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Färöer
Inseln der Musikseligen

Die Luft der Färöer Inseln muss sehr kreativ stimulierend sein: Bei insgesamt nur 48.000 Einwohnern werden jedes Jahr rund 40 Alben von Färöer Musikern veröffentlicht. Oder ist es doch der Einfluss der üppigen Natur, in der der Mensch sich einsam fühlt und voller Sehnsucht der Musik hingibt?

Von Christiane Rebmann | 14.02.2016
    Färöer-Inseln: Schafe stehen in der Nähe der Gemeinde Tjornuvik an einem Hang.
    Färöer-Inseln: Schafe stehen in der Nähe der Gemeinde Tjornuvik an einem Hang. (picture alliance / dpa)
    Benjamin Petersen von der färöischen Band Ave redet nicht lange herum und kommt auf den Punkt:
    "Bei uns können alle singen. Wenn bei uns auf einer Geburtstagsfeier ein Lied gesungen wird, treffen alle den Ton. Ich bin auf Festen in anderen Ländern gewesen. Da haben sich mir die Zehennägel aufgerollt, weil die Leute so schlecht sangen. Sie sind es nicht gewohnt, zu singen. Ich glaube, bei uns liegt das in der Kultur. Wir sind ein Land der Sänger."
    Die Inseln der Musikseligen - Die Färöer und ihre Musik. Eine Sendung von Christiane Rebmann.
    Musik: "Eystur" - Kristian Blak
    Kristian Blak hat großen Anteil an der außergewöhnlichen Entwicklung der Musikszene der Färöer. Er gründete 1977 das Plattenlabel Tutl und bietet dort Kollegen aus den Bereichen Folk, Pop, Jazz, Metal, HipHop, aber auch Klassik ein Forum. Musiker wie Teitur, Eivor, Ave, Marius Ziska, Högni Reistrup, Orka oder Danjal sind nicht nur auf der Inselgruppe, sondern auch international bekannt. Der Musiker erklärt beim Gespräch im Backstagebereich des G! Festivals sein Konzept.
    "Tutl ist ein Musiker und Komponisten Label. Bei uns gibt es keine Zensur. Wenn also jemand den Drang hat, Musik zu produzieren, kann er das bei Tutl tun. Das muss natürlich finanziert werden. Dafür sind die Musiker selbst zuständig. Manche sagen: Bringt die Musiker doch nicht schon als Teenager raus! Das Gute daran ist doch aber, dass auf diese Art dokumentiert wird, wie der Künstler als Teenager klang. Dafür muss man sich doch nicht schämen. Außerdem sind die jungen Musiker im Tutl Studio in guten Händen. Die Leute dort haben Routine. Die meisten Musiker hier haben ihre ersten Alben schon als Teenager veröffentlicht."
    Jeder kennt alle Musikerkollegen
    In der Trip Hop Band Clickhaze zum Beispiel taten sich 1997 Musiker zusammen, die heute alle eigenständig erfolgreich sind. Clickhaze war wie ein Vulkan, sagt Kristian Blak. 2003 trennte sich die Gruppe wieder. Dass sich die Protagonisten alle so eindrucksvoll weiterentwickelten, hat auch mit Blaks weiteren Aktivitäten zu tun.
    "Wenn in einem Dorf nichts passiert, dann ist das deine eigene Schuld. Hier in Göta fragten wir uns: Was können wir tun? Die Antwort war: Wir gründen einen Musikclub. Und als nächstes wurde das G! Festival ins Leben gerufen. Und weil es sich um ein ganz kleines Land handelt, zeigt es auch international Wirkung.
    Es ist so klein hier, dass man allen Kollegen, die hierherkommen, zwangsläufig begegnet. In unseren Musikclub lud ich bekannte Künstler als Solomusiker ein. Sie kamen gern, weil die Färöer so exotisch sind. Und diese Gäste erhöhten wiederum das Niveau unserer einheimischen Musiker."
    In der Phase der Labelgründung bis Anfang der 80er Jahre entwickelte sich eine Szene, in der plötzlich statt zwei Bassisten oder Schlagzeugern sieben zur Verfügung standen, sagt Blak. Die damals 15jährigen Kinder sind heute alle Profis. Er selbst gründete diverse Bands und ist immer noch mit der Folkgruppe Kvonn sowie der Ethnojazzformation Yggdrasil aktiv.
