Bei näherer Betrachtung erweisen sich diese Idyllen freilich oft als durchaus ungemütlich. Marion Poschmann lenkt den Blick auf trostlose, selten beachtete Örtlichkeiten, sammelt Worte wie Fundstücke auf und montiert sie mit den Gegenständen ihrer Wahrnehmung zu atmosphärisch verdichteten Gebilden. Eine besondere Rolle spielt dabei die ruhelose, aufgebrochene Syntax, die einen Eindruck des Flüchtigen, Verwischten, aber auch den fortwährender Bewegung erzeugt, – wie in dem folgenden, von der Autorin gelesenen Gedicht:
Glasuren des Januar, carne vale
und die dünnen Umwege, hatten in Kältewannen
gebadet, in Senken mit Eisstöpseln,
Schwämmen aus Kremserweiß, Bürsten,
vergipsten Gebüschen, und
einmal fiel Hagel, als wir über Bahnschwellen
wanderten, über die nach und nach völlig
verschütteten Hügel, bemehlt meine Stimme,
Einsilbigkeit, ich lehnte mich tiefer in deinen Geruch
und ich schlingerte neben dir her
wie auf Eiern, wie Bildbeschreitungen
nur auf den Fingerkuppen, im seifigen Licht
inhalierten wir Birken, die lautlosen Luftschichten,
rechtsdrehend, linksdrehend Krähen,
der Atem in Festkleidung zwischen uns und
diese Gier nach Berührung (ein Tafelberg,
den wir spazierenführten) und etwas
zog neben uns her und entfernte sich
später
die hell übersprenkelten Hänge
schon tiefer gebeugt
Die letzte, umfangreichste und vielgestaltigste Abteilung des Bandes trägt die Überschrift "Wiese sein". Wer dahinter eine (eventuell ironisch zu verstehende) Variation auf die romantische Sehnsucht nach dem Einssein mit der Natur erwartet, stößt auf ein Motto, welches das Kürzel zum ganzen Satz ergänzt. Es stammt von dem Barockdichter Andreas Gryphius, der wie so viele in seiner Zeit von der Idee der Vergänglichkeit besessen war, und lautet: "Wo jetzund Städte stehn, wird eine Wiese sein."
Es ist nicht wenig von diesem barocken Vanitas-Gefühl in Marion Poschmanns Gedichten, die in Schriftbild und Diktion doch gleichzeitig so modern daherkommen. Zivilisationsreste, aus denen der Mensch herausgetreten zu sein scheint, proben ihrerseits die Wiedervereinigung mit der Natur: "Mosaike aus Bauschutt", "die Nachkriegsmatratzen wie Altersflecken im Garten", "Schubladen für unscharfes Gras, für Plätze voll Schotter". Das Subjekt zieht sich nicht selten ganz in die Betrachtung zurück: "ich aber verblaßte vor / Haselnußbüschen und Flüssen / die Mücken im Aufwind. / so kurz verfaßt".
Trotz dieser elegischen, zuweilen düsteren Töne macht sich auch ein feiner Humor bemerkbar, etwa als leiser Spott über die Unangepaßtheit des Menschen in der Natur: "der Waldrand steht stramm, / auf den Feldern zerhäckselte / Blätter von Weißkohl und Rettichen, / wir aber, reserviert, konserviert, stehen / wie Ladenhüter noch immer da, / schwer zu verhindern, schwer zu verdauen."
Wenn sich gelegentlich einmal geographische Hinweise finden lassen, deuten sie am ehesten auf Landschaften des europäischen Ostens oder auf die Stadtlandschaften des Ruhrgebiets, in dem die Autorin aufwuchs. Aber es sind keineswegs nur reale Landschaften, die hier poetisch transformiert werden. In manchen Gedichten scheint vielmehr die Landschaftsmalerei Pate gestanden zu haben, und das nicht nur in dem einen, das sich auf ein Kunstwerk von Cy Twombly bezieht. Eine Überschrift wie "Oden nach der Natur" etwa ist durchaus doppeldeutig. Zum einen weil die Ode als eine sehr strenge lyrische Form im Ruf der Künstlichkeit steht, zum anderen weil der Begriff "nach der Natur" eher auf einen kunsthistorischen Kontext verweist als auf die Natur selbst.
Besondere Erwähnung verdient Marion Poschmanns Gespür für reizvolle, manchmal irritierende Titel. "Landschaft mit Gottesbeweis" steht über einem Gedicht; andere heißen "die Tilgung der vier Winde", "Take away Landscape", "Normalverteilung der Ereignisse" oder
Hirschübung
über die Landstraße treibende Streifen,
durch Wälder geflößtes, sehr streng
bemessenes Weiß,
und wir folgten den Sprüngen, den Streckungen
dieser durchbrochenen Linie, Wildwechsel,
Glätte, Gefälle, an Rastplätzen lagen
bedingungslos schlafende Bänke, von Nässe
gequollenes Holz, und die braunen gebogenen
Rücken der Berge verwundete Fellflächen,
Kahlschlag, verendete Pfade, und wir
Mit Karacho, wie Simulationen von Wind
zwischen brusthohen Zweigen,
Geweihen in Wattejacken verpackt,
mattes Hirngespinst (Fallträume),
Fünfender, Fingerzeig:
aber
wir rochen nach Seife
nach Veilchen und Teichwasser, vor uns
die furchtbare Vollständigkeit des Kommenden
bald harthufig der Frost
Marion Poschmann erwies sich schon in ihrem Roman Baden bei Gewitter als eine genaue Beobachterin von Räumen und Landschaften mit einem besonderen Faible für die Randzonen und Überschneidungen von Natur und Zivilisation. In ihrem ersten Gedichtband Verschlossene Kammern spiegelte sich dieses Interesse in dem Zyklus "Sibirische Elegien". Derzeit lebt die Autorin als Stipendiatin in der Villa Massimo in Rom.
