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Filmkritik: Die Bücherdiebin
Berührende Bilder mit pathetischer Musiksoße

Die Verfilmung von Markus Zusaks Roman "Die Bücherdiebin" hat einige Schwachstellen. Trotzdem schafft Regisseur Brian Percival, der auch die Aufnahmen der erfolgreichen TV-Serie "Downton Abbey" leitete, insgesamt eine sehenswerte filmische Umsetzung des Romans.

Von Hartwig Tegeler | 12.03.2014
    Die Schauspieler Sophie Nelisse und Nico Liersch am 23.01.2014 bei der Premiere des Films "Die Bücherdiebin" im Kino Zoo-Palast in Berlin
    Die Schauspieler Sophie Nelisse und Nico Liersch bei der Premiere des Films "Die Bücherdiebin" in Berlin (picture alliance / dpa / Eventpress Stauffenberg)
    Und über allem schwebt der Tod! Der Allmächtige, der Allwissende, der uns diese Geschichte erzählt. Und damit ist sofort klar: Fantasie, dunkler Traum und die Realität liegen nahe beieinander in "Die Bücherdiebin". Die Kamera fährt am Anfang, während der Tod seinen Prolog hält, aus dem Himmel hinunter in die Himmelstraße, mitten hinein ins "Tausendjährige Reich", zu Liesel, neun Jahre alt, die ihre Mutter - Kommunistin - bei Pflegeeltern untergebracht hat. Die neue Mutter - Emily Watson - ist auf den ersten Blick eine raue, kratzbürstige Frau:
    "Wer ist da? - Rudi Steinermann, Frau Hubermann. - Was willst du denn? - Meine Mutter sagt, Sie haben jetzt eine Tochter. Ich soll sie zur Schule bringen. - Und wie kommst du darauf, dass du gut genug bist für meine Tochter? - Ich bin schon fast Zwölf. - Liesel, iss deine Suppe auf und geh dich anziehen. Du bleibst draußen, du dreckiger Saukerl."
    Liesel ist ein wissbegieriges Mädchen, das sich an ihr neues, fremdes Leben anzupassen sucht. Ihr Handikap allerdings: Sie kann noch nicht lesen. Doch da ist ihr neuer Vater Hans - Geoffrey Rush - Türöffner zu einer anderen, wunderbaren neuen Welt.
    "Um ehrlich zu sein, kann ich selber nicht gut lesen. Wir werden einander helfen müssen. Dann fangen wir gleich an. Das ´Handbuch für Totengräber´."
    Das hat Liesel beim Begräbnis ihres kleinen Bruders mitgehen lassen. Der Bücherdiebin erster Streich. Dann folgt ein weiteres Buch aus diesem Berg von Büchern, die die Nazis auf dem Marktplatz verbrannten, dann weitere aus der Bibliothek des Bürgermeisters.
    "Ich stehle nicht. Ich leihe mir Bücher. - Bücher?"
    Pathetische Musiksoße à la Hollywood
    Die Welt der Bücher, der anderen Worte, sie ist für Liesel Fluchtpunkt vor einer Realität, in der Hitler auch mit seinen Worten die Welt zerstört. Gleichzeitig ist die grausame Realität im feuchten Keller der Hubermanns da in Gestalt von Max: der jüdische Flüchtling, den Liesels Pflegeeltern verstecken und sich dabei selber in Todesgefahr begeben:
    "Verstecken Sie sich vor Hitler. - Ja. - Hat Hitler Ihre Mutter abgeholt? - Vermutlich! - Keine Sorge, ich habe auch oft geweint, als ich hier hergekommen bin."
    "Die Bücherdiebin" verfährt nach dem gleichen dramaturgischen Prinzip wie Steven Spielberg in "Schindlers Liste": Den Horror der Nazizeit erzählen beide Filme aus der Perspektive eines positiven Helden, bei Brian Percival in "Die Bücherdiebin" einer jugendlichen Heldin. Beide - Oskar Schindler wie Liesel - bilden mit ihrer Lust am Leben Kontrapunkte zur Lebensfeindlichkeit der Nazis.
    Die Schönheit des Lebens inmitten der Barbarei zu zeigen über Figuren, die sich ihre Menschlichkeit bewahren, das ist hoffnungsvoll, eine Utopie, aber es ist auch ein sehr schmaler Grat von Behauptung. Nicht selten kippt Brian Percivals Film dabei um in die typisch pathetischen Bilder einer Hollywood-Gutmensch-Ästhetik. Was besonders auf die Nerven geht, wenn das Damoklesschwert des Soundtracks von Steven-Spielberg-Komponist John Williams gnadenlos herniederfährt.
    Doch das ist möglicherweise zu sehr aus der Sicht des erwachsenen Kritikers formuliert, der vergisst, dass dieser Film - wie Markus Zusaks Roman "Die Bücherdiebin" - an Jugendliche gerichtet ist. Eines jedenfalls kann man nämlich Brian Percivals Film nicht vorwerfen: Dass er die Nazizeit verharmlose. Das Sterben und der Terror sind allgegenwärtig. Bücherverbrennungen, Judenverfolgung. Genauso der Schrecken der Bombennächte. Altersgerecht wird dieses Grauen gezeigt, ohne dabei allerdings Eindrücklichkeit aufzugeben oder, auf der anderen Seite, allzu drastisch in blutige Bilder zu versinken. Und mit der Stimme des Todes, der als Erzähler durch Liesels Geschichte führt, bekommt der Film den Grundton eines dunklen Märchens, das - trotz pathetischer Musiksoße - bewegende Kino-Momente hat. Von Anfang an jedenfalls sind wir hier vorbereitet: Gute Märchen nämlich - helle wie dunkle - müssen nicht gut ausgehen.