    Musik: "Atufressurin" - Yggdrasil
    Der 69jährige Blak lebt in der Hauptstadt der Färöer, in Tórshavn in einem kleinen Haus in der Altstadt.
    "Es heißt China. Wir haben also eine Chinatown in Tórshavn. Unser Haus heißt Unterchina, das daneben Oberchina. Früher haben wir unseren Häusern keine Straßennummern gegeben, sondern Namen. Eines unserer Häuser hieß Haus des Bruders."
    Von seinem Haus sieht er auf den Leuchtturm, den Hafen und Boote. Ein malerischer Blick, den auch die Touristen mögen. Im Sommer überfluten sie die Inseln. Blak sucht dann nach Ruhe und Ausweichmöglichkeiten. "Wir haben hier Konzerte mitten in der Natur", sagt er.
    Einzigartige Höhlenkonzerte
    "Zweimal die Woche kann man zur Konzertgrotte segeln und sich Musiker anhören, die improvisieren.Wir segeln vor die Höhlen auf Hestur Island und fahren die Leute dann mit kleineren Booten direkt rein - je nachdem, wie sich das Meer verhält. Diese Art der Höhlenkonzerte ist einzigartig."
    Der Ausflug lohnt sich auch wegen der vielen seltenen Vogelarten, die auf den abgelegeneren Inseln nisten. Auch ihnen widmete sich Kristian Blak und schuf aus den Aufnahmen, die ein befreundeter Ornithologe gesammelt hatte, eine Avifonie.
    Musik: "Vestur" - Kristian Blak
    Die Färöer Inseln liegen weit draußen im Nordatlantik zwischen Norwegen, Island und Schottland. 18 Inseln mit sanften Hügeln in sattem Grün und teilweise schroffen Felsküsten. Bei Höchsttemperaturen um die 12 Grad im kurzen Sommer und sehr langen Wintern entwickeln die Menschen besondere Eigenheiten, sagt der 27jährige Singer Songwriter Benjamin Petersen von der Band Ave.
    "Wenn es auf den Färöern stürmt und schneit, werden die Menschen schnell manisch depressiv. Wenn das Wetter im Sommer gut ist, flippen alle aus. Im Winter dagegen sitzen alle nach der Arbeit zuhause und schreiben zum Beispiel Songs."
    Für das Musikprojekt Ave tat sich Petersen mit seinem 20 Jahre älteren Patenonkel, dem Dichter und Musiker Petur Polson, zusammen. Die Stücke auf dem ersten gemeinsamen Album haben einen sehr persönlichen Hintergrund.
    "Die meisten Songs haben wir geschrieben, kurz nachdem Petur sich scheiden ließ. Ich fuhr immer wieder mit meiner Gitarre zu ihm, und so entstand das ´Ave' Album. Man kann wohl sagen, dass es ein Scheidungsalbum ist. Es geht darum, dass man loslässt und nach vorne schaut. Das Leben geht weiter, man darf den Kopf nicht hängen lassen."
    Musik: "Oydin"- Ave
    Benjamin schätzt das Leben auf den Färöern. Er mag die Nähe zur Natur.
    "Auf den Färöern ist es sehr ruhig. Wir züchten Schafe, und manche von uns jagen auch Wale. Wir kaufen nicht alles im Supermarkt. Obwohl wir natürlich eine moderne Gesellschaft sind. Wir haben Internet und leben in richtigen Häusern. Aber wir wissen, wo unsere Nahrung herkommt. Die Menschen in den großen Städten haben davon meist keine Ahnung. Weil sie alles im Supermarkt bekommen. Ich denke, unsere Art zu leben ist gesünder. Meine kleine Tochter weiß: Wenn die Schafe glücklich sind, schmecken sie besser."
    Benjamin selbst lernte schon früh, was es heißt, mit weniger als dem sprichwörtlich Nötigsten auszukommen. Weil sein Vater immer wieder lange Phasen bei den Ache Indianern in Paraguy lebte, verbrachte auch er viele Monate seines Teenagerlebens dort.
    "Geld spielte keine Rolle"
    "Es war toll, so zu leben. Wir hatten nichts, wir hatten nicht mal Strom. Geld spielte keine Rolle. Wir hausten im Wald und jagten und - lebten einfach. Wir machten uns keine Sorgen über irgendwas. Das war eine unglaubliche Erfahrung."
