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Evolutionsbiologie der Pferde
Können Pferde Gesichtsausdrücke des Menschen unterscheiden?

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde ein Pferd bekannt, das angeblich rechnen konnte. Das Ergebnis zeigte der "Kluge Hans" per Hufklopfen an. Sein Trick: Das Pferd erkannte an der Körpersprache seines Besitzer, wann er mit Klopfen aufhören sollte. Wie gut Pferde auch die Gesichter von Menschen "lesen" können, haben nun britische Psychologinnen in einer Studie untersucht.

Von Jochen Steiner |
    Eine Herde Wildpferde weidet am 29.05.2012 unweit des altmärkischen Buch bei Tangermünde im Landkreis Stendal. In die Wildnis der dortigen Auenlandschaft wurden durch ein spezielles Projekt des NABU Pferde angesiedelt.
    Pferde sind Flucht- und Herdentiere und wurden vor ungefähr 6.000 Jahren vom Menschen domestiziert. (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    "Mich interessierte schon immer, wie Tiere und Menschen miteinander kommunizieren. Kollegen von uns konnten zeigen, dass Hunde verärgerte und fröhliche Gesichtsausdrücke von Menschen deuten können. Wir haben nun eine ähnliche Studie mit Pferden durchgeführt."
    An dem Versuch nahmen 28 Pferde teil. Amy Smith von der University of Sussex im britischen Brighton ging mit ihren Kolleginnen zu den Pferden in den Stall und zeigte ihnen ohne vorheriges Training Fotos, auf denen entweder ein verärgertes oder ein fröhliches Gesicht zu sehen war. Während des Versuchs schauten die Forscherinnen die Pferde nicht an, um die Tiere nicht zu beeinflussen. Kameras filmten die Reaktionen der Pferde.
    Beim Zeigen eines Fotos mit verärgertem Gesicht erhöhte sich der Herzschlag der Tiere
    Bereits bekannt ist, dass sich ihr Herzschlag erhöht, wenn Menschen um sie herum gestresst sind. Auch die Psychologinnen um Amy Smith maßen den Herzschlag der Tiere, und zwar fünf Minuten bevor sie die Fotos präsentierten, und fünf Minuten danach. Das Ergebnis:
    "Immer wenn sie das verärgerte Gesicht gesehen haben, hat sich ihr Herzschlag erhöht. Wir gehen davon aus, dass sie dann nervöser waren als zuvor."
    Säugetiere nutzen das linke Auge bei Gefahr - die rechte Gehirnhälfte verarbeitet den Anstieg der Nervenimpulse
    Aus der Literatur wussten die Wissenschaftlerinnen außerdem, dass viele Säugetiere, auch der Mensch, vor allem das linke Auge nutzen, um Gefahren zu taxieren. Diese Art von Stimuli werden dann in der rechten Hirnhälfte verarbeitet. Und bei den Pferden?
    "Immer wenn sie das verärgerte Gesicht angeschaut haben, dann taten sie dies vor allem mit dem linken Auge. Auch das zeigt, dass diese Fotos sie nervös gemacht haben."
    Je besser die Emotionen im Gesicht eines Menschen erkannt werden, um so schneller kann ein Pferd bei Gefahr fliehen
    Doch wie konnten Amy Smith und ihr Team feststellen, mit welchem Auge die Pferde auf die Fotos schauten?
    "Ihre Augen sind seitlich am Kopf. Sie drehen ihn, um ein Objekt besser mit dem einen oder dem anderen Auge sehen zu können. Immer wenn sie ein Foto mit einem verärgerten Gesichtsausdruck präsentiert bekommen haben, drehten sie ihren Kopf so, dass das Foto im visuellen Feld des linken Auges lag."
    Bei den fröhlichen Gesichtern zeigten sie dieses Verhalten deutlich seltener. Auch erhöhte sich ihr Herzschlag dann nicht so stark, wie beim Anblick der verärgerten Gesichter. Pferde reagieren demnach vor allem auf Ärger und Wut ihres menschlichen Gegenübers.
    "Das könnte mit der langen gemeinsamen Evolution von Pferd und Mensch zu tun haben. Wir haben die Pferde vor 6.000 Jahren domestiziert. Sie konnten sich also lange Zeit an unser Verhalten gewöhnen. Wir glauben, dass es für sie vorteilhaft ist, unsere Emotionen zu verstehen. Wenn eine verärgerte Person auf sie zukommt, dann können sie davonrennen oder wenigstens eine Flucht vorbereiten."
    Nicht nur Hunde, auch Pferde können also die Emotionen in Menschengesichtern deuten. Amy Smith will jetzt untersuchen, wie Pferde auf Emotionen in menschlicher Sprache reagieren.