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Fehlgeburten
"Für die Ärzte waren es nur Zellen, für uns war es ein Kind"

Die Vorfreude ist groß, die ersten Ultraschallbilder sind da, dann der Schock: Die Schwangerschaft endet nach wenigen Wochen. Eine Fehlgeburt kommt häufig vor - und trifft Paare doch völlig unvorbereitet. Oft haben weder Ärzte noch Freunde Verständnis für die Trauer danach.

Von Michaela Natschke | 14.06.2017
    Ein Ultraschallbild. Zu sehen ist das Baby im Mutterleib.
    Ein Ultraschallbild. Zu sehen ist das Baby im Mutterleib. (Michaela Natschke / privat)
    "Dann hat der Arzt auch nur so gesagt, es ist tot und hier, da wird Ihnen super geholfen und dann stand ich auch schon irgendwie draußen im Flur bei ihm im Hausflur", erzählt Caroline. Sie und ihr Mann wollten gerne ein zweites Kind. Doch dann kam alles anders: In einem Zeitraum von 3 Jahren erlitt Caroline drei Fehlgeburten.
    "Als ich aufstand ist die Fruchtblase geplatzt und nach 10 Sekunden kam das Baby dann schon teilweise raus. Ich war total unter Schock", erzählt Nina.
    Nina und ihr Mann freuten sich sehr auf ihr erstes Kind. In der 14. Schwangerschaftswoche setzten Geburtswehen ein. Sie brachte das Kind zuhause zur Welt.
    Caroline und Nina: Zwei Frauen, die über sehr Persönliches berichten und mit ihren wahren Namen nicht genannt werden wollen. Was sie erlebt haben, teilen sie mit vielen Frauen ebenso oder ähnlich. Nur reden viele nicht offen darüber. Weil aus einer wunderbaren natürlichen Sache mit einem Schlag ein ganz persönliches Drama werden kann. Genau das gehört aber eben auch zu dieser wunderbaren Sache.
    Leben und Tod liegen vor allem am Anfang der Schwangerschaft nur einen Hauch voneinander entfernt. Laut Universität Bonn endet geschätzt jede dritte Schwangerschaft vorzeitig - 80 Prozent davon in den ersten 12 Wochen. Eine Frau mit Kinderwunsch kann dies je nach Lebenssituation zutiefst erschüttern. Das Paradoxe daran: Obwohl Fehlgeburten so häufig geschehen, stoßen eine Frau und ihr Partner mit ihrer Trauer oft auf Unverständnis.
    Ein Eintrag in einem Mutterpass.
    Ein Eintrag in einem Mutterpass. (Michaela Natschke / privat)
    Wer sich sehnlichst ein Kind wünscht, richtet seinen Blick in die Zukunft. Dazu gehört auch der Blick mit dem Ultraschallgerät in den eigenen Körper, der diese Zukunft sichtbar werden lässt. So erlebten es Nina und ihr Mann beim ersten gemeinsamen Arztbesuch:
    "Der Besuch war besonders schön, weil mein Mann das erste Mal bei mir war und das Baby auch im Ultraschall sehen konnte. Das von der 8.-14. Woche zu sehen, wie viel größer das geworden ist, das war richtig toll für uns", sagt Nina.
    Auch bei Caroline sah zunächst alles gut aus. Ihr Arzt fühlte sich schon auf der sicheren Seite:
    Sie erzählt: "Die Schwangerschaft verlief bis zum Ende der 12 Woche völlig normal, sodass er sich hat hinreißen lassen am Ende der 11. Woche zu sagen: "So, wir haben's! Das ist es jetzt." Das Kind war munter, es war alles gut."
    Der weibliche Körper arbeitet vom ersten Tag der Schwangerschaft an auf Hochtouren. Eine faszinierende Tatsache mit unsichtbarem Fahrplan. Viele Frauen erleben ein Gefühlschaos. Das eigene Kind: Das ist erst mal neu – ja irgendwie auch fremd - und doch ist es ein Teil von einem. Hebammen geben in solchen Situationen oft wertvolle Tipps, um da etwas Entspannung reinzubringen. Nina liess sich auf Anraten ihrer Hebamme darauf ein: "Ich habe dann tatsächlich das Baby gefragt: Was brauchst Du jetzt von mir? Dabei kam ich mir ein bisschen albern vor. Ich habe es doch gemacht, sie meinte, das könnte helfen. Mir kam so der Gedanke: Ich brauche, dass Du mich schützt."