    Sicher spielen auch diese Erfahrungen eine Rolle in seiner Musik. Die Leichtigkeit, die die Sicherheit einer gewissen Unabhängigkeit von materiellen Dingen mit sich bringt, spiegelt sich im Hidden Track, dem versteckten Song auf diesem Album, wider.
    "Das war unser letzter Song. Nach einer Woche im Studio luden wir all unsere Freunde ein. Wir hatten Bier besorgt. Jemand hatte eine Flasche Whiskey dabei. Wir betranken uns, und dann drückten wir die Aufnahmetaste. Ich denke, das kann man hören. In diesem Song steckt so viel Freude. Er wird jetzt immer auf Partys auf den Färöern gespielt. Wenn ich abends durch die Stadt nachhause laufe, dann höre ich oft aus einem Haus, wie die Leute diesen Song spielen, auf der Gitarre und dazu singen. Er ist bei uns zur Partyhymne geworden."
    Musik: "Hidden Track"- Ave
    Marius Ziska lädt für unser Interview in das Haus seiner Mutter in Søldarfjørður ein, wo er aufgewachsen ist. Wir setzen uns ins Gartenhäuschen, von dem man einen wunderbaren Blick über den Fjord hat.
    "Dies ist ein sehr wichtiger Ort für mich. Ich bin seit drei Jahren Vater. Wir leben in einem kleinen Apartment in Tórshavn. Dort komme ich nicht zum Schreiben. Hier geht das. Hier gibt es das Meer und die Bäume. Die Bäume und das Meer singen die ganze Zeit für dich. Du musst das nur wahrnehmen und in der richtigen Umgebung sein, um darauf reagieren zu können."
    Ziska entdeckte mit sieben auf dem Dachboden die alte Gitarre seiner Mutter. Sie hatte nur eine Saite.
    Kein anderer wollte singen
    "Ich dachte mir eine Melodie aus. Und dann lud ich meine Eltern ins Wohnzimmer ein und sagte: ´Ich werde jetzt ein Konzert für euch geben. Ich habe nämlich gerade ein Lied geschrieben.' Als ich neun war, schenkte mir mein Vater ein Drumkit. Später kam er mit einem Bass nachhause und dann mit einer Gitarre. Ich lernte beides, dann zerrte ich meine Klassenkameraden mit nachhause, brachte dem einen Schlagzeugspielen bei, dem anderen Bass. Und dann fragte ich: ´Wer will singen?' Niemand. 'Okay, dann sing ich eben.'"
    Seine Stimme klingt so verträumt, wie er selbst auch wirkt. Eine Hälfte der Lieder auf seinem zweiten Solo Album "Home/ Heim" singt er auf Englisch, die andere Hälfte in seiner Heimatsprache.
    Musik: "Naerveran" - Marius Ziska
    "´Naerveran´ heißt einerseits Gegenwart, aber andererseits auch, dass du dir selbst treu bist. Der Text geht ungefähr so: Jetzt kommt die Gegenwart und übernimmt diesen Moment. Während ich versuche, den Augenblick festzuhalten, engleitet er mir wieder. ´Ich finde das ziemlich philosophisch´"
    Einen Großteil von Marius Ziskas Texten schreibt Hans Jakob Kollslid. Seine Texte sind immerhin so gut, dass einige von ihnen im färöischen Schulunterricht verwendet werden. Kollslid war mal Rockstar in Thailan. Während er erzählt, zeigt er rüber auf ein schmutzig gelbes größeres Gebäude am gegenüberliegenden Ufer des Fjords.
    "Er hat eine Million Alben verkauft. Jetzt lebt er dort drüben und arbeitet als Lehrer. Er hat all sein Geld für Drogen ausgegeben, als er noch Rockstar war."
    Musik: "Going Home" - Marius Ziska
    "Den Song ´Going Home´ schrieb ich genau hier, wo wir jetzt sitzen. Ich sah die Bäume und die Berge. Und ich hatte das Gefühl, dass der Akkord, den ich da spielte, nach der Textzeile ´Ich gehe nachhause´ schrie. Und dann machte mein guter Freund, der logischer denkt als ich, eine Geschichte daraus. Ich verzettele mich eher, wie Sie wahrscheinlich schon gemerkt haben. Ich mag vor allem Melodien und ein paar Wörter zu diesen Melodien."
    Marius Ziska ist nicht der einzige Färöer Musiker, der seine Heimat besingt. Auch sein Kollege Högni Reistrup, der seit knapp zehn Jahren Alben herausbringt, hat sich des Themas angenommen.
