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Filmemacher Peter Scharf
Vom Gegenwert eines Menschen

"Ein Mann von 40 ist im Normalfall mehr wert als eine Frau von 40", sagte der Filmemacher Peter Scharf im DLF - und gibt damit keinesfalls seine persönlich Meinung wieder. In seiner Dokumentation "Was bin ich wert?" zeigt der Kölner vielmehr, wie der Wert einzelner Menschen auf Euro und Cent berechnet wird - von Politikern, Ärzten und Anwälten.

Peter Scharf im Gespräch mit Susanne Luerweg | 30.09.2014
    Geldscheine in zwei Händen
    Peter Scharf: "Ein, sagen wir mal, 60-Jähriger, der auf die Rente zusteuert, ist wesentlich weniger wert als ein 25-Jähriger, der gerade von der Harvard-University kommt." (dpa picture alliance/ Boris Roessler)
    Susanne Luerweg: Eine Niere für 3.000 Euro, ein Büschel Haare für 60 und ein Rücken, der als Leinwand dient, für 50.000 Euro – "Was bin ich wert", fragt der Kölner Filmemacher Peter Scharf in seiner gleichnamigen Dokumentation. Er besucht Nierenspender in Moldawien, ukrainische Frauen, die ihr Haar opfern, und einen jungen Schweizer, der seinen Rücken einem Künstler verkauft hat. Und er versucht, seinen eigenen Körper zu Geld zu machen. Im Selbstversuch spendet Peter Scharf sein Blut, versucht seinen Samen und seine Haare gewinnbringend zu veräußern. Er trifft in Amerika Rechtsanwälte und Richter, die über den Wert des Menschen in Zahlen befinden. "Was bin ich wert" entführt uns in eine Welt, in der Menschen auf Euro und Cent ziemlich genau durchkalkuliert werden. Und jetzt ist Peter Scharf unser Gast im Studio zum "Corso"-Gespräch. Schönen guten Tag!
    Peter Scharf: Ja, schönen guten Tag!
    Luerweg: Herr Scharf, die Frage, was bin ich wert, die ist riesig. Kann man die überhaupt beantworten, in einem Film?
    Scharf: Man kann es zumindest versuchen. Man kann sich das sozusagen als ein Spielbein ausdenken und einfach mal mit dieser Frage loslaufen. Ja, kann man machen.
    Luerweg: Losgelaufen sind Sie aber – also, der Auslöser war ein Buch, das heißt genauso, "Was bin ich wert?", und eigentlich eine persönliche Krankheit.
    Scharf: Ja, deswegen kann man ja auch von losgehumpelt dann besser sprechen. Also, tatsächlich habe ich ein Buch und verschiedene Artikel gelesen, die sich mit diesem Thema befasst haben, und ich fand das direkt extrem interessant. Zugleich gab es dann die Situation, das ich operiert wurde, eine Operation nicht besonders gut gelungen war, ich sehr eingeschränkt war, eigentlich meinen Beruf als Journalist und Filmemacher nicht mehr nachgehen konnte und so natürlich diese Frage nach meinem eigenen Wert, so im Sinne des Selbstwerts und des Selbstwertgefühls, sich einfach mal gestellt hat. Und das war eigentlich der Auslöser.
    Luerweg: Weil tatsächlich sinkt der Selbstwert in dem Moment, wo man feststellt, man kann gar nicht mehr arbeiten, oder?
    Scharf: Ja, ich glaube, der Selbstwert sinkt absolut mit dem Verlust von Arbeit oder mit der Möglichkeit, sie nicht mehr auszuführen. Aber natürlich hängt da auch unheimlich viel dran. Wenn du Kinder hast, du kannst möglicherweise für die Kinder nicht sorgen – das ist natürlich alles, was dich in deinem Selbstwertgefühl unglaublich nach unten drückt.
    Luerweg: Aber die Tatsache, dass Sie in Ihrem Film sich selbst so in den Mittelpunkt gestellt haben und tatsächlich loslaufen oder loshumpeln und sagen, ich versuche mal, meinen Samen zu spenden, oder möchte vielleicht noch jemand meine Haare haben – war das von vornherein Idee und Absicht des Films?