Marion Poschmann
Grund zu Schafen. Gedichte
Frankfurter Verlagsanstalt, 92 S., EUR 15,90
Glasuren des Januar, carne vale
und die dünnen Umwege, hatten in Kältewannen
gebadet, in Senken mit Eisstöpseln,
Schwämmen aus Kremserweiß, Bürsten,
vergipsten Gebüschen, und
einmal fiel Hagel, als wir über Bahnschwellen
wanderten, über die nach und nach völlig
verschütteten Hügel, bemehlt meine Stimme,
Einsilbigkeit, ich lehnte mich tiefer in deinen Geruch
und ich schlingerte neben dir her
wie auf Eiern, wie Bildbeschreitungen
nur auf den Fingerkuppen, im seifigen Licht
inhalierten wir Birken, die lautlosen Luftschichten,
rechtsdrehend, linksdrehend Krähen,
der Atem in Festkleidung zwischen uns und
diese Gier nach Berührung (ein Tafelberg,
den wir spazierenführten) und etwas
zog neben uns her und entfernte sich
später
die hell übersprenkelten Hänge
schon tiefer gebeugt
Die letzte, umfangreichste und vielgestaltigste Abteilung des Bandes trägt die Überschrift "Wiese sein". Wer dahinter eine (eventuell ironisch zu verstehende) Variation auf die romantische Sehnsucht nach dem Einssein mit der Natur erwartet, stößt auf ein Motto, welches das Kürzel zum ganzen Satz ergänzt. Es stammt von dem Barockdichter Andreas Gryphius, der wie so viele in seiner Zeit von der Idee der Vergänglichkeit besessen war, und lautet: "Wo jetzund Städte stehn, wird eine Wiese sein."
Es ist nicht wenig von diesem barocken Vanitas-Gefühl in Marion Poschmanns Gedichten, die in Schriftbild und Diktion doch gleichzeitig so modern daherkommen. Zivilisationsreste, aus denen der Mensch herausgetreten zu sein scheint, proben ihrerseits die Wiedervereinigung mit der Natur: "Mosaike aus Bauschutt", "die Nachkriegsmatratzen wie Altersflecken im Garten", "Schubladen für unscharfes Gras, für Plätze voll Schotter". Das Subjekt zieht sich nicht selten ganz in die Betrachtung zurück: "ich aber verblaßte vor / Haselnußbüschen und Flüssen / die Mücken im Aufwind. / so kurz verfaßt".
Trotz dieser elegischen, zuweilen düsteren Töne macht sich auch ein feiner Humor bemerkbar, etwa als leiser Spott über die Unangepaßtheit des Menschen in der Natur: "der Waldrand steht stramm, / auf den Feldern zerhäckselte / Blätter von Weißkohl und Rettichen, / wir aber, reserviert, konserviert, stehen / wie Ladenhüter noch immer da, / schwer zu verhindern, schwer zu verdauen."
Wenn sich gelegentlich einmal geographische Hinweise finden lassen, deuten sie am ehesten auf Landschaften des europäischen Ostens oder auf die Stadtlandschaften des Ruhrgebiets, in dem die Autorin aufwuchs. Aber es sind keineswegs nur reale Landschaften, die hier poetisch transformiert werden. In manchen Gedichten scheint vielmehr die Landschaftsmalerei Pate gestanden zu haben, und das nicht nur in dem einen, das sich auf ein Kunstwerk von Cy Twombly bezieht. Eine Überschrift wie "Oden nach der Natur" etwa ist durchaus doppeldeutig. Zum einen weil die Ode als eine sehr strenge lyrische Form im Ruf der Künstlichkeit steht, zum anderen weil der Begriff "nach der Natur" eher auf einen kunsthistorischen Kontext verweist als auf die Natur selbst.
Besondere Erwähnung verdient Marion Poschmanns Gespür für reizvolle, manchmal irritierende Titel. "Landschaft mit Gottesbeweis" steht über einem Gedicht; andere heißen "die Tilgung der vier Winde", "Take away Landscape", "Normalverteilung der Ereignisse" oder
Hirschübung
über die Landstraße treibende Streifen,
durch Wälder geflößtes, sehr streng
bemessenes Weiß,
und wir folgten den Sprüngen, den Streckungen
dieser durchbrochenen Linie, Wildwechsel,
Glätte, Gefälle, an Rastplätzen lagen
bedingungslos schlafende Bänke, von Nässe
gequollenes Holz, und die braunen gebogenen
Rücken der Berge verwundete Fellflächen,
Kahlschlag, verendete Pfade, und wir
Mit Karacho, wie Simulationen von Wind
zwischen brusthohen Zweigen,
Geweihen in Wattejacken verpackt,
mattes Hirngespinst (Fallträume),
Fünfender, Fingerzeig:
aber
wir rochen nach Seife
nach Veilchen und Teichwasser, vor uns
die furchtbare Vollständigkeit des Kommenden
bald harthufig der Frost
Marion Poschmann erwies sich schon in ihrem Roman Baden bei Gewitter als eine genaue Beobachterin von Räumen und Landschaften mit einem besonderen Faible für die Randzonen und Überschneidungen von Natur und Zivilisation. In ihrem ersten Gedichtband Verschlossene Kammern spiegelte sich dieses Interesse in dem Zyklus "Sibirische Elegien". Derzeit lebt die Autorin als Stipendiatin in der Villa Massimo in Rom.
Marion Poschmann
Grund zu Schafen. Gedichte
Frankfurter Verlagsanstalt, 92 S., EUR 15,90