    "Ja, ich bin einer von ihnen. Ich habe auch einen Song, der ´Home´ heißt. Es geht hier auch um Heimat. Ich habe im Ausland gelebt, als ich diesen Song schrieb. Ich denke, man kann besser einen Song über die Heimat schreiben, wenn man nicht dort ist. So ein Lied zuhause zu schreiben wäre provinziell. Man braucht die Distanz, um Spannung zu erzeugen. Wir wären ja meist lieber dort, wo wir nicht sind. Und jemanden zu vermissen ist auf eine Art ein stärkeres Gefühl, als mit ihm zusammen zu sein."
    Högnis Musik ist hörbar von Depeche Mode und Radiohead beeinflusst.
    Musik: "Heim" - Högni Reistrup
    Der 32jährige Högni Reistrup hat lange Zeit im Ausland gelebt. Er kehrte vor drei Jahren zurück auf die Färöer, unter anderem weil er möchte, dass seine Tochter in seiner Heimat aufwächst. Er hat Medienwissenschaften studiert und macht jetzt für die Stadt Tórshavn Öffentlichkeitsarbeit.
    Kürzlich brachte er ein Buch mit Essays über ein Thema heraus, das er auch in den Songs seines aktuellen Albums ´Áðrenn vit hvørva´ -auf Deutsch ´Bevor wir verschwinden´ - anspricht.
    "Bevor wir verschwinden - das Thema beschäftigt mich schon lange. Viele junge Menschen verlassen die Inseln, um zu arbeiten oder zu studieren oder einfach neue Erfahrungen zu sammeln. Sie sind neugierig, wie ich es auch war. Ich habe ja auch neun Jahre in Kopenhagen und Dublin gelebt. Ich verstehe es also. ´Bevor wir verschwinden´ bezieht sich darauf, dass wir seit einigen Jahren einen Bevölkerungsschwund haben. Ich mache mir Gedanken darüber: Was, wenn es uns in 300 Jahren nicht mehr gibt? Daher der Titel. Ich denke, wir müssen uns bewusst sein, dass wir hier etwas Neues aufbauen müssen, nach neuen Möglichkeiten suchen. Das G! Festival trägt dazu bei. Viele der Färöer, die außerhalb wohnen, freuen sich das ganze Jahr darauf, hierher zu kommen und Teil des G! Festivals zu sein. Es hilft, eine Identität aufzubauen. Es zieht auch Menschen aus anderen Ländern an. Es ist Teil einer neuen Entwicklung, die die Dinge voranbringt."
    Die Natur spielt mit
    Das G! Festival, das jährlich Mitte Juli in der Bucht von Göta stattfindet, zieht immer mehr internationale Besucher an. Sie lieben die intime Atmosphäre direkt am Meer. Und sie schätzen den Charme des Unberechenbaren – dass zum Beispiel Konzerte immer wieder wegen der unerwartet hohen Flut verlegt werden müssen, weil die Bühne plötzlich unter Wasser steht. Die Einheimischen sind Improvisationskünstler, quasi von Geburt an.
    "Als ich geboren wurde, tobte ein Schneesturm. Deshalb hatte meine Mutter Probleme, ins Krankenhaus zu kommen. Sie musste mit ihrem dicken Bauch erstmal ein paar Kilometer durch den Schnee zur Hauptstraße vorlaufen. Von dort konnte sie dann zum Krankenhaus gefahren werden."
    Reistrups klingt melancholisch. Man hört der Musik an, dass sie an langen Winterabenden entstand. Die Menschen sind hier den Naturkräften ausgeliefert. Das lässt sie eng zusammenrücken.
    "Wenn die Färöer früher von einer Insel zur anderen wollten, mussten sie rudern. Sie saßen meist zu mehreren im Boot und waren aufeinander angewiesen. Du kannst nicht sagen: Dies sind meine Musiker. Sie dürfen nur meine Musik spielen. So kommt es, dass wir alle Arten von Musik mit allen möglichen Bands spielen. Wenn es nur zwei Drummer in einem Dorf gibt, aber viel mehr Künstler, die Musik machen wollen, dann müssen diese beiden Schlagzeuger mit mehreren Bands spielen. Und womöglich ist dann auch noch einer dieser Drummer Sänger in einer weiteren Band. Hier kommen so viele Alben heraus, weil wir alle mit verschiedenen Bands spielen. So können wir mehr erreichen."
