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Filmkritik "Borgmann"
Rätselhafter und atemberaubender Kinofilm

Von Christoph Schmitz |
    Dieser Film bringt die Angst ans Tageslicht. Er ist eine Operation an der Seele. Mit einem Skalpell öffnet er Schicht für Schicht die verborgenen Tiefen unserer Psyche. Dieser Film ist ein Albtraum und entwickelt sich im Verlauf seiner knapp zwei Stunden schleichend und unerwartet zum Horror-Kino. Er verdreht die Welt: Die Bösen vom Anfang sind später die Guten. Und die Guten werden die Bösen. Dieses Meisterstück des vielfach ausgezeichneten niederländischen Regisseurs Alex van Warmerdam beginnt mit einer Jagd. Zwei gutbürgerliche Männer und ein katholischer Priester bewaffnen sich und ziehen durch den Wald. Die Atmosphäre ist angespannt, sie suchen etwas und schlagen an einer Stelle mit einer Axt in den Waldboden.
    Die Laubdecke bricht ein, die Erde tut sich auf, ein unterirdisches Versteck, wo sich ein Obdachloser verkrochen hat, bärtig, schmutzig, ausgemergelt, panisch. Borgman heißt der Mann, wie der Film. Borgman flüchtet durch Gänge, warnt seine obdachlosen Freunde und kann den Verfolgern entkommen. Rechtsaußen hat mal wieder zugeschlagen, denkt der Zuschauer. Die Besitzenden gegen die Besitzlosen, die Starken gegen die Schwachen. An den Türen der Villen im Grünen wird Borgman abgewiesen, als er darum bittet, ein Bad nehmen zu dürfen. Auch bei Richard und Marina macht er einen Versuch, einem jungen betuchten Ehepaar, Eltern dreier blonder Kinder.
    - Richard: "Sie kennt sie nicht, verstehen sie."
    - Borgmann: "Komm schon, Marina, du hast mich drei Monate gepflegt. Abends hast du mir vorgelesen und dich manchmal zu mir gelegt. Werde ich jetzt bestraft, weil ich ihre Frau kenne?"
    - Richard: "Wenn sie jetzt nicht sofort verschwinden, schlag ich zu!"
    Mit der Faust ist der erfolgreiche Fernsehproduzent Richard schnell dabei. Auch seiner Frau Marina gegenüber wirkt er nicht besonders sensibel. Die aber kümmert sich schließlich um den verletzten Borgman, bringt ihn heimlich im Gartenschuppen unter, versorgt ihn, interessiert sich für ihn, vertraut ihm, bittet ihn ins Haus. Mit kalter Selbstverständlichkeit nimmt Borgman die Fürsorge an.
    So kalt wie van Warmerdams Kamerablick. Nüchtern, lakonisch, statisch fängt er die Stationen der Verführung ein. Langsam und zeitlich perfekt austariert lässt der Regisseur uns spüren, dass hier ein unheilvolles Räderwerk in Gang gesetzt wurde. Zu spät beginnen die Alarmglocken zu läuten, die uns an "Biedermann und die Brandstifter" von Max Frisch erinnern.
    In van Warmerdams Film brennt es zuerst zwar nicht, aber Richard und Marina stellen Borgman, der unter neuem Namen und frisch rasiert wiederkommt, als Gärtner ein. Mit seinen Pennerfreunden macht er ganze Arbeit in dem privaten Idyll.
    Sie reißen mit schweren Maschinen die Bäume aus, tragen den Rasen ab, führen der Familie ein absurdes Theaterstück im zerstören Garten vor und machen sich schließlich mit OP-Besteck an den hübschen Kindern zu schaffen. Der einzige, der nüchtern bleibt und skeptisch ist, ist Vater Richard. Doch als er merkt, was bei ihm zu Hause abläuft, hat das Böse schon die Macht übernommen.
    Urängste verhandelt dieser Film. Die Naivität einer saturierten Gesellschaft nimmt er aufs Korn und sozialromantische Gutgläubigkeit. Hatten die bewaffneten Männer zu Beginn des Films also doch Recht? Aber wer sind diese Zombis vom Schlage eines Borgman eigentlich? Wofür stehen diese Mörder? Warum töten sie? Warum vertrauen die Kinder ausgerechnet ihnen? Es ist schwer, aus diesem Film schlau zu werden. Möglicherweise ist er gar nicht zu knacken. Eines tut er jedenfalls: Er warnt. Und er verfolgt uns, wie Marina sich verfolgt fühlt, obwohl sie längst mitschuldig geworden ist an dem, was über die Familie kommt.
    - Marina: "Irgendwas ist im Gange, Richard."
    - Richard: "Was meinst du?"
    - Marina: "Irgendwas, was weg ist und manchmal doch ganz nah. Eine Wärme, eine angenehme Wärme, die uns betäubt und andererseits auch verwirrt. Ein großes Unglück, das auf uns zukommt."