    Nina und Caroline spüren wie viele Schwangere ein Kind in sich und benennen dies auch genauso. Das steht jedoch oft im Gegensatz zum Sprachgebrauch vieler Ärzte.
    Diese sehen den "Embryo" oder ab der neunten Schwangerschaftswoche, wenn alle Organe ausgebildet sind, den "Fötus". Viele vermeiden, von "Kind" zu sprechen. Manche halten dies sogar für falsch. Als systemische Familienberaterin, freie Trauerbegleiterin und Mitbegründerin von Trauergruppen beim Verein Verwaiste Eltern aus Aachen, kennt Gerda Palm solche Ansichten.
    Sie sagt: "Ich habe auch schon eine Gynäkologin gesprochen, die dann sagte: Das finde ich ganz schlimm, dass ihr das als Kind bezeichnet. Ich versuche, genau das Gegenteil zu machen, den Frauen zu sagen, bis zur 12. Woche ist das eine Zellansammlung - eben weil noch so viel schiefgehen kann."
    Die systematische Beraterin und Trauerbegleiterin Gerda Palm.
    Die systematische Beraterin und Trauerbegleiterin Gerda Palm. (Michael Palm / privat)
    Das Motto: "Je abstrakter das für die Frau bleibt, umso einfacher ist es, wenn es verloren geht", sagt Gerda Palm über die Haltung vieler Ärzte.
    Das ändert jedoch nichts an den Gefühlen der Frauen, wenn die Diagnose lautet: Fehlgeburt
    Mediziner gehen davon aus, dass fehlgebildete Erbanlagen meistens der Grund für frühe Fehlgeburten sind. Auch Infektionen, Fehlbildungen der Gebärmutter, Hormon- oder Blutgerinnungsstörungen sowie Drogenmissbrauch können eine Schwangerschaft in den ersten drei Monaten beenden. Wo fängt man da bei der hochkomplexen Suche nach Ursachen an? Bei der Frau, dem Mann oder dem Embryo?
    Da ein bis zwei Fehlgeburten für die Ärzte normal sind, raten diese einem Paar erst ab der 3. Fehlgeburt infolge, dem habituellen Abort, zu einer "genetischen Beratung". Die elterlichen Genstrukturen werden hierbei auf Unregelmäßigkeiten untersucht. Ein teures Verfahren, das je nach Ergebnis weitreichende Folgen für ein Paar haben kann.
    Genetische Untersuchungen des Embryos hingegen sind sehr viel schwieriger, denn zunächst einmal muss Gewebe überhaupt vorhanden sein. In Kliniken oder Praxen werden dafür nötige operative Entfernungen - auch Ausschabung genannt - bis circa zur 13. Schwangerschaftswoche vorgenommen. In einer späteren Schwangerschaftswoche und je nach Größe des Embryos wird mit wehenfördernden Mitteln eine Geburt eingeleitet.
    Nun kommen laut Professor Goecke zwei Gründe hinzu, warum eine Genanalyse in dem frühen Zeitraum kaum Aussagen für zukünftige Schwangerschaften liefert: Als erstes ist entscheidend, ob der Embryo schon länger verstorben ist. Ist dies der Fall, kann hieraus keine aussagekräftige Zellkultur mehr angelegt werden.
    Ein zweiter Grund ist, dass genetische Veränderungen in der Frühschwangerschaft oft spontan entstehen. Es können somit nur Ursachen für die aktuelle Fehlgeburt, aber nicht für die Zukunft gemacht werden. Und drittens ist da auch noch der Faktor Geld: Solch teuren Untersuchungen sind nicht in den Fallpauschalen der Praxen oder Krankenhäuser inbegriffen.
    Die genauen Ursachen lassen sich folglich schwer bis gar nicht herausfinden. Damit müssen trauernde Eltern klarkommen.
    Seit 1988 unterstützt Gerda Palm Frauen und Paare mit fehl- und totgeborenen Kindern. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung, weiß sie, wie wichtig der offene Umgang mit Verlust und Trauer auch in der Frühschwangerschaft ist.
    "Das wird weggeschmissen. Es wär halt Müll."
