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Fetullah Gülens Hizmet-Bewegung
Islamische Bekehrung oder offenes Dialogforum?

Der muslimische Prediger Fetullah Gülen stammt aus der Türkei. Die Hizmet-Bewegung des Gegners von Staatspräsident Erdogan ist aber weltweit aktiv, betreibt auch in Deutschland Bildungseinrichtungen. Doch nicht nur hier wächst die Kritik. Stichwort: mangelnde Transparenz.

Von Ulrich Pick | 02.01.2015
    Die Stuttgarter Bil-Schule ist Bildungszentrum mit drei verschiedenen Schultypen im Stadtbezirk Bad Cannstatt. Sie ist eine private Ganztagsschule. Gegründet wurde sie vom aus der Türkei stammenden Industriemechaniker und Pädagogen Muammer Akin:
    "Wir haben vor zehn Jahren angefangen mit der Realschule und dem Gymnasium. Seit einem Jahr haben wir das Wirtschaftsgymnasium im Hause. Und insgesamt sind es 430 Schüler. Wir haben einen hohen Anteil an Migranten, so wie es in Stuttgart oft üblich ist. Also, der geht so Richtung 80, 90 Prozent etwa."
    Mit seiner Schulgründung wollte Muammer Akin zur Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund beitragen. Denn diese, so sagt er, würden im staatlichen Schulsystem aufgrund mangelnder Betreuung und Förderung allzu oft auf der Strecke bleiben. Seinen Einsatz darf man als weitgehend gelungen bezeichnen, denn in der Bil-Schule schneiden sogenannte Gastarbeiterkinder überdurchschnittlich gut ab. Geistiger Pate des Projektes war der in den USA lebende Prediger Fethullah Gülen, der bereits vor Jahrzehnten in seiner türkischen Heimat Schulen statt Moscheen forderte. Obgleich Akin eine geistige Nähe zu den Ideen des islamischen Gelehrten nicht abstreitet, möchte er seine Schule dennoch nicht als Gülen-Schule bezeichnet wissen. Das suggeriere, betont er, eine verzerrte Perspektive:
    "Wir wehren das erst einmal ab, weil wir eine Stuttgarter Schule sind, die aus der Notwendigkeit hier im Umfeld entstanden ist. Der Bezug zu Gülen wird eher von Externen hier hineingetragen als das wir das selber thematisieren hier. Wir arbeiten nach den Bildungsplänen des Landes Baden-Württemberg und auf der Grundlage des Schulgesetzes hier, und das spielt auch in der Schule keine Rolle."
    Heimliche Islamisierung der Welt?
    Fethullah Gülen, dem Kritiker vorwerfen, er wolle die Welt heimlich islamisieren und verfüge über erhebliche Finanzressourcen ungeklärter Herkunft, ist einer der einflussreichsten muslimischen Gelehrten weltweit. 1941 in der osttürkischen Provinz Erzurum geboren, stand er lange als Imam im Dienst der staatlich-türkischen Religionsbehörde, die er Anfang der 80er-Jahre verließ und als freiberuflicher Prediger arbeitete. Seit 1999 lebt er in den USA. Gülen versucht, einen konservativen Volksislam türkischer Prägung mit zeitgemäßer Bildung und wirtschaftlichem Erfolg zu verbinden. Als Probleme der Muslime erachtet er nicht das Christentum oder die sogenannten imperialistischen Amerikaner, sondern Unwissenheit und Armut.
    Entsprechend wurde er zum Initiator einer großen islamischen Bildungsbewegung, die mittlerweile Schulen in mehr als 140 Ländern errichtet hat. Baute man anfangs vor allem Gymnasien und Nachhilfeeinrichtungen, gibt es mittlerweile auch Kindertagesstätten und Realschulen. Darüber hinaus unterhält man Fernsehsender, Radiostationen, Zeitungen und anderes mehr, denn Kommunikation und Dialog will die Bewegung großgeschrieben wissen. Die Anhänger Fethullah Gülens arbeiten weltweit als Netzwerk unter der türkischen Bezeichnung Hizmet, was im Deutschen so viel wie Dienst bedeutet. Ansprechpartner in Deutschland ist vor allem die in Berlin ansässige Stiftung Dialog und Bildung – besonders ihr Vorsitzender Ercan Karakoyun:
    "Also ganz einfach gesagt, ist Hizmet eine Gemeinschaft von Menschen, die versuchen, soziale Verantwortung zu übernehmen für die Gesellschaft. Und das tun sie inspiriert von den Ideen des muslimischen Gelehrten Fethullah Gülen. Es ist ein loses Netzwerk. Wir wissen natürlich wie viele Vereine es gibt, es sind etwa 150 Nachhilfeinstitutionen, es gibt etwa 25 Schulen in Deutschland und etwa 15 Dialogvereine, die sich im Dialogbereich engagieren."