    Musik: "Bridges" - Eivor
    "Wenn ich zuhause auf den Färöern spiele, bin ich oft nervöser als bei internationalen Konzerten. Ich habe dann das Gefühl, dass ich mich nackt ausziehe", sagt die 32jährige Musikerin Eivor Palsdottir."Wenn ich zum Beispiel über eine Trennung singe, dann können die Zuschauer zumindest raten, um wen es geht. Die Menschen hier kennen sich sehr gut."
    Eivor stammt aus Sydurgöta. Mit 13 gewann sie ihren ersten Musikwettbewerb. Mit 15 stieg sie bei der Band Clickhaze ein. Mit 16 beschloss sie, ihr Solo-Debüt beim Tutl Lable zu veröffentlichen.
    "Ich arbeitete ein paar Monate in der Fischfabrik, um Geld für die Studioaufnahmen und die Musiker zu verdienen", erzählt die große blonde Sängerin. "Das war wohl das einzige Mal, dass ich einen normalen Job gemacht habe".
    Lange isoliert vom Rest der Welt
    Mehr war auch nicht nötig. Nachdem sie Jazz und klassischen Gesang in Reyjkavik studiert hatte, standen ihre alle Wege offen. Egal ob sie färöische Balladen, Rock, Pop, Jazz oder Folk, ob sie auf Englisch oder färöisch sang – sie war immer erfolgreich, teilweise auch in Europa, vor allem in Dänemark.
    Dass sie mit der isländischen Ikone Björk verglichen wird, obwohl ihre Stimmen sehr unterschiedlich klingen, kann sie verstehen. Wir haben einen ähnlichen Akzent, meint sie. Wir kommen von ähnlichen Orten. Auch für sie war ihre Heimat wichtig für ihre musikalische Entwicklung. Die Färöer sind ein musikalischer Ort. Ich glaube, das liegt daran, dass wir sehr lange sehr isoliert vom Rest der Welt gelebt haben, sagt sie.
    "Ich bin ja in der Natur aufgewachsen. Ich konnte mich frei in der Wildnis bewegen. An einem Ort wie diesem fühlst du dich ganz klein, geradezu ehrfürchtig, erklärt sie. Das hat meine Musik beeinflusst."
    Mit ihrer außergewöhnlichen Stimme hat sie es geschafft, dass sie vor einigen Jahren von dem britischen Komponisten Gavin Bryars als Hauptdarstellerin für seine kanadische Opernproduktion "Marilyn Forever" gebucht wurde. 2015 erschien ihr englisches Album "Bridges". In den Songs sang sie über die Stationen in ihrem Leben, die ihr entscheidende Impulse gaben. Danach veröffentlichte sie eine CD mit färöischen Songs namens "Slör", was so viel wie "im Nebel" heißt.
    "Es ist das Zwillingsalbum zu ´Bridges´. Ich singe hier färöisch. Weil es um meine Wurzeln, um meine Herkunft geht, erklärt sie.
    Musik: "Slör"- Eivor
    Eines der außergewöhnlichsten Musikprojekte der Färöer Inseln ist Orka. Die lose Formation, zu der Jens Thomsen, Ólavur Jákupsson und unter anderem zeitweise auch Yann Tiersen, Høgni Lisberg und Benjamin von Ave gehören, entstand 2006 als Experiment, erzählt Jens Thomsen.
    "Ich traf mich mit ein paar Freunden auf einem Bauernhof. Wir nahmen keine Instrumente mit. Die Idee war: Wir kommen ohne Instrumente hier an und verlassen diesen Ort mit fertigen Songs. Wir mussten also zuerst Instrumente bauen, um Musik machen zu können. Die Regel lautete: Wir dürfen nur Material verwenden, das wir auf der Farm finden. Und so entstanden sehr merkwürdige Musikinstrumente.
    Der Bass, den ich sehr viel gespielt habe, bestand aus einem Zaunpfahl, den wir von der Schafweide hatten. Dazu verwendeten wir Saiten aus einer dicken Angelschnur aus der industriellen Fischerei. So bauten wir einen Zaunpfahl-Kontrabass. Wir bastelten uns auch eine Art afrikanische Cora, indem wir diese Saiten auf ein Holzfass spannten. Wir hatten einen Kompressor, den wir Luft in Flaschen blasen ließen. Wir stimmten sie, indem wir sie mit Wasser füllten. Wir verwendeten einen Betonmischer als Rhythmusinstrument. Und wir hängten ein Mikrofon im Kuhstall auf und nahmen die Melkmaschinen auf."