    Sie sagt: "Für die Eltern ist das ihr Kind – von Anfang an. Das Ausmaß der Trauer oder des Leidens um den Verlust hängt ja nicht von der Schwangerschaftswoche ab, oder wie groß das Kind ist oder wie weit entwickelt. Das macht das Ganze ja auch so schwierig. Die Frauen trauern ja um ein Phantom. Es gibt ja nichts Fassbares und Greifbares und deswegen ist es auch ganz wichtig, dieses kleine Wesen so zum Kind werden zu lassen."
    Das sah der Gesetzgeber bis 2013 aber anders. Im § 31 der Personenstandsverordnung hieß es:
    Absatz 2: "...beträgt das Gewicht der Leibesfrucht jedoch mindestens 500 Gramm, gilt sie im Sinne des § 21 Abs. 2 des Gesetzes als ein tot geborenes Kind."
    Absatz 3: "...beträgt das Gewicht der Leibesfrucht weniger als 500 Gramm, handelt es sich um eine Fehlgeburt. Sie wird in den Personenstandsregistern nicht beurkundet...."
    Als Konsequenz für die Eltern bedeutete die 500g Grenze: ein totgeborenes Kind galt als juristische Person und musste beerdigt werden. Die Eltern erhielten eine Geburts- und Sterbeurkunde und einen offiziellen Ort zum Trauern.
    Eine Fehlgeburt dagegen war rechtlich keine Person. Sie existierte als Mensch nicht - Friedhöfe waren nicht zur Bestattung verpflichtet. Die Entsorgung erfolgte innerhalb der Klinik oder Praxis zusammen mit anderem Humanmaterial.
    Caroline erzählt: "Ich musste dann auch so diese Tabletten nehmen, dass der Muttermund sich öffnet und dann geht das bei mir recht schnell und dann hatte ich halt den Embryo, das musste ich auffangen in'ner Schale auf Toilette und dann sah man halt da so'nen kleinen Embryo. Da war ich halt schon geschockt, als ich das dann gesehen habe. Also das war für mich das Schlimmste bei der ersten Fehltgeburt. Und dass dann eben die Krankenschwester meinte, das wird weggeschmissen. Es wär Müll halt."
    Seit Mai 2013 hat sich das geändert. Aufgrund der Initiative eines betroffenen Paares mit Unterstützung des Bundesverbandes Verwaister Eltern Deutschland e.V. wurde das Personenstandsrecht angepasst.
    "Die Frauen Nicht noch mehr ängstigen"
    Die sogenannten "Sternenkinder" sind seit dem Rechtspersonen. Individuelle Beerdigungen und halbjährliche Sammelbestattungen auf vielen Klinikfriedhöfen sind gesetzlich geregelt. Für betroffene Eltern ein längst überfälliger Schritt. Eine Wandel, der im Alltag bei vielen Ärzten und dem Pflegepersonal jedoch immer noch zu langsam voranschreitet.
    Caroline sagt: "Der hat auch nicht mal mit mir darüber geredet, das könnte jetzt das und das gewesen sein. Natürlich ist das immer alles vage, aber er ist auch auf nichts eingegangen. Er war mehr einfach ein Schulterzucken und ,so iss halt passiert'. Das haben viele, jetzt regen Sie sich mal nicht auf, so. Weitere Untersuchungen, das wollte der halt gar nicht. Erst als ich nach der 2. FG gesagt habe, ich will jetzt irgendetwas testen lassen, da hat der das dann auch gemacht. Aber nur, weil ich das wollte."
    Dazu die Frauenärztin Annelie Schwedt-Heinen: "...die Krankenkassen sagen, Fehlgeburten sind häufig und einmal ist keinmal. Was medizinisch ja stimmt. Für die Frauen ist es anders, aber wir werden in Pauschalen bezahlt und je häufiger die Patientin kommt umso mehr mache ich umsonst. Am Besten ist die Patientin, die einmal kommt und wo alles gemacht wird, weil ich ja nur einmal die Pauschale abrechnen kann."