    Scharf: Ein Film, der, sagen wir mal, sehr stark mit Zahlen operiert, mit ökonomischen Theorien, hat ja immer die Problematik, welche Bilder zeige ich eigentlich. Insofern war das auch ein dramaturgischer Kniff, zu sagen, ich stelle mich selber in den Mittelpunkt, ich gehe von A nach B. So habe ich direkt irgendetwas, was die Zuschauer mitnimmt mal wirklich, im wahrsten Sinne des Wortes. Also im Prinzip wollte ich eigentlich einen Film machen, der sich mit diesen ökonomischen Theorien auseinandersetzt, und habe dann gemerkt, ich brauche eigentlich ein Bindemittel, was auch ein emotionales Bindemittel – und dann bin ich auf die glorreiche Idee gekommen, dass ich das dann wohl selber sein sollte.
    Luerweg: Sie sind dann tatsächlich nach Moldawien gereist, Sie sind in die Ukraine gereist. Sie sind nicht nach Indien oder Afrika gereist. Das würde man ja zunächst denken, da sollte man hin, wenn es darum geht, den Wert des Menschen irgendwie zu testen. Da gibt es ja tatsächlich viele Leute – ich denke da jetzt an Leihmutterschaft oder was auch immer – warum nicht da hin?
    Scharf: Ja, die Grundspielregel für den Film war eigentlich die, ich möchte eine Zahl – was bin ich wert, oder was ist ein Teil meines Körpers wert. Und ich bin eigentlich dahin gegangen, wo mir Leute darauf eine konkrete Antwort geben wollten oder konnten. Das heißt, ich hätte jetzt natürlich nach Indien fahren können und sagen, was wäre ich theoretisch als Sklave wert. Wir wissen ja, dass es so eine Art moderne Sklaverei tatsächlich gibt, vor allen Dingen in vielen Ländern der Dritten Welt. Das erschien mir aber dann letztlich so zynisch, mich mit denen auf eine Stufe zu stellen als jetzt vergleichsweise abgesicherter Westeuropäer – meine Fußprobleme hin oder her –, dass ich das nicht gemacht habe.
    Luerweg: Zynisch ist ein gutes Stichwort, finde ich. Die ist ja fast ein bisschen zynisch, die Frage nach dem Wert des Menschen, oder?
    Scharf: Das ist ja das Interessante. Sie ist einerseits zynisch, weil man meint, damit stellt man ja die Würde des Menschen eigentlich in Frage, nur dadurch, dass man diese Frage stellt. Wenn man dann los geht und ganz viele konkrete Antworten bekommt, dann, würde ich mal sagen, tritt das Zynische in den Hintergrund. Wenn dir ein Anwalt genau berechnet, wie viel du wert gewesen wärest für deine Angehörigen im Falle des Nine-Eleven-Attentats, oder wie viel du wert bist im Rahmen, sagen wir mal, des britischen Gesundheitssystems, wie viel Restwert du da noch hast. Diese Fragen werden durchaus konkret beantwortet, und dann sind eigentlich die Antworten das Zynische, und nicht die Frage.
    Luerweg: "Witzigerweise" ist es ja tatsächlich so, dass die Amerikaner – das wird in Ihrem Film ganz deutlich –, die haben überhaupt kein Problem damit, über Geld zu reden, wenn es um den Wert des Menschen geht. Wir in Europa sind da so ein bisschen verschämter, aber letztendlich wird überall gerechnet, oder?
    Scharf: Ja, letztlich wird überall gerechnet. Aber natürlich ist der ganze angloamerikanische Raum da sehr viel direkter, das muss man einfach so sagen. Also erstens wird über Geld anders geredet, und wir kennen das ja auch von all diesen Gerichtsprozessen, wo extrem hohe Summen aufgerufen werden für Entschädigungszahlungen. Das ist einfach in der angloamerikanischen Gesellschaft viel stärker drin.
    Luerweg: Sind Sie nie auf die Idee gekommen, dass Sie gesagt haben, okay, ich hole mir noch mal so eine höhere Instanz, jemanden, einen Philosophen, Religionswissenschaftler, wen auch immer, der das alles noch mal anders einordnet?
    Der Zuschauer als höhere moralische Instanz
    Scharf: Also auf die Idee bin ich natürlich gekommen, und die Idee habe ich auch diskutiert, aber irgendwann hatte ich das Gefühl, eigentlich die höhere Instanz muss letztlich der Zuschauer sein. Also, diese Einordnung, ist da was moralisch oder ist das unmoralisch; ist das ethisch noch vertretbar oder nicht vertretbar, das ist eigentlich eine Antwort, die ich gar nicht geben will. Ich lasse das relativ offen in dem Film, und der Zuschauer muss eigentlich raus und selber der Rabbi sein oder selber der Priester sein oder selber der Philosoph sein. Das ist eigentlich die Grundidee.