    Alle Klänge stammten also von dem Bauernhof. Färöischer geht es nicht.
    "Meine Alben klingen immer sehr nach dem Ort, an dem sie entstanden sind. Das zweite Album nahm ich in einer Salzlagerhalle in Tórshavn auf. Wir stellten überall Mikrofone auf und verwendeten das Knirschen des Salzes als Percussion. Ich gehe nie in ein Studio, sondern lieber an einen Ort, der etwas Spezielles hat. Es gibt überall so viele Dinge, die man umsonst verwenden kann. Das fängt bei der Atmosphäre, dem Klang des Raumes an."
    Musik: "Orgov"- Orka
    "Die gesampelten Sounds sind das wichtigste Element in meiner Musik. Ich spiele nur selten konventionelle Instrumente. Ich sammle lieber Sounds. So verwende ich beispielsweise das Klirren eines zerbrechenden Glases als Snare Drum."
    Der 26jährige Jens Thomsen, der als Vorbild David Bowie nennt, lebt in London, verbringt aber viel Zeit auf den Färöern. Er gehört zu den Gründern des G! Festivals. Die Langeweile treibe die Menschen auf den Färöern an, kreativ zu werden.
    "Traditionell wurde hier viel in der Kirche und beim färöischen Kettentanz gesungen. So hat man sich früher amüsiert. Es ist bei uns ganz normal, dass sich auf einer Party irgendwann jemand eine Gitarre nimmt und singt und dann alle anderen mitsingen. Alle kennen die Lieder. Das würde dir in London nicht so leicht passieren. Es gibt ja insgesamt nur 60.000 oder 70.000 Menschen, die unsere Sprache sprechen. Wir müssen sie also sehr sorgfältig pflegen. Dazu gehört, dass wir unsere eigenen Lieder sehr gut kennen. Wir sind stolz auf unseren färöischen Liederschatz. Wenn eine Band von hier auftritt, singen alle mit. Das ist Teil des Überlebens, auch des Überlebens unserer Kultur. Das ist hier allen bewusst."
    Orka bedeutet Energie
    Der Name Orka wird wie der Wal geschrieben. In der färöischen Sprache heißt er so viel wie Energie. Und die färöische Namens-Variante macht auch vom Klang her mehr Sinn, findet Thomsen.
    "Eine Stimmlehrerin hat mir erklärt, dass wir so viele Zischlaute in unserer Sprache haben, weil wir immerzu das Meer brausen hören."
    Das aktuelle Album "Leipzig" nahm die Band im UT Connewitz, einem alten Kino in Leipzig, auf.
    Musik: "Open Skylines" - Orka
    Dánjal á Neystabø stammt aus einer Politikerfamilie. Seine Mutter ist Kultusministerin, sein Großvater und Urgroßvater waren Premierminister der Färöer. Danjal studierte am Konservatorium in Groningen. Er beschäftigte sich mit bulgarischer, schwedischer und irischer Folkmusik und studierte afrikanische Rhythmen in Gambia. Genau diese Einflüsse machen die Musik seiner Band Danjal so abwechslungsreich.
    "Manchmal spielen wir im Trio - Mandoline, Violine und ich am Piano. Dann klingen wir eher folkig. Die größere Besetzung klingt mehr nach Rockpop. Aber weil wir auch die Klarinette dabei haben, sind die Folkanklänge noch da."
    Er hat genau wie viele seiner Freunde, lange Zeit im Ausland gelebt und ist aus familiären Gründen auf die Färöer zurückgekehrt.
    "Viele meiner Musikerkollegen, die nicht von hier kommen, sagen: Die Färöer sind wie Italiener auf Skandinavisch. Weil ihnen die Familie so wichtig ist. Die Menschen halten zusammen. In Dänemark ist es üblich, dass die erste Beerdigung, auf die du gehst, die deiner Mutter oder deines Vaters ist. Auf den Färöern dagegen gehst du zu jeder Beerdigung. Du gehst auch hin, wenn der Bruder des Cousins deiner Mutter gestorben ist."
    Für die getragene Stimmung und den typischen Färöer Sound hat er eine überraschende Erklärung.