    So erklärt sich Schwedt-Heinen die Haltung vieler ihrer Kollegen. Strikte Budgetierung und die Schwierigkeit der Ursachenklärung erklären aber nur zum Teil, warum viele Frauen die Kommunikation mit Ärzten oder Pflegepersonal als unsensibel empfinden. Wie sieht es in diesem Punkt bei der psychologischen Fortbildung dieser Berufsgruppen aus? Dazu Professor Goecke, Leiter der Pränatalmedizin und Speziellen Geburtshilfe am Universitätsklinikum Aachen:
    "Wir machen die entsprechende Fortbildung für unser Personal hier aber insgesamt muss man sagen es wird noch zu wenig für das Pflegepersonal getan. Was ich auch meinen Assistentinnen und Assistenten sage: genau diese Patientinnen, die eine solche Verlusterfahrung in der Schwangerschaft schon mitmachen mussten, dass die natürlich ganz sensibel schon auf Kleinigkeiten reagieren. Dass man da besonders drauf eingehen sollte, wenn man merkt da brodelt irgendwas und dann durchaus einen Ultraschall mehr anbietet. Die dürfen dann auch gerne jede Woche kommen, man will das Ganze aber nicht zu sehr pathologisieren."
    Goecke und das Team der Klinikseelsorge arbeiten eng mit Gerda Palm zusammen. Gemeinsam haben sie eine Informationsmappe entworfen. Auf knapp 20 Seiten werden hier sehr persönlich Bedürfnisse angesprochen und konkret Hilfsangebote aufgelistet. Gerda Palm stößt mit ihrem Anliegen, dieses Material auch anderen Ärzten zur Verfügung zu stellen, eher auf Widerstand.
    "Wenn man die Ärzte dann fragt, die niedergelassenen, dann sagen die: Wir wollen die Frauen nicht noch mehr ängstigen. Die meisten Frauen heute, die schwanger sind, die haben schon 100.000 Ängste. Viele Frauen sagen dann auch, wir sind auf alles vorbereitet worden, aber dass es schiefgehen könnte, da hat irgendwie keiner von gesprochen."
    Prof. Dr. med. Tamme Goecke. Er ist Frauenarzt, Universitätsprofessor und Leiter der Pränatalmedizin und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Aachen.
    Prof. Dr. med. Tamme Goecke. Er ist Frauenarzt, Universitätsprofessor und Leiter der Pränatalmedizin und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Aachen. (Kommunikationsabteilung UK Aachen)
    Goecke ergänzt: "Es ist ein großes Tabu, denn das will keiner wahrhaben. Eine Schwangerschaft (*) ist assoziiert mit schönen Gedanken und etwas Fröhlichem und dass da eben am Ende Kinder bei herauskommen, die ein schönes Leben haben."
    Verhütung, Scheidenpilz, Rauchmelder. Einige der vielen Themen zu denen Faltblätter offen ausliegen. Aber selten etwas zu glücklosen Schwangerschaften.
    Ärzte entscheiden also mehr oder weniger bewusst, welche Informationen Frauen generell zuzumuten sind und welche nicht. Es wird unterschätzt, dass die Macht der Gefühle oft viel später über die betroffenen Frauen hereinbricht.
    Gerda Palm sagt: "Es ist ja auch so bei frühen Fehlgeburt heutzutage, das wird ambulant gemacht oder die Frau bleibt höchstens ein, zwei Tage im Krankenhaus und da wird auch oft gar nicht deutlich, dass sie trauert. Aber dann zuhause in der gewohnten Umgebung, wo man dann so das Leben mit dem Kind immer geplant und sich so vorgestellt hat, da wird das vielmehr spürbarer, was fehlt und was man jetzt nicht mehr erwartet."
    Bis eine Fehlgeburt verarbeitet, ist braucht es Zeit. Denn nicht nur die verwundete Gebärmutter muss heilen - die Seele muss es ebenso.
    Die Suche nach dem richtigen Moment
    Anders als früher gehen Paare eine Schwangerschaft heutzutage ganz bewusst an. Ein Begriff wie "Familienplanung" täuscht vor, dass das Kinderkriegen zwischen Ausbildung, eventuell Studium und Jobanfang als eine berechenbare biografische Größe wahrgenommen wird. Der "richtige Moment", um zum ersten Mal Mutter zu werden liegt heute bei durchschnittlich 31 Jahren. Anfang der 90er waren die Frauen hierzulande noch drei Jahre jünger. Mit zunehmendem Alter steigt aber auch das Risiko einer Fehlgeburt.
    Nina: "Und eigentlich war das in den Wochen danach für mich ziemlich schlimm, als Leute gesagt haben: Ach, Sie können noch ein Kind bekommen, Sie sind jung. Weil in dem Moment geht es gar nicht darum. Es geht darum, dass ich trauere um ein verstorbenes Kind."
