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Flüchtlinge und Arbeit
Syrische Ärzte scheitern an deutscher Bürokratie

In der Flüchtlingsambulanz am Krankenhaus in Neumünster arbeiten Ärzte, die selbst als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Hier behandeln sie ihre Landsleute und sollen nebenbei ihre Approbation erlangen. Doch jetzt fordert das Landesamt für soziale Dienste: Die Ärzte sollen Ausbildungsnachweise aus Syrien beibringen.

Von Johannes Kulms | 27.09.2016
    Ein Mann geht durch eine zerstörte Straße in Aleppo
    Nicht nur, dass ein Großteil von Aleppo zerstört ist. Die syrischen Ärzte in Neumünster müssten indirekt auch ihre Treue gegenüber dem syrischen Geheimdienst nachweisen, bevor sie ihre Papiere bekämen, so der Direktor des Friedrich-Ebert-Krankenhauses. (AFP / Karam al-Masri)
    Seit zwei Tagen habe er Magenschmerzen, erzählt Dilovan Alnouri. Seit Sonntag habe er nichts mehr gegessen, nachts um drei Uhr sei er aufgestanden, wegen seiner Angst und wegen Albträumen. Dass es nicht so wird, wie er und seine Familie es sich erhofft haben. Und dass er nicht mehr weiter arbeiten kann am Friedrich-Ebert-Krankenhaus in Neumünster, sagt der 40-Jährige.
    "Wir sind hier in Deutschland nicht für Sozialhilfe oder Jobcenter oder was. Wir wollen hier arbeiten, ganz einfach. Wir sind für Sicherheit hier, das ist am wichtigsten. Der nächste Schritt ist arbeiten."
    Alnouri stammt aus Syrien. Er hat in Aleppo studiert und arbeitet seit rund einem Jahr als Assistenzarzt in der sogenannten Flüchtlingsambulanz. Die Einrichtung sei bundesweit einmalig, sagt die Klinik. Die Idee: Ärzte, die selber als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, behandeln hier Landsleute ebenso wie alteingesessene Schleswig-Holsteiner. Und machen nebenbei ihre Approbation.
    Alnouri hat in seiner syrischen Heimat eine lange Ausbildung durchlaufen: "Ich habe zwei Ausbildungen dort abgeschlossen: Viszeralchirurgie und Gefäßchirurgie, war in Syrien auch als Facharzt für Viszeralchirugie. Ich war in Damaskus auch als Assistenzarzt an einem großen Krankenhaus."
    Schließungsszenario für die Flüchtlingsambulanz ganz akut
    Zuletzt war die Flüchtlingsambulanz wegen fehlender Weiterfinanzierung von der Schließung bedroht. Inzwischen geht das Krankenhaus davon aus, dass die Förderung sogar über den Februar 2017 hinaus weiter laufen könnte.
    Doch seit einigen Tagen ist das Schließungsszenario für die Flüchtlingsambulanz plötzlich wieder ganz akut, meint Ivo Markus Heer, Ärztlicher Direktor des Friedrich-Ebert-Krankenhauses.
    "Wir werden wahrscheinlich noch im Oktober den operativen Betrieb der Einheit Integrierende Versorgung einstellen."
    Das hängt weniger mit mangelnder Finanzierung zusammen – sondern schlichtweg damit, dass das Krankenhaus zwei seiner vier syrischen Ärzte zum Ende dieser Woche wohl ziehen lassen muss. Zu ihnen gehört auch Dilovan Alnouri.
    Er wird dann einen neunmonatigen Vorbereitungskurs über die Arbeitsagentur beginnen, um sich auf die Kenntnisprüfung vorzubereiten – und damit die Zulassung als Arzt in Deutschland zu erhalten. Nicht weil er das möchte, sondern weil er keine Alternative sieht.
    Eigentlich sei geplant gewesen, dass die teilnehmenden Ärzte ihre Approbation nach anderthalb bis zwei Jahren Arbeit am Friedrich-Ebert-Krankenhaus erhalten, sagt Ivo Heer. Doch diese Pläne habe das Landesamt für soziale Dienste nun abrupt durchkreuzt.
    Wie Stundennachweise aus Aleppo nachbringen?
    "Gefordert wird also seitens des Landesamtes, dass die Antragssteller die entsprechenden Stundenübersichten mit praktischen und theoretischen Anteilen von Heimatuniversität sich bestätigen lassen sollen und sie gegebenenfalls erneut einreichen sollen. Also, wer die Bilder aus Aleppo kennt, dem fehlt absolut die Fantasie, wie die beiden Kollegen nun aus Aleppo nun irgendwelche Stundennachweise nachbringen sollen. Sie haben das versucht, sind dann aber mit der Geheimpolizei konfrontiert worden, die von ihnen gewissermaßen erst Bescheinigungen über die Regimetreue erst haben wollten, bevor dann Bescheinigungen aus der Universität zurückkommen."
    Aus den ins Deutsche übersetzten Unterlagen gehe doch klar hervor, welche Teile der theoretischen und praktischen Medizin sein syrischer Kollege belegt habe, sagt Heer.
    "Und die sind in der Summe deutlich mehr als das deutsche Curriculum vorsieht – und trotzdem werden sie nicht als Voraussetzung für eine Approbation anerkannt."
    Eine klare Handlungsanweisung hätte sich das Neumünsteraner Krankenhaus von dem Landesamt erhofft: Wo genau liegen die Defizite, wo muss was mit Stunden an Theorie und Praxis aufgefüllt werden – doch das stehe in dem entsprechenden Gutachten an keiner Stelle, sagt Heer.
    Landesamt will medizinischen Standard nicht im Einzelfall absenken
    Das Landesamt für soziale Dienste untersteht dem schleswig-holsteinischen Sozial- und Gesundheitsministerium. Und das pocht im Falle der in Neumünster tätigen syrischen Ärzte auf die Gesetze. Auf Deutschlandradio-Anfrage heißt es aus dem Ministerium:
    "Ein Abweichen von den rechtlichen Rahmenbedingungen widerspricht den Grundsätzen der Gleichbehandlung und des Patientenschutzes. Deshalb können wir den Standard nicht im Einzelfall absenken."
    Gefäßchirurg Dilovan Alnouri bringt all das zur Verzweiflung. Er findet: Den Beruf und die Integration lerne man doch nur in der Praxis. Und nicht in einem Kurs:
    "Das zerstört uns, wissen Sie? Also, nicht so wenig dachten wir, dass wir sind auf Beine gestanden. Aber jetzt wieder viele Schritte zurück – das ist - ich weiß, nicht, was kann ich dazu erzählen, aber das ist schwierig, ehrlich."