    Musik wie Wind und Wellen
    "Ich habe mal gelesen, dass Vögel, die sehr eng in großen Kolonien zusammenleben, sehr schnell piepsen. Piep Piep Piep. Aber eher leise und in hohen Tönen. Die Vögel in den Bergen dagegen, die weit auseinander leben, haben einen großen, tiefen Klang. Pieps - nach längerer Zeit noch ein Pieps. So ist es auch ein wenig mit der färöischen Musik. Man kann bei uns überall den Horizont sehen. Da ist es doch klar, dass wir kraftvolle, dynamische Musik spielen, die die Wellen und den Wind darstellen oder die Sonne, die durch die Wolken durchbricht. In New York dagegen, wo die Menschen aufpassen müssen, dass sie sich nicht gegenseitig umrennen, neigt man eher dazu, schnelle Musik wie Bepop zu spielen."
    Dass es so viele gute Sänger auf den Färöern gibt, hat mit einer Besonderheit in der Vergangenheit zu tun, meint er.
    "In der traditionellen Musik der Färöer gab es keinerlei Instrumente. Es wurde nur gesungen. Vor ungefähr 150 Jahren kamen dann die ersten Instrumente. Das hat unsere Musik verändert. Davor hatten wir nicht mal dieselben Tonleitern wie die anderen Länder. Die Kirchenlieder mussten an die Tonleitern der Orgel angeglichen werden. Wenn ich heute versuche, traditionelle Musik zu singen, klingt sie irgendwie falsch."
    Die Musik auf Danjals aktuellen Album "Time" entstand – wie die letzten Werke auch – in Zusammenarbeit mit dem finnischen Mandolinisten Kim Nyberg und nachdem er sich eingehend mit den Theorien Albert Einsteins befasst hatte.
    "Ich nannte das Album ´Time' nach der Geschichte, die mir ein alter Mann in Polen erzählte, von einem Jungen, der jeden Tag am Fluss entlangging und lernte, mit ihm zu sprechen. Eines Tages sagte der Fluss zu ihm: Bald wirst du am Meer landen. Der Junge wusste gar nicht, was das Meer ist. Nach einiger Zeit gelangte er wirklich ans Meer. Und der Fluss war plötzlich verschwunden. Und das einzige, was der Junge sah, war die unendliche Weite."
    Musik: "Time"- Danjal
    Außer der Musik gibt es noch etwas, auf das die Färöer stolz sind. Ihre erfolgreiche Fußballnationalmannschaft. Musiker wie Danjal feiern mit.
    "Wussten Sie, dass wir zweimal gegen Griechenland gewonnen haben? Der Trainer wurde nach dem ersten Spiel gefeuert. Wenn du als Trainer gegen die Färöer verlierst, wirst du gefeuert."
    Doch da sind nicht nur die beiden Siege von 2014 und 2015, Danjal freut sich immer noch über einen Sieg von 1990.
    "Jedes Mal, wenn ich in Österreich spiele, sprechen mich die Leute dort darauf an: Ihr Färöer habt uns im Fußball geschlagen. Darüber werden sie nie wegkommen. Das hat eine tiefe Wunde hinterlassen."
    Parallele zwischen Musik und Fußball
    Auch sein Kollege Högni Reistrup sieht zwischen sportlichen und musikalischen Erfolgen des Landes einen tieferen Zusammenhang.
    "Vielleicht hängt das damit zusammen, dass wir einfach alles sehr intensiv und mit Leidenschaft tun.
    Vielleicht gibt es eine Parallele zwischen Musik und Fußball. Natürlich kannst du nur Fußballspieler sein. Du kannst nur Musiker sein. Aber meist ist es so, dass die Menschen hier ihrer Leidenschaft nachgehen und ansonsten in einem normalen Job arbeiten. Viele der Fußballspieler hier sind Stars im Fernsehen, aber tagsüber arbeiten sie als Tischler, Lehrer oder in der Fischfabrik. Das ist auch in der Musikszene so."
    Dieser Umstand macht die Niederlage hochbezahlter Fußballer gegen die kleinen Färörer umso schmerzlicher. Der Musiker Teitur Lassen hat eine nüchterne Sicht auf das Phänomen.
    "Wir sind ein sehr kleines Land. Aber in unserer Gesellschaft gibt es dieselben Bedürfnisse wie in den größeren Ländern. Sport, Musik, Nachrichten. All das muss abgedeckt werden. Es gibt also eine Menge leerer Sitze. Ich könnte hier auch als Sportler erfolgreich sein, wenn ich wollte. Egal, ob du Fußballtrainer, Musiker und/oder Lehrer sein willst , du hast alle Möglichkeiten. Es gibt genügend unbesetzte Positionen."