    Da die Gülen- oder Hizmet-Bewegung lediglich ein loses Netzwerk sei, gebe es von ihr, so heißt es, kein Organigramm. Natürlich kenne man sich untereinander weitgehend, dennoch aber seien die einzelnen Vereine auf lokaler Ebene autonom und keiner zentralen Leitungsebene verpflichtet. Entsprechend könnten auch keine genauen Angaben gemacht werden, wer alles zum Netzwerk gehöre, sagt Eyüp Besir, Vorstandsmitglied im Forum für Interkulturellen Dialog Hessen in Frankfurt am Main:
    "Es gibt keine Mitgliedschaft, es gibt keine Registrierung der Menschen, die sagen, ich bin Hizmet-nah oder ich bin nicht Hizmet-nah. Es gibt Menschen, die ihre Kinder zum Beispiel auf Einrichtungen schicken, die von Hizmet-nahen Menschen gegründet sind, aber persönlich eigentlich mit Hizmet nichts zu tun haben. Deshalb ist es sehr schwierig, zu sagen, wer ist Hizmet-nah und wer ist nicht Hizmet-nah. Und jetzt eine spekulative Zahl zu nennen, wäre auch nicht richtig."
    Ähnlich antwortet Ercan Karakoyun auf Fragen, die sich auf das Finanzgebaren der Gülen-Bewegung beziehen. Ein gemeinsames Vermögen des Netzwerkes gebe es nicht, sagt er, weshalb er auch keine konkreten Zahlen nennen könne. Man sei schließlich nur lose miteinander verbunden und handle dezentral.
    "Hizmet finanziert sich über eigenständige Vereine, die lokal entstanden sind. Von daher finde ich es auch ganz normal, dass sie ihre eigene Finanzierung haben. Sie haben ihre Mitglieder, sie haben ihre Sponsoren, sie haben ihre Spender und sind eigenverantwortlich für ihre Arbeit sozusagen. Und das, was sie dann erreichen müssen, ist, dass sie das Vertrauen der Spender gewinnen."
    Grundzüge der Gülen-Bewegung
    Schaut man sich die ethischen Handlungsimpulse der Gülen-Bewegung an, sieht man, dass sie sich aus dem Koran, aus den Handlungen des Propheten Mohammad sowie aus den Schriften des osmanisch-türkischen Sufi-Gelehrten Said Nursi ableiten. Konkret spielen drei Begriffe eine zentrale Rolle. Sie stammen alle aus dem Türkischen. Da ist als Erstes Müspet Hareket. Dies bedeutet so viel wie positives, konstruktives Handeln. Denn wichtiger, so heißt es, als über die Dunkelheit zu klagen, sei ein Licht aufzustellen. Der zweite Begriff ist Ihlas. Hiermit ist die innere Aufrichtigkeit des Handelns gemeint, die Reinheit der Intention. Der dritte Begriff lautet Allah rizasi: Das Wohlwollen Gottes, wie Eyüp Besir sagt.
    "Also, Allah rizasi oder das Wohlwollen Gottes ist für einen gläubigen Muslim natürlich das Höchste der Ziele. Und wir glauben, dass der Dienst an den Menschen auch der Dienst an Gott ist. Das ist halt die religiöse Motivation, warum ich persönlich jetzt mich für die Gesellschaft einsetze."
    Die genannten Begriffe Müspet Hareket, Ihlas und Allah Rizasi beschreiben die individuelle, nach innen gerichtete Perspektive der Hizmet-Bewegung. Ergänzt werden sie durch eine gesellschaftlich-politische Perspektive. Diese zeigt sich vor allem durch ihr Engagement in Dialoggruppen und interreligiösen Foren, wie Ercan Karakoyun darlegt.
    "Also im Dialogbereich sieht das dann zum Beispiel so aus, dass sich Menschen mit Andersgläubigen treffen, dass sie Plattformen ausbilden, wo Juden, Christen, Muslime, Buddhisten, Atheisten und Aleviten auch zusammenkommen, wo sie sich austauschen und wo sie sozusagen einen Dialog starten. Wo sie sich gegenseitig kennenlernen. Und das versucht man dann zu erreichen durch unterschiedlichste Aktivitäten, die organisiert werden, wie zum Beispiel Konferenzen, Tagungen oder auch wie in Berlin, wo beispielsweise Juden, Christen und Muslime gemeinsam ein gemeinsames Bet- und Lehrhaus aufbauen werden."
