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"Exiles" an den Münchner Kammerspielen
Anregung zum liebevollen Zusammenleben

Von Rosemarie Bölts |
    Da liegt sie, im schwarzen Cocktailkleid, hingegossen auf dem Boden, die duldsame Bertha, und wartet auf ihren großen Auftritt, der in schreiender Sprachlosigkeit mündet. Die anderen stehen einfach die ganze Zeit herum. Weit weg voneinander und so dermaßen beziehungslos für sich, obwohl sie doch kreuz und quer was miteinander haben. Also ist da noch Beatrice, ganz das kleine Mädchen, aber mit erhobenem Bubikopf im rosafarbenen Kleidchen. Der kurze, schwammige Robert mit Strubbelhaaren, hässlich wie ein Faun, im schlampigen, grauen Anzug. Der darf dann später auch mal aufstampfen und herumtrampeln wie Rumpelstilzchen.
    Und sich aus- und wieder anziehen, warum auch immer. Und Richard, James Joyce persönlich, verheiratet mit Bertha, befreundet mit Robert, entflammt in Beatrice. Kein Wunder, dass seine Stirn zerfurcht ist und der Blick in die Ferne gerichtet, derweil das rosé farbene Hemd zum braunen Cordanzug korrekt den Künstler gibt, immer stoisch und seltsam unbeteiligt: "Machst du mir 'nen Vorwurf? - Warum, glaubst du, bin ich hier? -Warum - warum -warum ?"
    Warum dieses Stück?
    Das allerdings fragt man sich die ganze Zeit. Warum? Warum dieses Stück? Weil man, ach ja, Münchner Dekadenz, damit das einhundertjährige Jubiläum der Uraufführung im Jugendstil der Kammerspiele feiern möchte? Warum heute soviel verquaste Banalität an Luxusproblemen, die den Autor James Joyce umgetrieben und deshalb daraus seine, diese Fadenkreuz-wer-hat-mit-wem-warum-oder nicht-mehr-eigentlich-wozu-grübeln-wir-darüber-Geschichte gemacht hat, die aber keine Geschichte ist, keine Entwicklung zeigt und überhaupt, was uns eigentlich sagen will?
    "Es ist Liebe! - Ja, Liebe. Kann nicht streiten mit dir. - Weil ich recht habe!"
    Ach so, Liebe? Kurze Stummelsätze, keine Tiefgründigkeit, aber mal ganz ehrlich. O je. Wobei die überlangen Sprechpausen von eifrigen Zuschauern einfach vollgehustet werden. Oder gegluckst. Oder gekichert. Oder gelacht. Dabei ist das Ganze gar keine Persiflage.
    Dackelblick und Kugelmond
    Man spricht offensichtlich oben auf der Bühne als auch unten buchstäblich aneinander vorbei, und was man spricht, ist eigentlich für die Katz. Oder besser: für den Hund. Das riesige Konterfei eines Dackelkopfes schmückt die Bühne, die durch ihren Nachtschwarzen Himmel mit orangenen Kugelleuchten, wovon eine ein kreisrunder Mond ist, eigentlich betont schmucklos ist. Der treublickende Dackel soll "traurig in die Augen des Zuschauers und der Figuren gucken. Es ist, als ob er das höchste, das am meisten erleuchtete Wesen ist", schreibt der Regisseur im Programmheft über den Dackel.
    Ja, der Regisseur. Man war ja gespannt, was der für seine schlagkräftigen Inszenierungen bekannte Belgier Luc Perceval mit diesem Warum-Stück anfängt. Nun also: Dackelblick. Kugelmond. Scheintote. Figurentheater. Das soll wohl "Archie" kompensieren, der als Sohn von Bertha und Richard in der Joyceschen Textfassung nur erwähnt, bei Luc Perceval aber als pausenfüllender und die Sprachlosigkeit untermalender Profimusiker Dine Doneff am Kontrabass eingesetzt wird. Klingt gut, haut aber weder das Stück noch die Inszenierung raus, und endet, all inclusive, so nichtig wie gehabt.