Archiv


Experten fürchten sinkende Wettbewerbsfähigkeit durch Atom-Aus

Der Atomausstieg treibt die Strompreise in die Höhe und belastet energieintensive Unternehmen. Das Institut der deutschen Wirtschaft fordert von der Bundesregierung ein besseres Energiekonzept: Die Netze müssten ausgebaut werden und die abgeschalteten Atomkraftwerke durch dauerhaft verfügbare Energie ersetzt werden. Denn einige Experten befürchten sinkende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.

Von Philip Banse |
    Das sehr industrienahe Institut der deutschen Wirtschaft fordert von der Bundesregierung ein besseres Energiekonzept. Was heißt besser aus Sicht der Industrieforscher? Die Netze müssten ausgebaut werden. Die abgeschalteten Atomkraftwerke müssten durch dauerhaft verfügbare Energie ersetzt werden. Das alles will auch die Bundesregierung – das gilt auch für eine weitere Forderung des Direktors des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther:

    "Die Entlastung energieintensiver Unternehmen von hohen Stromkosten, Steuern und Abgaben ist in einer Übergangsphase notwendig – auch, um die im europäischen Vergleich teure Produktion in diesen Branchen weiterhin zu ermöglichen."

    Die Bundesregierung will energieintensive Unternehmen mit 500 Millionen Euro entlasten. Hüther forderte weiterhin: Die Kosten des Atomausstiegs müssten berechnet und die, die sie bezahlen sollen, müssten genannte werden. Nach Berechnungen seines Instituts, sagte Hüther, kostete der Atomausstieg mindestens 35 Milliarden Euro – dies gelte, wenn der Strom aus den AKW durch bestehende Gas- und Kohlekraftwerke ersetzt werde:

    "Sollten neue Kraftwerke gebaut werden müssen, wären sogar 48 bis 74 Milliarden Euro fällig. Im Durchschnitt all dieser Varianten ist die Energiewende verbunden mit Zusatzkosten von 55 Milliarden Euro."

    Diese Berechnungen lassen aber offenbar Stromsparpotenziale außen vor. Wenn weniger Strom verbraucht wird, muss weniger produziert werden, was die Kosten drückt – und die Abhängigkeit von Stromimporten. Hüther kritisierte, Deutschland habe sich seit der Abschaltung der acht Atommeiler von einem Stromexportland, zu einem Land entwickelt, das Strom importiere:

    "Der deutsche Sonderweg funktioniert nur, wenn unsere Nachbarländer nicht folgen und ebenfalls große Kraftwerksreserven abschalten und Kraftwerksbestände aus dem System nehmen. Wir haben einen nationalen Weg für die Gestaltung des Energiemixes der Zukunft, der auch davon lebt, dass um uns herum andere Wege weiter gegangen werden."

    Wie hoch die Kosten auch sind – zahlen müssten sie zu kleinem Teil die Energieunternehmen, vor allem aber der Staat und die Verbraucher:

    "Stromverbraucher müssen mit höheren Strompreisen rechnen. Schon mit der Abschaltung der ersten Anlagen ist der Großhandelspreis deutlich gestiegen. Der Strompreis hat sich im ersten Quartal 2011 um zehn Prozent erhöht. Davon sind insgesamt industrielle Großverbraucher betroffen. Die Auswirkungen auf private Verbraucher sind hingegen deutlich geringer."

    Steigende Strompreise spürbar derzeit kaum für Verbraucher, eher für energieintensive Unternehmen. Die machen sich denn auch die größten Sorgen. Im April befragte das Institut der deutschen Wirtschaft gut 190 Umweltexperten der Wirtschaft. Ergebnis:

    "Neun von zehn Umweltexperten der Wirtschaft, die wir im April befragt haben, sehen höhere Strompreise als wahrscheinlich an als Konsequenz der Rücknahme der Laufzeitverlängerung. Acht von zehn befürchten zudem höhere Preise für Kohlendioxydzertifikate. Und damit werden die Risiken der Energiewende als wahrscheinlicher eingeschätzt als die vielfach intonierten Chancen."

    Hüther sagt nicht, über welchen Zeitraum sich diese skeptische Einschätzung erstreckt. Gut 43 Prozent der befragten Experten sagen, sie erwarteten eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die Hälfte rechne mit schlechterer Investitionssicherheit. Der Direktor des wirtschaftsnahen Instituts Michael Hüther:

    "Deshalb ist es berechtigt zu sagen, dass es Risiken einer Deindustrialisierung gibt – immer im Blick, dass damit der Kern des deutschen Geschäftsmodell infrage gestellt wird."