    Luerweg: Einen ziemlich großen Raum nimmt tatsächlich der Anwalt Kenneth Feinberg ein, der eingesetzt worden ist von der amerikanischen Regierung, Nine-Eleven zu sagen, wer ist was wert. Ich hatte so den Eindruck, dass er sich als extrem gerecht empfindet, wenn er sagt, der Tellerwäscher ist aber weniger wert als der Banker, als der Broker, weil – na ja, der hätte ja auch gar nicht mehr so viel Geld akkumulieren können. Sie selber haben sich davon auch überzeugen können – fanden Sie den auch gerecht oder eher schwierig nachzuvollziehen?
    Scharf: Ich fand ihn vor allen Dingen erst mal komplett faszinierend, mal unabhängig davon, ob er sozusagen meine Meinung wiedergibt oder nicht. Aber ein Mensch, der mit einer Überzeugungskraft uns alle durchrechnet und relativ genau sagt: Jemand, der mit 48 stirbt, der bekommt dann noch 850.000, wenn er den und den Beruf hatte, und so und so stark auch noch gelitten hat und möglicherweise verheiratet ist. Also, er hat totale Faktoren dafür, der ist erst mal unheimlich überzeugend. Und natürlich habe ich ihn gefragt, so, ich meine, was soll das? Sieben Milliarden – wenn man das mal durchrechnet auf 3.000 Opfer, dann hätte jeder zwei Millionen bekommen. Jeder zwei Millionen. Das muss doch in Gottes Namen mal genug sein. Sagt er, nein, das ist eben nicht – die Leute, die tatsächlich, sagen wir mal, besser verdienen, die jünger sind, bekommen mehr als diejenigen, die weniger gut verdienen und die älter sind.
    Luerweg: So ist das. Das macht er relativ gut deutlich, muss man leider so sagen, oder? Sie haben gesagt, Sie wollten gerne, dass am Ende des Films eine Zahl steht. Die steht auch da – die ist zwei-komma-irgendwas Millionen, oder?
    Scharf: Ja, 2,42 Millionen.
    Luerweg: So viel ist jeder von uns wert?
    Scharf: Nein. Nein, nein.
    Luerweg: Nein?
    Scharf: Das ist jetzt erst mal eine komplett unseriöse Zahl, die sozusagen einen Durchschnittswert aus den verschiedenen Methoden ergibt – also insofern bewegen wir uns jetzt hier wieder wirklich im Bereich des Spiels. Aber die Werte, die wir mit solchen Methoden im Endeffekt ermitteln, sind höchst unterschiedlich. Also ein Mann von 40 ist im Normalfall mehr wert als eine Frau von 40, auch wenn wir das alle nicht hören wollen. Und ein, sagen wir mal, 60-Jähriger, der auf die Rente zusteuert, ist wesentlich weniger wert als ein 25-Jähriger, der gerade von der Harvard-University kommt. Da gibt es genug Systeme, die das auch so berechnen.
    Luerweg: Und wie ist das jetzt bei Ihnen? Sie humpeln jetzt nicht mehr. Geht es besser? Sind Sie jetzt wieder mehr wert als zu Beginn des Films?
    Scharf: Ich würde sagen, nein. Nein. Eigentlich hat mein Wert durch den Film eher noch gelitten. Weil, vorher habe ich nur gedacht, okay, ich vermute, dass ich nicht viel wert bin – jetzt weiß ich, dass ich es nicht bin.
    Luerweg: Das ist bitter. Was kann man dagegen tun? Versicherungen abschließen?
    Scharf: Ja, wahrscheinlich.
    Luerweg: Haben Sie gemacht – geben Sie es zu!
    Scharf: Eine.
    Luerweg: Peter Scharf, der Dokumentarfilmer, dessen Film "Was bin ich wert?" morgen in Köln Premiere feiert. Offiziell in die Kinos kommt er dann allerdings dann erst am 9. Oktober. Herr Scharf, vielen Dank für das Gespräch! Und der Film ist tatsächlich wertvoll, wenn ich das mal sagen darf.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.