    Prominente Unterstützung für Hizmet
    Ziel der Hizmet-Bewegung ist es, nicht nur eine zahlenmäßig große und gut gebildete Öffentlichkeit anzusprechen, sondern auch Kontakte zu prominenten Repräsentanten aus Politik und Religion aufzubauen und diese für die eigenen Projekte zu gewinnen. So sind beispielsweise im Beirat des Forum für Interkulturellen Dialog in Berlin der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel sowie der Direktor des Abraham-Geiger-Kollegs der Uni Potsdam, Rabbiner Walter Homolka. Diese Kontakte haben die Gülen-Anhänger zu einer der größten und einflussreichsten Gruppen mit türkisch-islamischem Hintergrund in Deutschland gemacht. Entsprechend sagt Professor Joachim Valentin, der Direktor des katholischen Zentrums Haus am Dom in Frankfurt an Main:
    "Von der Struktur her ist die Gülen-Bewegung eine solide arbeitende, große und nicht zu unterschätzende Gruppe in Deutschland türkischer Herkunft, die mit Multiplikatoren arbeitet, die sehr viele junge Studierende in ihren Reihen hat. Wenn man so will: eine Kaderschmiede der aufstiegswilligen türkischen Migranten islamischen Glaubens."
    Immer wieder ist Kritik an der Hizmet-Bewegung zu vernehmen. Zwar sei das Netzwerk keineswegs gefährlich, so heißt es, allerdings trete es oft in irritierender Weise mit unterschiedlichen Gesichtern auf. Und das bedürfe einer Klärung, sagt Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin.
    "Die Bewegung agiert intransparent. Das heißt, nach außen wird eben diese Offenheit und der Dialog interkulturell und so weiter gestellt, nach innen ist es ein doch straff, auch hierarchisch organisierte Bewegung, die ganz klare religiöse Ziele hat und das auch formuliert. Also wenn man die Schriften zur Kenntnis nimmt – es ist nur die Frage, wer das tut?"
    Noch deutlicher formuliert es der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban. Für ihn gehört die Gülen-Bewegung zum politischen Islam. Sie unterscheide sich zwar von der dort üblichen Parteiarbeit islamistischer Organisationen, verfolge aber letztlich ähnliche Ziele:
    "Der Dienst am Menschen bei denen bedeutet auf keinen Fall Nächstenliebe, wie wir das im Christentum verstehen, sondern das Heil der Menschen - wie im klassischen Islam - findet man erst dadurch, dass man in diesem Leben die Sharia-Vorschriften einhält. Und das ist etwas, was Gülen selber sagt und das ist keine Interpretation. Ihr Ziel ist es, langfristig einen Shariastaat zu errichten genau wie die andern."
    Ist für die dialogfreudige Gülen-Bewegung wirklich das islamische Gesetz die eigentliche Messlatte? Will sie tatsächlich die Sharia einführen? Konfrontiert man ihre führenden Mitglieder mit diesen Fragen, so fällt die Antwort relativ kurz aus wie bei Eyüp Besir, dem Vorstandsmitglied des Forum für Interkulturellen Dialog in Frankfurt:
    "Also das Wort oder das Thema Sharia ist innerhalb der Hizmet-Bewegung eigentlich kein Thema. Weil schon Nursi vor hundert Jahren gesagt hat: Es ist viel wichtiger, dass der Mensch moralisch und ethisch sich entwickelt."
    Dennoch hält Ralph Ghadban seine Kritik aufrecht. Die Hizmet-Bewegung, sagt er, wolle weniger einen Dialog und Brückenschlag zwischen den Religionen als vielmehr ihr eigenes islamisches Gedankengut in die Gesellschaft bringen.
    "Hizmet bedeutet nach Fethullah Gülen der Dienst an den Menschen. Und der findet erst statt, wenn man ihnen den Islam beibringt oder sie dazu bewegt, nach den Vorschriften der Sharia zu handeln. Damit erreichen sie ihr Seelenheil, das heißt: Die Bewegung ist im Grunde genommen im wesentlichen eine missionarische Bewegung."
    Dass sie missionieren wollen, bestreiten aber die Anhänger des islamischen Predigers. Gerade mit Blick auf die zahlreichen Schulen der Gülen-Bewegung gebe es überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür, entgegnet Ercan Karakoyun, der Vorsitzende der Berliner Stiftung Dialog und Bildung:
    "Es hat bisher keinen einzigen Fall gegeben, wo zum Beispiel Eltern sich beschwert haben sollen, dass irgendwelche Kinder konvertiert sein sollen. Das heißt: Das ist für mich eigentlich ein Zeichen dafür, dass es da nicht um Islamisierung geht, sondern einfach um die Vermittlung von Wissen."