    Das Umfeld wertet und stellt Vergleiche an. So entsteht eine Art "Trauer-Ranking": Je mehr etwas für Außenstehende sichtbar war, umso eher wird Trauer um den Verlust darum akzeptiert. Vom Umfeld, aber auch von den Frauen selbst:
    Caroline erinnert sich: "Da habe ich noch gedacht: Das schaffe ich schon alleine, das brauche ich nicht. Da war ja auch noch dieses Gefühl: naja, es ist ja kein totgeborenes Kind in dem Sinne. Das ist ja keine echte Trauer. Die trauern richtig und bei mir ist das ja gar nicht so."
    Aufkommende Trauergefühle besser zu unterdrücken: so empfand auch Nina. Eine Freundin ermutigte sie aber, zu ihren Gefühlen zu stehen. "Erst in dem Gespräch mit ihr habe ich laut gesagt "mein Baby"...Und das war sehr schwierig, weil alles was man denkt und was man spürt im Gegensatz steht zu dem, was die Norm in der Gesellschaft ist und was man darüber spricht. Und ich habe mir das selber verboten das so zu denken weil ich denke ich dachte, das ist nicht richtig. Das darf man nicht, aber die Gefühle in mir haben genau das bestätigt."
    Immer wieder die Frage: Ist das überhaupt schon ein Kind? Und wer bestimmt eigentlich, ob Trauer hier angemessen ist? Genau an dem Punkt setzt Gerda Palm an. Sie ist überzeugt davon, "...dass diese Trauergefühle auch dazu angetan sind auch wieder heil zu werden. Dass man die auch leben muss ungeachtet dessen, wie das Umfeld darauf reagiert. Die meisten Frauen kommen ja und sorgen sich darum, ob das, was sie empfinden, überhaupt angemessen ist. Das heißt erst mal versuche ich dabei zu helfen, dass sie wirklich ihre Trauer zulassen und auch vielleicht eine zeit lang darin versinken und jetzt nicht auf die Schnelle etwas machen, damit das aufhört."
    Wie nimmt man Abschied von etwas, was man nicht begrüßen konnte?
    Selber aktiv werden, sich nach der ersten Schockstarre an einen Alltag ohne die "Idee: Baby" gewöhnen. Das bedeutet, sich vom schmerzhaften Teil dieser Idee zu verabschieden.
    Nur: Wie nimmt man Abschied von etwas, was man nicht begrüßen konnte, weil es für die Welt nicht existierte?
    Nina sagt: "Ich hab gesagt, ich muss für mich, einen Namen geben, aber kam mir ein bisschen blöd vor. Weil der überwiegende Eindruck von dieser Erfahrung war es, dass dieses Baby mir so viel geschenkt hat, dass ich gedacht hatte: Ich werde ihm einen Namen geben und dieser Name heißt: Geschenk."
    Es mag wie eine Kleinigkeit wirken, aber dadurch dass Nina ihrem Kind einen Namen gab, machte sie das Unfassbare für sich fühlbar. Sie hat ihr Ritual gefunden, um loslassen zu können. Niemand, der das nicht selbst erlebt hat, kann das nachvollziehen. Freunde und Bekannte sind oft unsicher im Umgang. Dabei kann es scheinbar so einfach sein.
    Caroline erzählt: "Wenn einfach mal jemand zuhört, dann fühlt sich das so an, da hat es was gegeben. Da gab es was Wichtiges und das ist jetzt nicht mehr da. Es ist nicht einfach nur weggewischt. Das hätte mir geholfen."
    Nina sagt: "Alles was hilft, ist wenn jemand mit Dir weint oder sagt: Es tut mir wirklich leid. Also die beste Frage war immer: Wie geht es Dir? Erzähl mir davon, wenn Du möchtest. Weil für mich davon zu erzählen, war sehr hilfreich und schön. Einfach so zu tun, als ob dieses Kind nie existiert hat. Das wollte ich nicht."
    Carolines fünfte Schwangerschaft endete glücklich. Die Familie ist nun zu viert. Nina und ihr Mann wurden Eltern eines gesunden Kindes.
    Die verstorbenen ungeborenen Kinder der zwei Paare sind zu einem Teil ihrer ganz eigenen Familiengeschichten geworden.
    (*) Hier wurde eine Abkürzung der Autorin für das Wort Schwangerschaft korrigiert.