scheinbar man am Verhandlungstisch nicht mehr weiterkommt und deshalb es einer Lösung bedarf.
    Es ist nicht meine Aufgabe, hier eine Schlichtung ins Spiel zu bringen. Das müssen die Parteien selber entscheiden. Nur wir werden als EVG nicht mehr über die nächsten zehn Monate hier die Verhandlungen mitgestalten wollen, sondern für die Beschäftigten, die wir vertreten, werden wir in den nächsten Wochen zu einem Ergebnis kommen.
    "Man kann eine verkehrte Personenpolitik nicht innerhalb eines Jahres korrigieren"
    Breker: Und bei diesem Ergebnis, ist da das, was Claus Weselsky zumindest gestern abend in den Tagesthemen betont hat, dass die hohe Zahl an Überstunden für seine Mitglieder nicht von der Bahn gewürdigt werde und dass die Bahn keine Maßnahmen ergreift, damit diese Überstunden abgebaut werden, ist das für Ihre Mitarbeiter auch ein Problem oder kein Problem?
    Kirchner: Selbstverständlich sind die hohen Überstunden bei der Bahn ein Problem und wir haben das vor einem Jahr oder anderthalb Jahren in den Vorfällen rund um Mainz ja erlebt, dass dort die Belastung der Mitarbeiter eine Grenze überschritten hat, die nicht mehr hinnehmbar war. Wir haben damals reagiert als EVG und konnten in einer Überprüfung aller Personalplanungszahlen in allen Betrieben erreichen, dass die Bahn über 2.000 zusätzliche Einstellungen machen musste.
    Das ist natürlich ein Problem. Die Mitarbeiter heute einzustellen heißt noch lange nicht, dass sie morgen auf einem Stellwerk oder auf einer Lok fahren können. Man kann eine verkehrte Personalpolitik nicht innerhalb von einem Jahr korrigieren. Wir haben erreicht als EVG, dass in den Zielvereinbarungen der Vorstände der Abbau der Überstunden und eine bessere Urlaubsgewährung reinkommt.
    Das ist zielrelevant und der Vorstand wird unter anderem auch daran bezahlt, ob dieser Abbau kommt. Das heißt, dort haben wir sehr viel getan. Die GDL hat auch in diesen Verhandlungen, in diesen Gesprächen sich rausgehalten und nicht beteiligt. Das ist aber dann ihr Problem.
    "Schlichtung macht keinen Sinn, wenn Parteien nicht zu Kompromiss bereit sind"
    Breker: Herr Kirchner, Sie haben eben das Stichwort Schlichtung gebracht. Schlichtung wird von der GDL, von Claus Weselsky strikt abgelehnt, und er hat insofern recht, als dass die Schlichtung ja bei der Bahn nur dann geht, wenn beide Seiten es wollen. Wenn einer das nur will, dann hilft es nicht.
    Kirchner: Richtig ist, dass eine Schlichtung nur dann Sinn macht, wenn beide Parteien auch den Wunsch haben, zu einer Lösung oder zu einer Einigung zu kommen, und solange das Thema ist alles oder nichts und ich nicht bereit bin, auch in einem Dialog oder in einer Schlichtung zum Kompromiss kommen zu wollen, macht Schlichtung keinen Sinn.
    Breker: Herr Kirchner, vielleicht noch kurz zum Schluss. Es ist viel von der Verhältnismäßigkeit die Rede. Dieser Streik wird der längste Streik der Bahngeschichte werden. Finden Sie, dass die Verhältnismäßigkeit da noch gewahrt ist?
    Kirchner: Erst einmal wird es nicht der längste Streik werden. Das ist der längste Streik bei der Bahn AG, aber nicht der Bahngeschichte. Es hat früher in der Geschichte der Bahn auch schon längere Streiks gegeben. Die Frage, ist das verhältnismäßig, wird jeder aus seiner Sicht anders bewerten.
    "Bei materiellen Fragen schließen auch wir langen Streik nicht aus"
    Ich sage, in dem Augenblick, wo es tatsächlich um materielle Fragen geht, darum geht, dass die Beschäftigten angemessen bezahlt werden, muss auch der Streik, notfalls auch ein langer Streik möglich sein. Das schließen wir auch für uns nicht aus. Das letzte Angebot der Bahn AG auch für uns war nicht hinnehmbar. Dort ist vorgesehen, dass insbesondere die unteren Berufsgruppen wie Reiniger, Servicekräfte schlechter behandelt werden sollen als andere. Das lehnen wir ab und wären auch notfalls bereit, dafür zu streiken.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, Alexander Kirchner. Herr Kirchner, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
    Kirchner: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.