    Lichthäuser sind umstritten
    Allerdings wollen gewisse Hinweise nicht verstummen, dass zu den Aktivitäten der Bewegung auch eine gezielte islamische Indoktrination gehört. Diese soll zwar nicht in den Schulen stattfinden, wohl aber in Einrichtungen, die mit den Schulen in Verbindung stehen und für Nichtmuslime im Grunde genommen unzugänglich sind: den sogenannten Lichthäusern. Ercan Karakoyun hält diese Behauptung für überzogen:
    "Also Lichthäuser, das ist eine Metapher, die Gülen mal in den 70er-Jahren in einer seiner Predigten verwandt hat, um zu beschreiben, dass Menschen, wenn sie in ihrer Wohnung Gott predigen sozusagen, dass dort dann auch Gott auch dort anwesend ist. Also auch ein Prinzip, das auch im Christentum und auch im Judentum überhaupt nicht unbekannt ist. Heute, würde ich sagen, sind das ganz normale WGs, in denen junge Muslime zusammenwohnen, die gemeinsam beten, wie es im Islam üblich ist. Die gemeinsam dann über bestimmte Themen diskutieren und, natürlich, dem gemeinsamen Bildungsideal Hizmets entsprechend auch, sich versuchen für die Gemeinschaft zu engagieren."
    Trotz dieser Erklärungen aber herrscht unter Experten, die sich intensiv mit der Gülen-Bewegung auseinandergesetzt haben, nach wie vor Diskussionsbedarf. Es würden nämlich, sagt Friedmann Eißler von Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, nach wie vor einige Irritationen bestehen in Bezug auf die Position Gülens und seiner Anhänger zu den Werten der modernen Gesellschaft:
    "Das betrifft etwa das Verständnis von Demokratie, von Religion und Politik oder Gewaltenteilung etwa, und das betrifft auch individuelle Menschenrechte etwa wie die Religionsfreiheit."
    Hauptkonfliktpunkt hierbei ist vor allem das Problem der Apostasie – des sogenannten Abfalls vom Glauben. Denn immer wieder stellen Kritiker die Frage, ob sich Fethullah Gülen und die Hizmet-Bewegung tatsächlich und uneingeschränkt für das Recht auf eine freie Religionswahl aussprechen. Anlass hierzu war eine Äußerung des islamischen Gelehrten, die sich in seinen Werken findet und Zweifel an dieser Haltung aufkommen lässt, da er dort Apostasie mit Hochverrat vergleicht. Ercan Karakoyun hält diesen Fall für geklärt:
    "Also in Bezug auf Apostasie zum Beispiel sehe ich ganz klar, dass Gülen für die Religionsfreiheit ist. Das hat er in zahlreichen Interviews ganz klar beantwortet, und hat sich ganz klar dafür ausgesprochen, dass jeder Mensch seine Religion wechseln kann, wie er will."
    Zudem wird auf das Anfang Oktober in deutscher Sprache erschienene Buch des Predigers mit dem Titel "Was ich denke, was ich glaube" hingewiesen, in dem der islamische Gelehrte sich ebenfalls uneingeschränkt für die Religionsfreiheit stark macht. Dieser Hinweis will Friedmann Eißler jedoch nicht überzeugen. Denn nach wie vor, so sagt er, seien auch ältere Schriften Fethullah Gülens mit anderen Inhalten im Umlauf:
    "Wenn die Anhängerinnen und Anhänger sagen, Gülen versteht das aber heute ganz anders, dann darf es meines Erachtens nicht auf Deutsch unkommentiert in Offenbach 2012 und 2013 gedruckt werden und verbreitet werden, das heißt, die Positionen, die dort zu lesen sind, die sollen ja doch auch Fuß fassen in Deutschland."
    Ercan Karakoyun wiederum will diese Argumentation nicht akzeptieren. Denn er wittert hinter der Position Eißlers eine gewisse Haarspalterei und fordert deshalb mehr Augenmaß in der Auseinandersetzung.
    "Es ist nicht fair, wenn man Zitate aus dem Zusammenhang reißt. Das heißt: Ein Gülen kann natürlich in den 60er-Jahren Sachen gesagt haben über bestimmte Themen, die heute nicht mehr gültig sind. Was ich da verlange, ist, dass sich die Kritiker den Werken Gülens nicht wie Salafisten nähern, das heißt, nur das Wort sehen, sondern dass sie verstehen, dass das Ganze auch in einem Umfeld, in einer Region, in einer bestimmten Zeit veröffentlicht wurde."
