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Finanzstreit in Argentinien
"Soziale Situation wird komplizierter werden"

Durch den Finanzstreit sieht der ehemalige Direktor des Instituts für Iberoamerika-Kunde in Hamburg, Klaus Bodemer, erhebliche wirtschaftspolitische Folgen für Argentinien. Schuld sei ein falscher Politikstil der Regierung, die einen Feind im Ausland aufbaue und die Realität verkenne.

Klaus Bodemer im Gespräch mit Gerd Breker | 01.08.2014
    Protestplakat gegen Hedgefonds in Argentinien
    Protestplakat gegen Hedgefonds in Argentinien - dem Land droht wegen Zahlungsaufforderungen womöglich die Pleite (dpa/picture-alliance/David Fernandez)
    Man spreche von einem technischen Staatsbankrott, sagte Professor Klaus Bodemer, Ex-Direktor des Instituts für Iberoamerika-Kunde in Hamburg, im Deutschlandfunk. Es sei jedoch eine Lösung denkbar: "Ich könnte mir vorstellen, dass die Banken möglicherweise mit einigen Hedgefonds, die auch wissen, dass ihnen die Felle davonschwimmen, zu einem Deal kommen."
    Bedeutend sei der psychologische Effekt der drohenden Staatspleite, sagte Bodemer im DLF-Interview. Die Herabstufung Argentiniens habe erhebliche Konsequenzen: Die Inflation, die jetzt schon bei 35 Prozent liege, werde weiter steigen, die Rezession zunehmen, die Devisenreserve in vier bis fünf Monaten aufgebraucht sein.
    "Gefahr, die Realität zu verkennen"
    Hauptgrund für die Krise sei ein falscher Politikstil der Regierung, sagte Bodemer. "Von den fast 30 Jahren Demokratie nach dem Militärregime war mit Ausnahme von zwei Jahren immer eine peronistische Fraktion an der Regierung." Diese baue einen ausländischen Feind auf, wie zum Beispiel die Banken oder Hedgefonds, und laufe Gefahr, die Realität zu verkennen.
    Dass ein Land mit solchen Naturreichtümern wie Argentinien in der Krise stecke, habe mit Klientelismus und Korruption zu tun. Daher müsse sich der Politikstil ändern: "Das ist eine Sache von ein, zwei Generationen."

