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Finnland
Laborschule für angehende Lehrer

So wie es bei uns Ausbildungskrankenhäuser für angehende Mediziner gibt, gibt es in Finnland Übungsschulen für Lehrer. Dort können sie sowohl unterrichten, als auch studieren. Denn die Schule gehört zur Universität Helsinki.

Von Christoph Kersting |
    Flagge Finnland
    Die Flagge Finnlands, von Einheimischen auch Blaukreuzflagge genannt, ist 11 Maßeinheiten hoch und 18 Maßeinheiten lang - wie sie dieses Wissen vermitteln, lernen angehende finnische Lehrer an Übungsschulen (picture-alliance/ dpa / TUOMAS MARTTILA / LEHTIKUVA)
    Eine fünfte Klasse an der Viikki-Schule im Nordosten Helsinkis. Es ist die zweite Unterrichtsstunde, und die Zehn- bis Elfjährigen machen in Kleingruppen Übungen zu den 15 Fällen im Finnischen.
    Die Lehrerin geht von einer Gruppe zur nächsten, beantwortet Fragen, gibt Hilfestellung. Weiter hinten im Klassenzimmer sitzt Eemma Perälä. Die 23-Jährige beobachtet aufmerksam das Unterrichtsgeschehen und macht sich Notizen auf einem Block. Eemma ist Lehramtsstudentin, ihre Fächer sind finnische Sprache und Literatur, und es ist erst ihr zweiter Tag an der Viikki-Schule. Die ist eigentlich eine ganz normale Gesamtschule mit 1000 Schülern der Klassenstufen 1 bis 12. Doch die Schule ist eine so genannte "Normaalikoulo", eine spezielle Übungsschule für angehende Lehrer. Sie gehört zur Universität Helsinki und ist Teil des Uni-Campus'. Lehramtsanwärter wie Eemma Perälä könnten quasi zwischen Vorlesung und Schulalltag hin- und herpendeln, erklärt die Vizerektorin der Schule, Marja Martikainen. Die Kernidee einer solchen Übungsschule sei:
    "... die Verbindung von Theorie und Praxis vor allem, und dass wir eben auch eine Zusammenarbeit mit der Uni hier haben. Dass wir den "Touch" nicht verlieren, was da passiert in der Wissenschaft. (...) Ist natürlich schwierig manchmal, besonders für die jungen Lehramtsstudierenden. Die sehen oft diesen Zusammenhang nicht, und da haben wir die Aufgabe diesen Zusammenhang zu zeigen."
    "Lehrer zu werden ist für viele in Finnland sehr attraktiv"
    Die Verzahnung von Theorie und Praxis zeigt sich konkret zum Beispiel in Seminaren, in denen Lehrer mit den Studenten nach Schulschluss noch Unterrichtssituationen trainieren und diskutieren. Und viele dieser Lehrer an der Viikki-Schule sind selbst auch wissenschaftlich tätig, promovieren neben ihrer Unterrichtstätigkeit oder schreiben Lehrbücher. Die Übungsschule, eine von insgesamt elf ihrer Art in ganz Finnland, sei so etwas wie ein Labor für angehende Lehrer, sagt Uni-Sprecherin Karin Hanukainen - vergleichbar mit Ausbildungskrankenhäusern für Medizinstudenten. Bildung und damit auch der Lehrerberuf seien in Finnland schon immer hoch angesehen gewesen:
    "Lehrer zu werden in Finnland ist für viele sehr attraktiv. Hier an der Universität Helsinki zum Beispiel werden nur etwa zehn Prozent von jährlich 2000 Bewerbern zugelassen. Damit ist es aktuell schwieriger Lehrer zu werden als Arzt, wenn man sich die Bewerberzahlen für ein Medizinstudium anschaut."
    Diese Wertschätzung für alles, was mit Bildung zu tun hat, ist vor allem historisch zu erklären im kleinen Finnland mit seinen gerade einmal fünfeinhalb Millionen Einwohnern. Das Land war traditionell stark landwirtschaftlich geprägt, die Industrialisierung setzte erst spät ein, und mit der Bildungsförderung sahen die Finnen eine Möglichkeit, möglichst schnell mit anderen Industrienationen gleichzuziehen. Dabei haben die Finnen es schon seit Beginn der 70er Jahre verstanden, liberales Denken auch im Bildungsbereich wirken zu lassen. Nicht nur in der Vikkii-Übungsschule rennen Schüler auf Socken durchs Gebäude, jede Klasse hat große Fenster auch hin zum Flur, und die Schüler duzen ihre Lehrer oder nennen sie freundschaftlich "Ope", die Abkürzung von "Oppetaja", das finnische Wort für Lehrer. Und dieses freie Denken gelte auch für den Lehrerberuf, betont Vizerektorin Marja Martikainen:
    "Also wir haben ein ganz loses Curriculum, und da werden zum Beispiel die Methoden nicht genannt. Also die Lehrer haben wirklich große Freiheit auf ihre Art und Weise. Wie sie unterrichten wollen, wo sie arbeiten, wo sie all das planen. Sie müssen nicht in der Schule sein. Sie können auch am Wochenende am Sommerhaus arbeiten. Das wählen sie, sie sind keine Arbeiter einer Fabrik, wo man Schüler oder Abiturienten produziert."
    Die Master-Studentin Eemma Perälä jedenfalls ist stolz darauf Lehrerin zu werden, sie wolle damit ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten, sagt sie. In zwei Wochen geht es für die 23-Jährige richtig los, da wird sie zum ersten Mal vor einer Klasse stehen...