    Diskussion um Aussagen Gülens
    Dass gewisse, heute diskussionsbedürftige Aussagen Gülens in ihren inhaltlichen wie zeitlichen Zusammenhängen zu sehen sind, bestreitet Friedmann Eißler nicht. Es sei aber zu wenig, sagt er, wenn Ercan Karakoyun die Schwierigkeiten alter, problematischer Passagen aus dem Werk Gülens mit dem Hinweis auf aktuelle Interviews des Gelehrten als im Grunde genommen erledigt erklären wolle.
    "Das ist für mich Teil eben der Intransparenz. Ich frage, warum wird dann zur gleichen Zeit Material auf Deutsch gedruckt eben nicht revidiert und nicht kommentiert, das dem entgegen steht. Ich sehe eine Diskrepanz. Schauen Sie in die die Koranausgabe des Ali Ünal mit der Kommentierung. Das ist haarsträubend, was da steht zur Polygamie, zur charakterlichen Schwäche der Frau, die die Unterstützung des Mannes braucht - und das ist die Ausgabe, die groß beworben wurde und breite Verwendung in der Bewegung findet."
    Mit seinem Vorwurf, die Bewegung agiere intransparent, ist Friedmann Eißler mittlerweile nicht mehr alleine. Auch von anderen Personen, die Hizmet durchaus mit Offenheit gegenüber stehen, ist immer öfter zu vernehmen, sie möge zu Fragen hinsichtlich der eigenen Struktur und Vorgehensweise unmissverständlich Position beziehen. So lässt derzeit beispielsweise Professor Joachim Valentin, der Direktor des katholischen Zentrums Haus am Dom in Frankfurt, als Zeichen des Protests sein Mandat im Beirat des Forums für Interkulturellen Dialog Hessen ruhen. Er spricht von Verschleierungsmanövern der Hizmet-Bewegung und fordert:
    "Bitte beantwortet die Fragen bezüglich der Lichthäuser, bezüglich der Geschlechtertrennung, bezüglich der angeblichen ideologischen Indoktrinierung von jungen Menschen, aber auch, was die Offenlegung eurer internen Organisationsstruktur angeht. Wer hat bei euch eigentlich das sagen, wie kommuniziert ihr untereinander, woher kommt das Geld? All diese Fragen sind im Grunde bis heute nicht schlüssig beantwortet. Und das waren Gründe für mich, hier dieses Zeichen zu setzen."
    Inzwischen sind auch wohlwollende Politiker wie Rita Süßmuth und Omid Nouripour auf Distanz zur Gülen-Bewegung gegangen. Die ehemalige Bundestagspräsidentin der CDU und der Außenpolitiker der Grünen haben beide – wie Joachim Valentin – ihre Mandate in den Beiräten der Foren für Interkulturellen Dialog ruhen lassen. Rita Süßmuth in Berlin, Omid Nouripour in Hessen. Ob diese Schritte etwas in der Hizmet-Bewegung ausgelöst haben, ist bislang nicht bekannt. Ercan Karakoyun gibt sich aber nachdenklich:
    "Ich glaube, dass wir eine sehr schwer verständliche Bewegung sind. Weil wir sind zum einen muslimisch. Dann sind wir Türkei-stämmig. Diese Faktoren machen sehr schwierig, Hizmet zu verstehen. Und das, was wir halt erreichen müssen, ist wirklich, auf die Leute zuzugehen, Hizmet zu erklären. Wir müssen die Menschen in die Schulen einladen. Wir müssen die Menschen in die Nachhilfezentren einladen. Wir müssen die Menschen in unsere Vereine einladen, damit sie sehen, dass das Institutionen sind, die wichtige Beiträge im Bildungsdialog und im Bereich des Zusammenlebens in Deutschland leisten."
    Es bleibt also abzuwarten, ob es in absehbarer Zeit gelingt, die bestehenden Probleme zur Zufriedenheit aller Beteiligten zu lösen. Dabei geht es keineswegs um die Verurteilung von Personen und Gruppen, sondern um klare Antworten auf drängende Fragen. Dies heißt aber nicht automatisch, dass diese Klärung auch ein schmerzfreier Prozess wird – unterstreicht abschließend Friedmann Eißler:
    "Es bedarf keiner Stigmatisierung und keiner Abgrenzung. Es ist keine gefährliche Bewegung, die sozusagen abgelehnt werden muss. Wir brauchen aber hier Anstöße von außen. Auch Kirchen haben sich gelegentlich nur unter Schmerzen und Schwierigkeiten bewegt auf deutliche Anstöße von außen."