    Musik: "Home" - Teitur Lassen
    Teitur Lassen ist der international erfolgreichste unter den färöischen Musikern. Sein von Rupert Hine produziertes Debütalbum "Poetry and Aeroplanes" wurde 2003 in einigen Medien als eines der besten Werke des Jahres gefeiert. Die britischen Künstler Seal und Corinne Bailey Rae vertrauten seinen Songwriterqualitäten. Und erst kürzlich reiste die deutsche Kollegin Judith Holofernes auf die Färöer, um eine Woche lang mit ihm Musik zu schreiben. Am Anfang war er beim Musikgiganten Universal unter Vertrag. Ein Irrtum, stellte er schnell fest.
    "Das war zu einer Zeit, als das Songwriter Genre ziemlich kommerziell war, mit Norah Jones und John Mayer als erfolgreichsten Vertretern. Nach dieser Welle bekam ich den Vertrag. Man erwartete von mir, dass ich Millionen Alben verkaufen würde. Aber das geschah nicht. Dabei hatte ich das Gefühl, auch mit meinen geringeren Verkäufen erfolgreich zu sein. Ich war damals eh gar nicht bereit für den großen Erfolg. Ich trat mit geschlossenen Augen auf. Ich trug T Shirts mit dämlichen Aufschriften und dachte, ich sei ein Punk, weil ich mich weigerte, mich gut anzuziehen. Dabei sah ich wahrscheinlich nur aus wie ein Idiot."
    "Färöer ist der coolste Ort auf Erden"
    Wie die meisten seiner Freunde entdeckte der heute 39jährige früh seine Leidenschaft für die Musik.Er widmete sich den Platten von Leonard Cohen, Bob Dylan oder Miles Davies. Als Teenager trat er die Ochsentour durch die einheimischen Kneipen an.
    "Damals wurdest du als Musiker noch nicht ernst genommen. Als 16jähriger spielte ich vier Stunden für eine Horde Besoffener und wurde dann auch noch um meine Gage betrogen. Die Promoter waren gleichzeitig die Handballmannschaft des Ortes. Diese Erfahrung trieb mich von hier weg. Ich wollte es ihnen zeigen. Inzwischen hat sich die Situation hier sehr verändert. Jetzt kommen mir die Färöer vor wie der coolste Ort der Erde."
    Nachdenkliche Songs
    Teitur lebte in New York und zog dann nach London um. Der Kontrast zwischen den Metropolen und seiner Heimat könnte nicht größer sein.
    "Es gibt hier kaum Kriminalität. Die Leute lassen ihre Türen offen stehen. Man entscheidet alles spontan. Man braucht sich auch nicht zu verabreden, weil man sich sowieso dauernd begegnet. Die Menschen hier gehen sehr intim miteinander um. Wir kümmern uns umeinander. Wenn jemand stirbt, spürst du das. Je mehr ich gereist bin, umso mehr sehe ich, dass das die Dinge sind, die wirklich zählen."
    Eines seiner schönsten Lieder schrieb er - eher beiläufig - mit einem Freund zusammen fertig, auf dem Sofa bei Chips und Fernsehen.
    "Ich hatte den Song schon lange liegen. Und dann machte ich ihn in New York fertig, mit einem Freund, der Rechtsanwalt ist. Wir saßen auf dem Sofa, er sah fern, ich schrieb den Song, und er fragte: Was schreibst du da? ´All my mistakes have become masterpieces?' Das klingt super. Und dann aß er weiter seine Chips, wir sprachen darüber, und so schrieben wir den Song fertig. Wir haben noch zwei weitere Songs zusammen geschrieben. Dabei ist er gar kein Songwriter. Er mag nur einfach Lieder."
    Teiturs Lieder sind ein gutes Beispiel für das, was die Musik der Färöer ausmacht – egal in welchem Genre sich die Künstler bewegen – sie alle schreiben nachdenkliche Songs, die sich mit existentiellen Themen beschäftigen. Das Klima und die Nähe zum Meer sorgen dafür, dass die Grundstimmung fast immer melancholisch ist. Andererseits neigen die Musiker auch zur Selbstironie. Und dadurch gewinnt ihre Musik Spannung und eine gewisse Leichtigkeit.
    Musik: "All my mistakes have become masterpieces" – Teitur Lassen