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Familie und Beruf
Unbequeme Wahrheiten über die Vereinbarkeit

Familie und Kinder - oder Beruf und Karriere? Anne-Marie Slaughter, ehemalige Planungsdirektorin von Außenministerin Hillary Clinton und Professorin an der Princeton-Universität beschreibt in ihrem Buch "Unfinished Business" einige unbequeme Wahrheiten über Frauen, Männer und die amerikanische Arbeitswelt.

Von Katja Ridderbusch | 14.12.2015
    Eine Illustration: Ein Mann hält ein Baby auf dem Arm während die Frau mit einem Aktenkoffer in der Hand aus der Haustür geht.
    Wie lässt sich Arbeit und Familie verbinden? - Anne-Marie Slaughter stellt dazu Thesen auf. (imago / Westend61)
    "The lack of flexible and predictable work schedules, no paid family leave, very few affordable child care options: This is all part of a larger story."
    Unflexible Arbeitszeiten, unbezahlte Elternzeit, kaum erschwingliche Kinderbetreuung – all das mache es schwer für Frauen in Amerika, Arbeit und Familie zu vereinbaren. Das sagt Hillary Clinton, ehemalige First Lady, ehemalige Außenministerin und möglicherweise künftige Präsidentin der USA.
    "It can feel like pushing up a boulder uphill every single day."
    Kein Zufall vielleicht, dass ausgerechnet Clintons ehemalige Planungsdirektorin im Außenministerium die Debatte über die heikle Balance zwischen Beruf und Familie wieder neu entfacht hat: Die Politikwissenschaftlerin Anne-Marie Slaughter gab ihren erklärten Traumjob im State Department nach zwei Jahren auf, um wieder näher bei ihrer Familie zu sein. Sie schrieb darüber 2012 einen Artikel im Magazin "The Atlantic" mit dem provokanten Titel: "Why women can't have it all" – Warum Frauen nicht alles haben können. Jetzt hat sie ihre Thesen in einem Buch veröffentlicht: "Unfinished Business" – Unerledigte Aufgaben.
    "Ich bin zwischen Princeton und Washington gependelt. Meine Söhne im Teenageralter und mein Mann lebten in Princeton. Meine Arbeit im Außenministerium war großartig, aber nach zwei Jahren musste ich mir eingestehen, dass ich nach Hause zurückkehren musste, zurückkehren wollte. Und dass ich das nicht mit dem Job vereinbaren konnte, den Außenministerin Clinton von mir erwartete."
    Anlass für eine hitzige Debatte
    Der Artikel traf damals einen Nerv, hatte knapp drei Millionen Klicks und trat eine hitzige Debatte los. Vor allem eingefleischte Frauenrechtlerinnen witterten Verrat an ihrem Mantra von der perfekten Gleichheit der Geschlechter, am feministischen Narrativ, dass Frauen alles haben können, wenn sie es denn nur wirklich wollen. Kurz: Sie warfen Slaughter vor, als Vorbild für Frauen versagt zu haben.
    Slaughter geht in ihrem Buch auf diese Kritik ein – ganz ohne ideologischen Eifer, aber bisweilen mit offenem Staunen. Schließlich hat sie sich nach ihrer Rückkehr aus Washington nicht auf eine Existenz als Hausfrau und Mutter beschränkt, im Gegenteil:
    "Obwohl ich ja immerhin Vollzeit als ordentliche Professorin arbeitete, bekam ich den Stempel subtiler Wertminderung aufgedrückt: Ich war nun eine unter den vielen talentierten und gut ausgebildeten Frauen, die einen vielversprechenden Karrierestart hatten und ihr Leben dann zurückschrauben, Teilzeit arbeiten oder ganz aufhören zu arbeiten, um sich um ihre Familie zu kümmern."
    Slaughters Forderung: Nicht die Frauen sollen sich - oder ihre Haltung - ändern. Vielmehr müsse der notwendige Wandel aus der Gesellschaft heraus kommen – von der Politik, den Unternehmen, der Arbeitswelt.
    Tatsächlich sind die USA das einzige industrialisierte Land der Welt, das keinen bezahlten Mutterschutz per Gesetz garantiert. Kindertagesstätten, öffentliche wie private, sind teuer und Subventionen gibt es nur für besonders bedürftige Familien.
    Die Autorin plädiert für flexiblere und offenere Arbeitszeitmodelle, betont aber auch, dass es damit alleine nicht getan sei.
    "Als Arbeitgeber sollte man nicht diejenigen Mitarbeiter am meisten schätzen, die am längsten im Büro sitzen, sondern diejenigen, die die beste Arbeit in der kürzesten Zeit erledigen."
    Vorstellung von beruflicher Laufbahn neu definieren
    Und in diesem Wettbewerb, vermutet Slaughter, dürften Frauen gut abschneiden. Sie regt an, die Vorstellung von einer erfolgreichen beruflichen Laufbahn neu zu definieren - eine Karriere nicht als stetig ansteigende Kurve zu betrachten, sondern als Stufenmodell mit aktiveren und ruhigeren Phasen. Als Beispiel führt Slaughter ihre frühere Chefin an: Hillary Clinton.
    "Sie hatte viele Phasen in ihrer Laufbahn. Zu Beginn sah es so aus, als würde sie ihre Arbeit als Anwältin der politischen Karriere ihres Mannes unterordnen. Dann kandidierte sie für den Posten als Senatorin, als die Amtszeit ihres Mannes zu Ende war und Chelsea zum College ging. Und nachdem sie den Präsidentschaftswahlkampf verloren hatte, bekam sie ein Jobangebot, mit dem sie nie gerechnet hätte: nämlich als Außenministerin.
    Ein Rhythmus der Karriereplanung, betont Slaughter, der für alle berufstätigen Frauen möglich sein müsse. Damit differenziert sie auch die These ihres ursprünglichen Artikels: Frauen können, im Prinzip, schon alles haben, aber eben nicht immer gleichzeitig.
    Schließlich richtet die Autorin eine Mahnung an ihre ehrgeizigen Geschlechtsgenossinnen: Nicht nur die Männer müssten sich in ihre neue Rolle in einem modernen Gefüge aus Beruf, Familie und Gesellschaft einfinden. Auch die Frauen sollten sich an ein neues Männerbild gewöhnen.
    "Wenn sich die Männer ändern sollen, müssen auch wir Frauen uns mit einem Typus Mann anfreunden, der sich um die Kinder kümmert, der weniger verdient als wir und der seine ganz eigenen Vorstellungen über die Organisation der Küche oder der Familienaktivitäten hat – und der zugleich als Mann attraktiv und sexy ist."
    Anne-Marie Slaughters Buch liefert eine griffige Mischung aus Information und Analyse, der Grundton ist ein gelassener und heiterer Realismus, der auf dem Eingeständnis beruht, dass Männer und Frauen eben manchmal doch verschieden ticken.
    "Frauen sind einfach anders sozialisiert als Männer. Frauen liefern ihre Kinder in der Tagesstätte ab und haben den ganzen Tag lang ein schlechtes Gewissen. Männer liefern ihre Kinder in der Tagesstätte ab und fühlen sich gut, weil sie verantwortungsvoll und aktiv gehandelt haben."
    Buchinfos:
    Anne-Marie Slaughter: "Unfinished Business. Women, Men, Work, Family", Random House New York, 2015, 329 Seiten, Preis: 25,95 Euro