    Das vollständige Interview mit Klaus Bodemer:
    Christoph Heinemann: Argentinien ist nach gescheiterten Verhandlungen mit Gläubigern abermals in die Staatspleite geschlittert. Das südamerikanische Land verweigerte im Rechtsstreit mit klagenden Hedgefonds in New York die fristgerechte Auszahlung von 1,33 Milliarden Dollar samt Zinsen. Die Ratingagenturen "Standard & Poor's" und "Fitch" reagierten prompt und erklärten das Land für pleite. Wir haben zu Beginn dieser Sendung darüber berichtet. Darüber hat jetzt mein Kollege Gerd Breker mit Professor Klaus Bodemer gesprochen, Lateinamerika-Experte am Hamburger GIGA-Forschungsinstitut, und hat mit ihm das folgende Gespräch geführt.
    Gerd Breker: Ist ja eine kuriose Situation: Argentinien hat Geld, ist aber bankrott.
    Klaus Bodemer: Ja, das ist in der Tat etwas ungewöhnlich. Deswegen ist ja auch die Bankrotterklärung mit einem Adjektiv versehen: Man spricht von einem technischen Staatsbankrott. Das heißt, das Land hat eigentlich noch Geld, könnte bezahlen - das Problem ist, es will nicht.
    Breker: Nur wenn Argentinien die Hedgefonds bedienen würde, dann wäre Argentinien mit den sich dann anschließenden Nachforderungen der früheren Gläubiger alsbald pleite und hätte kein Geld mehr.
    Bodemer: Das ist nicht ganz richtig. Man muss also in Erinnerung rufen: Es haben ja 93 Prozent in dem Deal 2005 und 2010 unter dem Vorgänger Néstor Kirchner zugestimmt, auf 70 Prozent ihrer Forderungen zu verzichten. Es blieben also sieben Prozent übrig. Von den sieben Prozent haben jetzt einige Hedgefonds - das sind von den sieben Prozent nur 15 Prozent - die ganzen Jahre per Gerichtsbeschluss versucht, ihre 100 Prozent zu bekommen.
    "Argentinien möchte Zeit gewinnen"
    Breker: Aus dieser Zwickmühle, die auch eine juristische ist, Herr Bodemer, kommt da Argentinien alleine raus oder braucht es Unterstützung von außen?
    Bodemer: Es könnte rauskommen. Das Problem sind eigentlich nicht die Zahlungen dieser Hedgefonds - das sind etwa 1,5 Milliarden, mit Zinsen vielleicht 1,6 Milliarden. Das Problem, warum Argentinien nicht bezahlen möchte, ist: Es befürchtet eine Kettenreaktion. Das hat mit einer Klausel zu tun, die besagt: Gelder, die bereits eigentlich eingezahlt sind, auch für die anderen, die bei dem Deal früher mitgemacht haben, können nur ausgezahlt werden, wenn die 100 Prozent dieser Hedgefonds, die jetzt geklagt haben und juristisch recht bekommen haben, bezahlt werden. Das heißt, die Gelder sind eigentlich bezahlt oder vielmehr die Zinsen für die anderen 93 Prozent, aber die liegen auf einem Bankkonto und sind durch diesen Gerichtsbeschluss blockiert. Und deswegen die Angst: Argentinien möchte Zeit gewinnen, bis diese Klausel ungültig wird. Die wird Ende des Jahres ungültig.
    Breker: Das heißt, ab 2015 müsste man keine Nachforderungen mehr befürchten. Ist das die Strategie von Präsidentin Kirchner, Zeit zu gewinnen, ein halbes Jahr?
    Bodemer: Das war die vorrangige Strategie, zumindest diese 93 Prozent. Dann würden ihre Forderungen, wieder die 100 Prozent zu bekommen, nicht mehr haltbar. Die Frage ist jetzt, wie es weitergeht: Ich glaube, es gab ja gestern schon Ansätze, dass die argentinischen Banken versucht haben, das Gericht und die Hedgefonds in New York zu überzeugen, dass sie diese Schulden übernehmen könnten. Sie haben auch sogar schon eine Anzahlung angeboten. Ich könnte mir vorstellen, dass die Banken möglicherweise mit einigen Hedgefonds, die auch wissen, dass ihnen zurzeit die Felle davonschwimmen, vielleicht doch zu einem Deal kommen, dass sich mittelfristig, zumindest was dieses Problem betrifft, eine Lösung abzeichnet.
    "Die Rezession wird zunehmen"
    Breker: Sind denn, Herr Bodemer, die Folgen für Argentinien, vor allen Dingen für die Menschen in Argentinien, so dramatisch, wenn Argentinien zahlungsunfähig ist?
    Bodemer: Das glaube ich schon. Also ich meine, man muss auch vielleicht mit ins Kalkül ziehen: Allein, was jetzt fällig ist, also ohne eine Einigung oder egal, wie das jetzt ausgeht - Argentinien muss im nächsten Jahr 16 Milliarden Zinsen bezahlen und im Jahr drauf jeweils 20 Milliarden. Das ist nämlich eine stattliche Summe. Der psychologische Aspekt ist vielleicht noch wichtiger, ich meine, Argentinien ist jetzt durch die Rankingagenturen massiv abgestuft worden, die Papiere praktisch auf Ramschniveau. Das spricht sich rum. Das heißt, es hat wirtschaftspolitische Folgen im Land, die sehr stark sind. Zum einen wird die Inflation, die jetzt schon bei 35 Prozent liegt, weiter steigen. Die Rezession wird zunehmen. Die Devisen, sie haben noch etwa 30 Milliarden Devisenreserven, werden in vier bis fünf Monaten aufgebraucht sein. Die Investoren werden sich dreimal überlegen, ob sie nach Argentinien gehen. Die die, die bereits da sind, werden sich wahrscheinlich zum Teil zurückziehen. Die gesamte wirtschaftliche und damit auch die soziale Situation wird komplizierter werden.
    "Was wir da beobachten, ist ein doppelter Diskurs"
    Breker: Argentinien war einmal ein reiches Land, Herr Bodemer, nun schlittert es von einer Krise in die andere. Wie erklärt sich das? Sind das Fehler der Politik im Lande?
    Bodemer: Es sind sicher massive Fehler, es ist auch ein ganz bestimmter Politikstil. Das hat sich eigentlich in den letzten Jahren fortgesetzt. Sie müssen bedenken, von den fast 30 Jahren Demokratie nach dem Militärregime war mit Ausnahme von zwei Jahren immer eine peronistische Fraktion an der Regierung. Und was wir da beobachten, ist ein doppelter Diskurs. Das ist einer, der sich an die Wählerschaft, an die eigene Klientel richtet. Die ist voll mit einer sehr populistischen Rhetorik, die von Autonomie spricht, Verrat und den Feind im Ausland aufbaut, ob das nun jetzt die Vereinigten Staaten sind, die Banken oder die Hedgefonds oder so weiter. Damit läuft man immer Gefahr, die Realität zu verkennen. Das ist eine ganz große Gefahr vom Politikstil her. Und man kann eigentlich sogar, wenn man Historiker ist, nachvollziehen, dass sich seit den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts praktisch alle zehn, zwölf Jahre ein gewisser Zirkel wiederholt hat, irgendeine Krise aufgetaucht ist, Finanzkrise, Wirtschaftskrise und so weiter. Man landet da schon fast bei einer Art von Fatalismus.
    Heinemann: Professor Klaus Bodemer, Lateinamerika-Experte am Hamburger GIGA-Forschungsinstitut. Die Fragen stellte mein Kollege Gerd Breker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.